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Opernfestspiele
IDOMENEO
Premiere am 19. Juli 2021
Glänzend gelungen
Nach Wagners „Tristan und Isolde“ fand die zweite wichtige Neuinszenierung der Münchner Opernfestspiele im Prinzregententheater statt, das die Bayerische Staatsoper im Rahmen der August Everding Opernakademie auch während der Festspiele bespielt. Die Premiere von Mozarts „Idomeneo“ in der Inszenierung des jungen und offenbar sehr begabten Nachwuchsregisseurs Antú Romero Nunes unter der musikalischen Leitung von Constantinos Carydis, einem ausgewiesenen Mozart-Experten, wurde zu einem vollen Erfolg. „Idomeneo“ erlebte bekanntlich seine Uraufführung 1781 am Münchner Cuvilliés-Theater.

Phyllida Barlow schuf wirkmächtige Bilder in einem raffinierten Lichtdesign mit stets zur Handlung passenden mystischen Effekten von Michael Bauer und oft phantasievollen Kostümen von Victoria Behr. Mit ihren raumgreifenden Skulpturen aus groben Alltagsmaterialien gehört Phyllida Barlow zu den international profiliertesten britischen Künstlerinnen. Sie stattete mit dem Münchner „Idomeneo“ zum ersten Mal eine Theaterproduktion aus. Barlows Bilder wollen die psychologische und emotionale Beziehung zwischen der Phantasiewelt der Götter, die ihre Macht und Autorität von den Hauptcharakteren erhalten, und der Realität der emotionalen Welten ergründen, der die Protagonisten zu entfliehen suchen, die sie aber akzeptieren müssen. So bestehen ihre eindrucksvollen und das Geschehen erheblich mitbestimmenden Bühnenbilder aus drei wesentlichen und oft bewegten Elementen, die die Hauptthemen des Stücks sinnhaft symbolisieren: Ein riesiger Felsblock wie ein gewaltiger Meteorit für das Archaische, das Alte der Welt des ans Ende seiner Macht kommenden Königs Idomeneo; eine große Holzstruktur, wie man sie an Meeresstränden zur Befestigung sieht, die aber im Laufe des Stücks immer mehr verfällt, die Machtlosigkeit der Beziehung der Menschen zum bedrohlichen Meeresgott Neptun nahelegend. Die dritte sind zwei leichte, buntbemalte Strukturen auf hohen Stelzen, die zum Teil an Industrieruinen, zum Teil an Neubauten erinnern, also eine beschädigte Vergangenheit, aber auch Möglichkeiten symbolisieren, die sich in der Zukunft bieten können. In diesen Strukturen tauschen bezeichnenderweise die Jungen, Ilia und Idamante, ihre Zukunftsansichten aus und schmieden Pläne.

"Es geht darum, dass ein Vater versucht, seinen Sohn nicht zu hassen." Hiermit bringt Regisseur Romero Nunes seine Sicht des „Idomeneo“ auf den Punkt. Er will zeigen, dass es sich hier um einen Generationenkonflikt handelt, dass das Alte nicht erkennt, dem Jungen weichen zu sollen, ja gar zu müssen. Das zeigt er mit einer stark psychologisierenden Personenregie nachvollziehbar an allen Protagonisten, insbesondere an Idomeneo und seinem Sohn Idamante. Daraus und aus den phantasievoll changierenden Bildern von Phyllida Barlow bezieht diese gelungene Produktion ihre dramaturgische Spannung. Die zeitweise bizarre Choreografie von Dustin Klein verlangt Ilia und Idamante einige nahezu stuntähnliche Kletterpartien ab und sorgt auch für unkonventionell choreografierte Balletteinlagen, die in ihrer Aufmachung auch das so heftig, wenn auch nicht immer überzeugend diskutierte Thema der Diversität anklingen lassen.

Matthew Polenzani singt mit einem lyrischen Tenor den ständig an Machtverlust bis zur finalen Selbstaufgabe leidenden Idomeneo. Emily d’Angelo ist ein sehr agiler Idamante mit facettenreichem Mezzo und guter Attacke. Olga Kulchynska singt die Ilia mit einem glockenreinen Sopran, und Hanna-Elisabeth Müller nimmt das Publikum mit einer außergewöhnlich intensiven Interpretation der Elettra ein, stimmlich wie darstellerisch. Martin Mitterrutzner gibt einen guten Arbace, Caspar Singh einen für die kleine Rolle beachtlichen Oberpriester Poseidons, und Callum Thorpe orgelt furchteinflößend das Orakel. Weniger überzeugend sind die gelegentlichen Kommentare aus Lautsprechern.

