Theater auf dem Theater
Es hat lange gedauert, aber nun ist es geschehen: Die Griechische Nationaloper brachte in einer Kollaboration mit der Oper in Kopenhagen ihre erste Produktion von Richard Wagners „Die Walküre“ auf die Bühne. „Der Ring des Nibelungen“ war nur einmal hier im Jahr 1938 als Gastspiel der Frankfurter Oper zu erleben. Giorgos Koumendakis, Intendant der Nationaloper seit 2017, hatte bewusst mit Wagner etwas zugewartet. Durch Erweiterung und Verjüngung hat er Orchester und Chor (wobei dieser im Fall der Walküre nicht gebraucht wird) schrittweise wagnertauglich gemacht. Die Aufführungen des anspruchsvollen Werks waren schnell ausverkauft. Und die aufgebotene Besetzung versprach ein Wagnererlebnis auf hohem Niveau. Wurden die Erwartungen erfüllt und wie hat sich das Orchester dabei geschlagen?
Der Rezensent besuchte die Generalprobe und die dritte Aufführung. Die hier zu besprechende dritte Aufführung geriet besser, deutlich besser als die Generalprobe. Es war eine Freude mitzuerleben, wie insbesondere das Orchester in eine neue Rolle hineinwuchs.
Doch beginnen wir mit der Inszenierung von John Fulljames, die zuerst in Kopenhagen zu sehen war und dort positive Kritiken erntete. Der Regisseur bietet uns ein zeitgenössisches Setting, er betont, wie sehr Wotan das Geschehen plant und lenkt und wie ihm durch den Einspruch Frickas die Kontrolle entgleitet. So beginnt diese „Walküre“ mit einem Blick in Wotan’s Lab, das ein wenig einem Architektenbüro oder Künstlerstudio gleicht. Das Publikum sieht erst das Model von Hundings Hütte, dann den Bühnenaufbau, der zunächst rückwärtig als Treppe in Erscheinung tritt. Von Anfang geht es hier um Theater auf dem Theater. Darum ist hier alles Bühne und auch die reale Bühne und ihre Strukturen werden nicht versteckt. Wotan inszeniert das Geschehen des ersten Akts in einer Lab-Situation. Alles verläuft wie geplant. Noch zu Beginn des zweiten Akts feiert der Göttervater mit den Walküren die gelungene Zeugung eines Helden. Dann tritt Fricka auf und zerstört mit ihrer Intervention die Vision Wotans. Von nun an dominiert der Treppenaufbau, der an ein antikes Theater erinnert, die Bühne. Der Göttervater und seine Lieblingswalküre rücken ins Zentrum der tragischen Handlung. Die Szenerie (Ausstattung: Tom Scutt) und die subtile Personenführung des Regisseurs lassen ahnen, wie sehr sich Richard Wagner von der antiken griechischen Tragödie inspirieren ließ.
Fulljames arbeitet die Beziehungen der handelnden Figuren sehr gut heraus. Er zeigt uns einen ungestümen Hunding, dessen toxische Männlichkeit jede Frau zur Verzweiflung bringen würde. Siegmund und Sieglinde geben sich von Liebe getrieben der Hoffnung auf ein besseres, gemeinsames Dasein hin. Fricka pocht mit energischem Auftreten auf altes Recht. Der Regisseur zeigt dabei deutlich, wie groß die Distanz zwischen den Eheleuten ist. Man hat sich auseinandergelebt. Die zentralen Momente der Aufführung finden zwischen Wotan und Brünhilde statt. Kleine Gesten, Blicke, körperliche Nähe markieren das innere Einverständnis zwischen Vater und Tochter, das von den äußeren Umständen untergraben wird. Diese intimen Augenblicke, die Fulljames gekonnt herzustellen weiss und die vom Lichtdesign (D.M. Wood) trefflich unterstützt werden, machen Wagners Werk zu dem, was es ist: zu einem Musikdrama. Die detailgenaue Sichtweise des Regisseurs findet erfreulicherweise im musikalischen Geschehen eine gelungene Entsprechung.
