Dresden, Konzerte: „Abschiedskonzert Marek Janowski“

Der 1939 in Warschau geborene Marek Janowski war 2001 mit dem Versprechen nach Dresden gelockt worden, dass es zeitnah einen Konzertsaalneubau geben werde. Als sich die Neubaupläne zerschlugen, verließ er 2003 ziemlich verärgert die Dresdner Philharmoniker, weil er die Nutzung des Mehrzweckraumes des Kulturpalastes für unzumutbar erachtete. Dabei verband ihn mit der Stadt einer seiner großen Erfolge, als der am Anfang seines vierten Lebensjahrzehnt Stehende von 1980 bis 1983 mit der Sächsischen Staatskapelle und einem hochkarätigen Solistenensemble den „Ring des Nibelungen“ im Studio „Lukaskirche Dresden“ als Co-Produktion des VEB Deutsche Schallplatten mit Ariola-Euro Disk erstmals digital einspielte.

Nachdem statt des Neubaus im zwischenzeitlich ausgekernten denkmalgeschütztem Kulturpalast 2017 ein akustisch gelungener Konzertsaal eingebaut worden war, kam Janowski 2019 als Chefdirigent zur Dresdner Philharmonie zurück. Da Janowski Kontraste liebt, wählte er für sein neuerliches Abschiedskonzert neben Anton Bruckners (1824-181896) fünfter Symphonie B-Dur Benjamin Brittens „Les illuminations“ für hohe Stimme und Streicher.

© Oliver Killig

Benjamin Britten (1913-1976) war 25 Jahre alt, als er 1939 zehn Prosagedichte aus der epochalen Sammlung Arthur Rimbauds (1854-1891) zur Vertonung auswählte. Sowohl Britten als auch Rimbaud waren zur Zeit der Entstehung sowohl der Gedichte als auch der Kompositionen etwa gleich alt und beide verband ihre prekäre Lebensform. Dazwischen lagen aber über sechzig Jahre gesellschaftlicher Fehlentwicklung. Die Texte sind inhaltlich kaum miteinander verbunden und stellen klangsinnliche Wortmalereien in den Vordergrund. Das Rätsel der Hintergründe der visionär-kryptischen Prosagedichte konnte bisher nicht aufgelöst werden, was ihrer Faszination aber keinen Abbruch verschafft. Brittens Kompositionen sind wie Rimbauds Lyrik von mystischen und surrealen Aspekten geprägt, die mit ihrer rauen Musik die traditionellen Schönheitsvorstellungen aufbrechen sollen. So wurden in der einleitenden Fanfare Streichinstrumente mit gebrochenen Akkordfolgen maskiert, so dass sie sich wie Blechblasinstrumente anhören sollen.

Die Sopranistin Mirjam Mesak bewies, dass die Moderne durchaus zu ihren Stärken gehört. So kompliziert eine Musik sein mag, sie gestaltete mit ihrer Begeisterung und den mit Unterstatement gebotenen Darbietungen ein faszinierendes Hörerlebnis. Ihr gelang es, unterschiedliche Stimmungen auszuleuchten und eine große Bandbreite an Schattierungen und Farben erklingen zu lassen. Mit Sensibilität und unangestrengter Intensität stellte sie den Kernsatz Rimbauds „Ich allein habe den Schlüssel zu diesem Possenspiel“ in den Mittelpunkt ihrer Darbietung. Mit strahlender Höhe wird ein Stadtleben beschrieben, dramatisch die aufgewühlte See artikuliert und mit lyrischen Tönen der mit Blumen bekränzte Pan gewürdigt. Marek Janowski legte einen dünnen und herben Streicherklang unter die Stimme der estnischen Sopranistin, so dass die sinnliche Schönheit der Komposition unterstrichen wurde.

© Oliver Killig

Anton Bruckner (1824-1896) war im November 1875 zum Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt an der Wiener Universität ernannt worden. Mit seiner fünften Symphonie wollte er sein „kontrapunktisches Meisterwerk“ schaffen. Aber, abgesehen dass ihm das bis zum Mai 1876 komponierte Werk endgültig die Feindschaft Eduard Hanslicks (1825-1904) sicherte, war jene seiner Symphonien entstanden, die sich die umfangreichsten Eingriffe hat gefallen lassen müssen. Wegen der Länge und der Schwierigkeiten der Partitur stand eine Aufführung lange in Frage, bis Bruckners Freund, der Komponist Josef Schalk (1857-1900), die Symphonie 1877 mit einer Umarbeitung einem breiteren Publikum schmackhaft gemacht zu haben glaubte. Aber bis 1887 hat auch Schalk an seiner Bearbeitung gewerkelt. Bruckner ließ ihn gewähren und hat selbst die Tondichtung nur einmal in einer Fassung für zwei Klaviere gehört. Zögerlich gab ein schwerkranker Anton Bruckner seine Zustimmung zu einer Uraufführung der inzwischen gültigen Fassung im April 1894.

Marek Janowski brachte mit der Dresdner Philharmonie eine Interpretation der kraftvollen Musik zu Gehör, mit der sich Bruckner „der Schwäche der gegenwärtigen Weltlage“ seiner Zeit entgegengestellt hatte. Mit einer Verbindung aus gestalterischer Kraft und Freude am Musizieren konnte Janowski jene Motive hervorheben, die uns Bruckners Intensionen heute so besonders wertvoll und bedeutsam machen. Das Hauptmotiv des Kopfsatzes ließ er in Balance und Klarheit in der Schwebe, bis dem Thema nach gefühlten vierzehn Minuten die Festigkeit zugewachsen war und der  Kulminationspunkt erreicht werden konnte. Im Adagio war der lange Atem zu bewundern, wie Janowski das Orchester die schier unerschöpfliche Melodie des zweiten Themas mit langsamem Schreiten auskosten ließ. Die vertrackten rhythmischen Motive des Scherzos ließ Janowski die Orchestergruppen regelrecht aufeinander hetzen und trieb sie, ihre hohe Virtuosität auszuspielen. Im Finalsatz konnte Janowski mit einem edlen Orchesterklang die Vereinigung der drei Themen zu einer eindrucksvollen Verdichtung führen. Dank seiner Vertrautheit mit dem Orchester genügten kleine Bewegungen des Dirigenten, um im Choral des Finales die prachtvollen Basstöne hervortreten zu lassen und damit sein Engagement in der Stadt zu krönen.

Lang anhaltender Beifall dankte dem Maestro für den Konzertabend und vor allem für seine Leistungen in der Stadt.

Thomas Thielemann 5. Juli 2023


Konzert im Kulturpalast Dresden

2. Juli 2023

Abschiedskonzert Marek Janowski

-Benjamin Britten: „Les illuminations“ für hohe Stimme und Streicher (1939)

-Anton Bruckner: Symphonie Nr. 5 B-Dur (1873-1878)

Dirigent: Marek Janowski

Solistin: Mirjam Mesak Sopran

Dresdner Philharmonie