Das Bayerische Staatsorchester wurde von Carydis zu einer Höchstleistung angetrieben, starke dramatische Akzente setzend, da wo Mozarts Musik schon fast wie dramatischer Verismo wirkt. Gleichwohl gelingen auch die subtileren Momente. Der Chor, einstudiert von Stellario Fagone, war in Topform, und das nur bei etwa halber Größe. Denn die andere Hälfte war gleichzeitig am Nationaltheater in „Die Vögel“ von Walter Braunfels eingesetzt.
Riesenapplaus für alle Akteure inklusive des leading teams, mit einem besonderen Bravosturm für Hanna-Elisabeth Müller als Elettra, die in der Tat eine denkwürdige Vorstellung bot. Mit diesem „Idomeneo“ haben die Münchner Opernfestspiele 2021 ein starkes Zeichen gesetzt.
Fotos: Wilfried Hösl/ Bayerische Staatsoper
Klaus Billand/8.8.2021
www.klaus-billand.com
Opernfestspiele
Tristan und Isolde
Vorstellung am 4. Juli 2021
Jonas Kaufmann reüssiert in München eindrucksvoll als Tristan!
Nun war es endlich soweit! Die erwartungsvoll oft als die bedeutendste Wagner-Premiere des Jahres 2021 bezeichnete Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ an der Bayerischen Staatsoper München mit dem Rollen-Debut von Jonas Kaufmann als Tristan sowie jenem von Anja Harteros als Isolde erlebte endlich ihren Start in der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski unter der musikalischen Leitung von Kirill Petrenko.
Jonas Kaufmann hatte ja konzertant den 2. Aufzug bereits 2018 gesungen und wagte sich nun an diese Mammut-Aufgabe, szenisch und in voller Länge. Um es gleich vorwegzusagen: Der Startenor hat diese Aufgabe bestens gemeistert! Schon äußerlich von nahezu idealer Erscheinung gestaltete er die Rolle (2. Reprise am 4. Juli) in ihren über die drei Aufzüge so intensiv wechselnden emotionalen Facetten äußerst eindrucksvoll, emphatisch, authentisch und, wenn immer erforderlich, auch nachvollziehbar kontemplativ. Sein in letzter Zeit dunkler gewordener Tenor erweist sich mit seiner baritonalen Einfärbung als besonders geeignet für die vokale Charakterisierung des im Prinzip depressiven und auch in dieser Inszenierung depressiv gezeigten sowie im Finale delirierenden Titelhelden. Kaufmann singt die Rolle mit einem virilen Timbre bei guter Resonanz, nahezu perfekter Diktion und auch in den tenoralen Ausbrüchen des 3. Aufzugs mit emotionaler Intensität und Überzeugungskraft. Hier erreichte er jene „Menschlichkeit des Verrücktwerdens“, von der er in einem Interview mit Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung SZEXTRA Ende Juni sprach.

Anja Harteros ist ebenso ein Bild von einer Isolde, der von König Marke begehrten Braut, auf die verständlicherweise auch Melot ein Auge geworfen haben soll. Die Sopranistin agierte mit einer höfischen Aura, emotionaler Eleganz und Intelligenz. Stimmlich fand sie - auch bei perfekter Diktion - am besten zu sich selbst im Dialog mit Tristan im 1. Aufzug sowie im 2. Aufzug. Hier strahlte ihr Sopran die ihm so eigenen ruhigen, leuchtenden Klangfarben aus, die einen die Stimme wie im Raum schwebend erfahren lassen. Das hörte sich stimmlich nahezu ideal und sehr einnehmend an. Der von großer innerlicher Aufregung charakterisierte Dialog mit Brangäne im 1. Aufzug lag ihr hingegen weniger. Hier ging zugunsten des Meisterns der dramatischen Passagen die sängerische Gestaltungskraft bei abnehmender Wortdeutlichkeit teilweise verloren.
Okka von der Damerau, die sich schon auf die Brünnhilde in Stuttgart vorbereitet, gab eine ausdrucksstarke und stimmlich souveräne Brangäne mit einem heller gewordenen Mezzo, sodass die gewohnte vokale Abstufung zu Isolde kaum wie gewohnt und eigentlich auch erwünscht zu hören war. Von der Damerau verfügt über enormes stimmliches Volumen, sie neigte im 1. Aufzug bisweilen aber auch zu hoher Lautstärke. Wolfgang Koch sang den agilen Kurwenal mit seinem Heldenbariton prägnant, klar und wortdeutlich sowie mit guter Attacke, ein ernstzunehmender Mitstreiter Tristans an diesem Abend. Mika Kares ließ als König Marke eine ebenso klare und eher helle Bassstimme hören und wirkte in seiner Reaktion auf den vermeintlichen Betrug des Freundes sehr überzeugend. Vielleicht wäre etwas mehr Tiefe reizvoll gewesen. Der junge Seemann von Manuel Günther führte mit einem anmutig gesungenen lyrischen Lied in das Geschehen ein. Melot fand in Sean Michael Plumb einen guten Interpreten ebenso wie der Steuermann von Christian Rieger mit seinen zwei Versen. Dean Power war der Hirt und verkörperte die ganze Melancholie des Englischhorns von Simone Preuin.

