Geboren in Hessen, in Marburg an der Lahn, zog sie im Alter von vier Jahren mit ihrer Mutter in die bayerische Landeshauptstadt München. Und München war und ist seither ihr privater Lebensmittelpunkt. Dort ging sie zur Schule und bereits als 7-jährige wusste Dorothea bereits, was sie in ihrem Leben will: Singen! Und was anfangs noch ein großer Kinderwunsch war, wurde im Laufe ihres Lebens dann zu Ihrer Profession. Heute ist die Sopranistin Dorothea Herbert eine sehr gefragte Künstlerin ihres Gesangsfachs und an vielen Opernhäusern Deutschlands – und darüber hinaus – besonders als Interpretin des sogenannten deutschen Fachs bekannt. Ein Fach, dass ihr so liegt. So wie auch in wenigen Tagen in Hagen und einen Monat später dann in Baden-Baden. Am 25. Februar 2024 hebt sich der Vorhang zur Hagener Premiere von Richard Wagners LOHENGRIN, in der sie Elsa singen wird, als auch im Festspielhaus in Baden-Baden, wo sie im Rahmen der dortigen Osterfestspiele ab dem 23. März 2024 an vier Abenden als vierte Magd in Strauss‘ Elektra zu erleben ist.
Wahrend der Probenzeiten zu LOHENGRIN stand mir Dorothea Herbert für ein sehr ausführliches Gespräch in Hagen zur Verfügung. Frau Herbert stand schon lang auf meiner Interview-Wunschliste, spätestens seit Erscheinen ihrer ersten CD „Die stille Stadt“, die während der Pandemie im Jahre 2021 produziert wurde. „Anspruchsvoll, so besonders, so ergreifend…, das waren die spontanen Eindrücke, die mir nach dem ersten Anhören von Dorothea Herberts CD in den Sinn kamen…„, schrieb ich seinerzeit in meiner Rezension über diese CD. Und als „anspruchsvoll, so besonders, so ergreifend“ würde ich auch unser Interview, oder besser: Gespräch über die Kunst und das Leben, zusammenfassend beschreiben.
Singen. Das war ihr großer Wunsch seit frühesten Kindertagen. Immerzu und überall. Sie war gerade 7, erzählte sie mir, als Scouts vom weltberühmten Tölzer Knabenchor in ihrer Gegend auf Suche nach jungen Talenten waren. Da wollte sie unbedingt vorsingen – aber es war und ist nun mal ein Knabenchor. Dann aber bot sich die gleiche Chance beim Münchner Kinderchor des Gärtnerplatztheaters. Dort wurde sie genommen und als Kinderchormitglied tat sich ihr dann die große Welt der Oper auf. In über 300 Auftritten mit dem Münchner Kinderchor war sie Teil von Opernproduktionen wie Hänsel und Gretel, Carmen oder La Boheme und vielen anderen, in denen Kinderchöre mitwirkten. Ihre Kindheit und Jugend wurde durch die Musik geprägt und sie genoss es. Spätestens seit dieser Zeit war es Dorothea Herbert vollends bewusst, wohin ihre Lebensplanung gehen sollte: auf die Bühne. Mit 16, als einer der jüngsten Studierenden in Deutschland, begann sie ihre musikalische Ausbildung am Richard-Strauss-Konservatorium in München. Und schon damals war sie für die Medien von Interesse. Im Alter von 18 berichtete der Fernsehsender Bayern Alpha über sie und ihr großes Talent. Anschließend setzte sie mit einem Gesangsstudium in London ihre weitere Ausbildung fort.
