Dresden, Konzert: „Siegfried“, Richard Wagner – in historischer Klang-Annäherung

Das Abschlusskonzert der Dresdner Musikfestspiele 2025 gehörte dem dritten Teil des „The Wagner Cycles“, einem konzertanten „Siegfried“ in einer dem Ursprung angenäherten Aufführungspraxis. Nachdem die Musikkritiker der „New York Times“ eine konzertante „Walküre-Aufführung“ der Dresdner Musikfestspiele vom 16. März 2024 im Concertgebouw Amsterdam aus dem Vorjahr in ihre Liste der zwanzig weltweit besten Aufführungen des Jahres aufgenommen hatten, nahm in der Stadt die Diskussion, das Projekt „The Wagner Cycles“ zu einem Forschungs- und Kompetenzzentrum des Musiktheaters des 19. Jahrhunderts, zu einer „Richard-Wagner-Akademie“, zu erweitern, wieder richtig Fahrt auf. Die künstlerische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Aufführungspraxis dieser insbesondere für die Dresdner Konzertlandschaft interessanten Zeit sollte eine ständige Aufgabe bleiben und verstreutes Wissen konzentrieren. In der noch andauernden Diskussion des „Ob und Wie“ war eine von mir unterstützte Anregung aufgenommen worden, im Zuge einer eventuellen Zerschlagung des Volkswagenkonzerns dessen merkwürdiges Objekt der „Gläsernen Manufaktur“ als Standort der RWA zu nutzen. Dort fanden ohnehin in der Vergangenheit aufwendige Konzertveranstaltungen mit üppigen Mahlzeiten und anregenden Diskussionen statt. Vor allem würde das Objekt die angespannte Situation bezüglich der Bereitstellung von Proberäumen für kleinere Musikergruppen entspannen können.

© Oliver Killig

Dem dritten Teil der „The Wagner Cycles“, dem „Siegfried“ mit der Musikalischen Leitung des Kent Nagano sahen wir gespannt entgegen, waren doch interessante Informationen aus dem Kreis der Beteiligten über weitere Erkenntnisse der Konzert- und Theaterpraktiken aus dem 19. Jahrhundert gedrungen. Über die ersten Aktivitäten der Ausweitung der Erprobung auf ursprüngliche Hörerlebnisse hatte ich in einem Bericht von den „Wagnerstätten Graupa“ mit dem „Siegfried-Idyll“ und Mendelssohn Bartholdys „Streicher-Oktett Es-Dur“ mit ihren aufschlussreichen Facetten bereits berichtet.

Leider hatte die Staatsoper Prag am 1. April 2025 aus Termingründen den Dresdner Musikfestspielen die Premiere des historischen „Siegfrieds“ weggeschnappt. Aus alter Verbundenheit des Festspielorchesters mit dem Concerto Köln hatte es zudem am 10. April 2025 in Köln eine Aufführung gegeben, über die Norbert Pabelick im „Der Opernfreund“ bereits ausführlich berichtete (hier geht es zum Bericht). Seinen sachkundigen Ausführungen hätte ich außer der Benennungen der Umbesetzungen einiger der Rollen nichts hinzuzufügen.

Als boshafter und intrigierender Mime strukturierte der aus Kärnten stammende Thomas Ebenstein vor allem den Generationskonflikt mit Siegfried, indem er seine eigentlich glanzvolle Tenorstimme von Blondelles poetischer Darstellung absetzte.

© Oliver Killig

Das Orchester hatte bereits verraten, dass der Wanderer Simon Bailey kein anderer als der Gott Wotan war, der trotz seiner inneren Zerrissenheit nahe der Resignation mit seinem tiefgrundierten voluminösem Bariton gegen den Alberich von Daniel Schmutzhard, vor allem bei der Auseinandersetzung mit der Erdgöttin aufzutrumpfen versuchte. Die Erda der Gerhild Romberger konnte mit ihren edlen, feinversponnene differenzierten Phrasen energisch gegenhalten.

Richard Wagner und sein Berater in Gesangsfragen Julius Hey (1832-1909) legten bei ihren Einstudierungen des „Siegfrieds“ großen Wert auf die Konsonanten-Aussprache und eine deutliche Trennung von Worten bzw. Silben. Bei den Vorbereitungen für „Siegfried“ war besonders intensiv die Sprechwissenschaftlerin Ursula Hirschfeld von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wirksam. Sie bezog ihre Mitwirkung auf Wagners Forderung, dass nicht der Wohlklang, sondern die Verständlichkeit im Vordergrund einer Rolleninterpretation zu stehen habe. Über 150 Quellen aus dem 19. Jahrhundert wertete das Team um die Professorin aus. Die Teile des Wortschatzes Wagners, die heute nicht mehr gebräuchlich sind, wurden bezüglich ihrer Bedeutung untersucht und wie sie ausgesprochen worden waren. Auch interessierte in Halle, welche Bedeutung heute noch gängige Worte früher hatten und wie sie damals artikuliert worden sind. Mit den Sängern wurden die „Wagner-Lesarten“ regelrecht trainiert. Vor allem die Konsonanten am Wortende fallen den Sängern schwer, weil sie eine besondere Körperspannungsbelastung darstellen. Um uns Hörer nicht zu überfordern, wurden wir im „Siegfried-Konzert“ mit einem Kompromiss konfrontiert und erlebten einen Mittelweg zwischen Julius Hey und unseren nachlässigen Hörgewohnheiten.

© Oliver Killig

Die üppig besetzten Streicher des Orchesters hatten stellenweise einige Mühe, mit ihrer Darmsaiten-Bespannung das Volumen des Dresdner Weinberg-Konzertsaales auszufüllen, obwohl dem Gerücht nach Maestro Nagano einige Stahlsaiten zugelassen habe. Die Bläsersektion hatte mit ihren historisch angepassten Instrumenten weniger Probleme, die 19 000 m³ des Raumes zu füllen. Vor allem boten die ohne Ventile ausgestatteten Hörner opulente Obertöne. Das demonstrierte besonders der Solo-Hornist Franz Draxinger mit seiner Entwicklung des Siegfried-Motivs.

Der Klang im „Schuhkarton“ der „Wagnerstätten Graupa“ könnte authentischer empfunden gewesen sein. Zumindest mir war im Verlaufe des langen Abends die 435-Hz-Einstimmung des Orchesters als Besonderheit verloren gegangen. Nach den fünf Stunden hatte ich mich an den Sound gewöhnt.

Thomas Thielemann, 15. Juni 2025


Richard Wagner: „Siegfried“ in einer der Entstehungszeit angepassten Aufführungsform

Abschlusskonzert der Dresdner Musikfestspiele 2025
Konzertsaal des Kulturpalastes Dresden.

14. Juni 2025

Dresdner Festspielorchester
Concerto Köln
Dirigent: Kent Nagano