Kirill Petrenko machte schon mit der langsamen Steigerung des Vorspiels bis zur vorwegnehmenden musikalischen Extase deutlich, dass dies ein ganz besonderer Abend mit dem Bayerischen Staatsorchster werden sollte. Äußerst gefühlvoll und detailverliebt im Ausmusizieren auch scheinbar noch so unbedeutend wirkender Momente geleitete er die Sänger mit großer Behutsamkeit durch den Abend und die Herausforderungen der Partitur. Zu einem großartigen Höhepunkt wurde dabei das nahezu episch interpretierte Liebesduett zwischen Tristan und Isolde, das jedoch niemals die von Petrenko sorgfältigst aufgebaute innere Spannung verlor. Es wirkte so wie eine Oper in der Oper, dieses eine dreiviertel Stunde dauernde Duett. Und ich kann mich nicht erinnern, den Einbruch des Tageslichts mit Marke und seinen Männern in die Szene je so eindringlich und schockierend empfunden zu haben. Man wurde auch als Zuschauer wie aus einem Traum gerissen, wie eben Tristan und Isolde! Auch der von Stellario Fagone geleitete Chor trug wesentlich zum exzellenten musikalischen Gesamteindruck bei.

Daran hatte natürlich auch Regisseur Krzysztof Warlikowski seinen Anteil, der mit einer interessanten Inszenierung in einem leicht variierenden Einheitsbühnenbild eines holzgetäfelten eleganten Salons aus den 1920er Jahren von Malgorzata Szcześniak mit guter Bühnentiefe, mit einer Gruppe von vier eleganten Ledersesseln und einer Chaise longue sowie dramaturgisch sorgsam ausgewählten Video-Einspielungen von Kamil Polak bei einem stets Stimmungen untermalenden Licht-Design von Felice Ross einen guten Rahmen für Wagners „Handlung in drei Aufzügen“ entwarf.

In diesem Raum, der stets auch ein Nicht-Entrinnen-Können suggeriert, brachte der Regisseur die komplexen Beziehungen der Protagonisten bei guter Personenregie immer wieder in einen eindrucksvollen und somit überzeugenden Fokus. Er beraubte sich aber letzten Endes immer wieder der vollen Wirkung seiner Bilder sowie der intensiven Wirkung der Protagonisten durch das Einbringen von völlig stückfremden Elementen, wie ein puppenartiges Pärchen, das schon während des Vorspiels, welches man lieber allein von Petrenko und dem Orchester gehört hätte, eine Art tour d´horizon durch das Leben von Tristan und Isolde vollzog.
Später lag dann die männliche Puppe statt Tristan auf der Chaise longue neben Kurwenal, dessen Entsetzen angesichts der Leiden seines Herrn gar nicht mehr zu verstehen waren. Denn dieser saß derweil an einem Tisch wie beim letzten Abendmahl mit etwa zehn Puppen und sang erstmal von dort aus seine Fieberphantasien im 3. Aufzug, die ihm auch schon mal ein Klettern über die Tischplatte abverlangten… Hinzu kamen wirklich überflüssige, nun auch schon wieder zu postmodernen Stereotypen verkommene Statisten in weißer Unterwäsche, ein immer häufiger zu sehender neuer Opern-Fetisch.
Wenigstens nachvollziehbar war die Idee des Regisseurs, dass Tristan aus einem Krieg kommt und deshalb der junge Seemann noch mit einem Kopfverband in der Szene ist und bleibt, um von der plötzlich zur Krankenschwester mutierenden Brangäne frisch verbunden zu werden. Wirklich überzeugend war hingegen die Video-Zuspielung in Schwarz-Weiß eines Schlafzimmers auf dem Schiff, in dessen Doppelbett Isolde heimlich auf Tristan wartet und in welchem sie mit ihm schließlich langsam in den Fluten zu versinken drohte. Das zu Petrenkos Liebesduett - das war schon etwas ganz Besonderes!
Die Frage bleibt: Warum müssen als vermeintlich modern verstehende oder wenigstens zeitgenössische Regisseure und ihre Dramaturgen wie hier Miron Hakenbeck und Lukas Leipfinger, stets von verständlichen Emotionen abstrahieren, ja fast einer Obsession unterliegen, sie dem Publikum nicht zu zeigen, sie bisweilen gar zu kaschieren, obwohl es die Musik gerade bei Wagner mit großer Intensität verlangt. Das bleibt wohl noch länger ein Geheimnis des Regietheaters, weiter Teile einer entsprechend wohlwollenden Presse und der nicht immer nachvollziehbaren Gedankengänge der Regisseure und Dramaturgen, die allerdings allzu oft in deren sehr persönliches Umfeld und Erleben führen.
Dem musikalischen Triumph dieses „Tristan“ in München, der vorletzten Premiere der 13jährigen erfolgreichen Intendanz von Nikolaus Bachler konnte das jedenfalls keinen Abbruch tun. Stürmischer, sehr verdienter und lang anhaltender Applaus!
Fotos: Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
Klaus Billand/31.7.2021
www.klaus-billand.com