Aus dieser Zeit stammt auch das Zitat ihrer Gesangslehrerin: „Singe mit den Zinsen, nicht mit dem Kapital„. Überhaupt, so sagt Frau Herbert im Gespräch, sind es die Gesangslehrer, die so entscheidend wichtig für sie als Sängerin sind. Vor allem, da dass Singen nicht nur ihr Beruf, sondern vielmehr ihr Lebensinhalt sei. Auf die Frage nach dem anspruchsvollen Repertoire, welches sie bedient, sagt sie, dass ihr das alles nicht schwerfällt. Es kommt von innen, sie lebt die Musik, die Partien und die Lieder, die sie interpretiert. Zu ihrem Repertoire gehören Opernpartien wie Senta, Donna Anna, Salome, Rusalka, Leonore (Fidelio), Eva (Die Meistersinger von Nürnberg), Elsa, Rosalinde, Elisabetta (Don Carlo), Agathe, Chrysothemis und Arabella. 2016/17 debütierte sie als Senta an den Bühnen Halle und kurz darauf als Amelia (Un ballo in maschera) am Stadttheater Bremerhaven. 2022 dann ihr Hausdebüt an der Staatsoper Prag in die Rolle der Senta in Der Fliegende Holländer anschließend ihr Rollendebüt als Elsa in Wagners Lohengrin am Staatstheater Darmstadt.
Während ihrer Zeit in Großbritannien hatte sich Dorothea Herbert vier Mal als Chorsängerin beim berühmten Glyndebourne-Chorus beworben. Ein Chor, der bekannt dafür ist, jungen Sängerinnen und Sängern auch als Sprungbrett für ihre weitere Karriere zu dienen. Allerdings blieb es vier Mal nur beim Vorsingen. Was sich zunächst enttäuschend für sie gestaltete, endete aber mit einem Glyndebourne-Happy-End: 2021 wurde sie beim Glyndebourne Festival für die Titelrolle von Beethovens Fidelio engagiert und feierte ihr persönliches Glyndebourne-Debut. Und überhaupt Fidelio…
Eine besondere Beziehung hatte Dorothea Herbert zur Kammersängerin Christa Ludwig, die sie als ihre wichtigste Mentorin bezeichnet. Über 10 Jahre verband die beiden Sängerinnen eine künstlerische Beziehung, die erst mit dem Tode der Jahrhundertsängerin Christa Ludwig im Jahre 2021 endete. Herbert hatte die legendäre Ludwig anlässlich eines Meisterkurses in Wörgl, dem Academia Vocalis, kennengelernt. Über die Jahre entwickelte sich zwischen den beiden Frauen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, die für die junge Sängerin Dorothea Herbert ganz sicher ein persönlicher Glücksfall war. Einmal sprachen die beiden Sängerinnen über Beethovens Fidelio, in dem Christa Ludwig seinerzeit sängerische Maßstäbe gesetzt hat, und Christa Ludwig sagte zu der damals überraschten Dorothea: „Die Partie wirst Du auch noch singen“. Christa Ludwig sollte recht behalten. Im April 2021 verstarb die bedeutende Sängerin im Alter von 93 Jahren und im Oktober 2021 debütierte Herbert mit dieser anspruchsvollen Sopranpartie in Glyndebourne. Dorothea Herbert konnte ihrer bedeutenden Mentorin aber in einem ihrer letzten Gespräche mitteilen, dass ihre Mentorin Ludwig mit ihrer damaligen Vorhersage richtig lag. Und letztlich verband beide Künstlerinnen das innige Verhältnis zur jeweils eigenen Mutter. Bei Christa Ludwig ist bekannt, dass ihre Mutter zeitlebens auch ihre
Lehrerin war.