Der für die Produktion vorgesehene Philippe Auguin hat diese aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem Orchester, wie man hören konnte, verlassen. Roland Kluttig ist im letzten Moment eingesprungen. Der deutsche Dirigent erweist sich als Glücksfall. Er hat die Zeit ganz offenbar bestens für intensive Proben genutzt. Er führt das Orchester sicher durch den Abend, koordiniert vorbildlich Graben und Bühne, weiss treffende Tempi und Akzente zu setzen. Der Klang ist transparent und sängerfreundlich durch die Betonung kammermusikalischer Aspekte des Werks. Vergleicht man Generalprobe und dritte Aufführung zeigt sich eine deutliche Aufwärtsentwicklung: Das Orchester artikuliert die Leitmotive und Klanggesten besser, seine Bläser intonieren gekonnter und der Klang zeigt mehr bewegte Dramatik und Entfaltung. Es ist in hohem Masse ein Abend des Orchesters. Dieses kann sich zwar nicht mit Klangkörpern in Wien oder München messen, es zeigt aber, dass es sich in die richtige Richtung entwickelt und schon ein beachtliches Niveau vorzuweisen hat.
Die Besetzung genügt weitgehend höchsten Ansprüchen. Petros Magoulas als Hunding hat nicht die klangliche Schwärze eines Salminen, überzeugt aber vollkommen durch sein großes Ausdrucksspektrum und eloquente Phrasierung. Allison Oakes, die als Sieglinde auf der Bühne steht, hat erst kürzlich erstmals die Brünhilde gesungen. Ihr dramatischer Sopran zeigt Farbe und sichere Höhen, ist stets im Fokus und trumpft mit erstklassiger Phrasierung auf. Die Stamina von Stefan Vinke, der sich in ziemlich guter Form präsentiert, ist beeindruckend. Die Stimme ist gut geführt und der Gesang um Differenzierung bemüht. Gleichwohl gibt es bisweilen gestemmte Höhen und Vibrato. Vinke ist eigentlich aus dieser Rolle herausgewachsen und gewisse Verschleißerscheinungen lassen sich nicht überhören.
Marina Prudenskaya zeichnet ein farbenreiches Porträt der Fricka ohne Gekeife und Schärfen. Ihr klangvoller Mezzosopran ist bestens geführt und man kann vernachlässigen, dass in der Dramatik ihres Auftritts die Textverständlichkeit öfters verloren geht. Der eher schlanke Bariton von Tommi Hakala als Wotan beeindruckt mit dramatischer Wucht und Höhenglanz. Eine schöne Stimme, die im Dialog mit Brünhilde eine Vielzahl klanglicher Facetten entfaltet. Über Catherine Foster muss man im Grunde nicht viel sagen. Sie hat viel Erfahrung mit der Rolle der Walküre und demonstriert, wie stimmlich differenziert man diese Partie singen kann. Vom Piano bis zum auftrumpfenden Forte, von wohlgesetzten Hojotoho-Rufen bis zu nuancierter Klangrede findet man alles, was zu einer hervorragenden Brünhilde gehört. Gut bis sehr gut sind ihre acht Schwestern besetzt. Katherina Sandmeier, Violetta Lousta, Taxiarchoula Kanati, Nefeli Kotseli, Dimitra Kalaitzi-Tilikidou, Fotini Athanassaki, Anna Tselika und Chrysanthi Spitadi bilden eine klangstarke Walkürengruppe.
Die Griechische Nationaloper kann stolz sein auf ihre erste „Walküre“. Die Aufführung ist ein Ereignis und man darf hoffen, dass bis zur nächsten Wagner-Inszenierung nicht allzu viel Zeit vergeht. Und man darf auch sagen, Wagner klingt verdammt gut in dem erst 2017 eröffneten Opernhaus – bezogen auf einen Sitzplatz im hinteren Parkett. Alle Beteiligten werden am Schluss zu Recht mit stürmischem Beifall und lauthalsen Bravorufen gefeiert.
Ingo Starz, 21. März 2024
Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER.online (Wien)
Die Walküre
Richard Wagner
Griechische Nationaloper, Athen
16. März 2024
Co-production mit der Royal Danish Opera
Inszenierung: John Fulljames
Dirigat: Roland Kluttig
Orchester der Griechischen Nationaloper