Für Dorothea Herbert war und sind das Singen und die Musik Lebensinhalt. Gleich einem persönlichen Credo sagt sie dies voller Überzeugung. Und wenn sie über ihren Werdegang, über ihre vielen unterschiedlichen Opernpartien und Engagements spricht, klingt aus allem die Begeisterung für das, was sie macht, heraus. Sie liebt die Partien von Richard Wagner und Richard Strauss besonders. Mit Salome feiert sie seit Jahren Erfolge, wie zuletzt am Staatstheater Braunschweig, als auch mit der Elsa aus Lohengrin, die sie nun im Theater Hagen interpretieren wird. Angesprochen darauf, wie sie sich ihre Partien aussucht, sagt sie mir im Gespräch: „Die Partie muss stimmlich und auch körperlich zu mir passen. Wobei mir Pausen zwischen den verschiedenen Engagements auch wichtig sind. Gerade bei so anspruchsvollen Partien wie es beispielsweise eine Elsa oder auch eine Salome sind.“ Von den Proben zum Hagener Lohengrin berichtet sie verständlicherweise nur wenig, aber zumindest so viel, dass sie selbst sehr begeistert von der Romantik dieser Inszenierung ist und sich auf die Premiere am 25.2.2024 sehr freut. Ausführlicher aber ihre Aussagen über das Theater Hagen insgesamt. Sie fühlt sich dort sehr wohl und auch sehr gut aufgenommen und lobt das kollegiale Miteinander an diesem westfälischen Traditionstheater.
Ich höre Dorothea Herbert bei all ihren Ausführungen gern und sehr interessiert zu. Und auch über das Singen hinaus hat sie sehr viel zu sagen. Frau Herbert ist eine sehr empathische Künstlerin, mit der es ungemein lohnt, auch über Lebenssituationen zu sprechen, die fernab von Theatererleben und Theaterapplaus sind.
Ausdruck dessen mag auch die Liederauswahl auf ihrer ersten CD sein, die Lieder von Alma Mahler, Franz Schreker und Erich Wolfgang Korngold umfassen. Aufgenommen zu einer Zeit, die auch für Dorothea Herbert als Künstlerin eine schwere und herausfordernde war. Die Corona-Pandemiezeit mit ihrer, gerade für Sänger und Sängerinnen tristen, ungewissen und grauen Zeit. Das schwingt in ihren Liedinterpretationen mit.
Als wir anlässlich ihrer damals in Kürze erscheinenden Lied-CD telefonierten, befand sie sich in Probenzeit zu Fidelio im englischen Glyndebourne. Ich erinnere mich gut an unser erstes Telefonat. Bedingt durch die damals vorherrschenden Quarantäne- und Einreisebestimmungen war es ihr nicht möglich, zwischen den Proben mal schnell einen Flieger nach Deutschland zu nehmen ohne bei der Wiedereinreise nach Großbritannien auf große Probleme zu stoßen. So verbrachte Dorothea Herbert mehrere Wochen in Glyndebourne zu Probenzwecken und zu den dann folgenden Vorstellungen. Aber die Musik und das für sie so wichtige Singen, machten es der Künstlerin einfacher, diese Zeit als eine zu erleben, auf die sie mit jetzigem zeitlichem Abstand zufrieden zurückschaut.
Dorothea Herbert ist neben der erfolgreichen und gefragten Opernsängerin auch ein Mensch mit allen Facetten von Glück, Zufriedenheit, Liebe, Schmerz und Trauer. Wenn sie sagt „Die Musik und das Singen sind mein Lebensinhalt“, meint sie damit auch, dass es eben die Musik und ihr Gesang sind, die sie stets begleiten. Auch in Zeiten, wo das Singen vermeintlich schwer zu fallen scheint. Aber in ihrem Fall sind die Musik und der Gesang nicht allein nur Lebensinhalt, sondern vielmehr auch begleitende und auch tröstliche Aspekte von Leben, mit allem was es uns gibt und auch unwiederbringlich nimmt.
Ich danke Dorothea Herbert für ein wundervolles, tiefsinniges und musikalisch hochinteressantes Gespräch und wünsche ihr abschließend eine erfolgreiche Lohengrin-Premiere in Hagen.
Detlef Obens, 24. Februar 2024
Besonderer Dank an unsere Freunde und Kooperationspartner vom OPERNMAGAZIN