30. Oktober 2021, Graz, Stephaniensaal
ROLANDO VILLAZÓN mit L’ARPEGGIATA unter CHRISTINA PLUHAR
Eigentlich war diese Produktion bereits für 2020 geplant. Im Rahmen einer Tournee waren Aufführungen in Paris, Düsseldorf, München, Leipzig, Wien und Graz vorgesehen. Aber all das fiel wegen Corona ins Wasser. Dem Generalsekretär des Grazer Musikvereins Dr. Michael Nemeth gelang es als einzigem Veranstalter, einen Ersatztermin zu finden und so wurde das Grazer Publikum im ausverkauften Stephaniensaal Zeuge eines großartigen und heftig bejubelten Konzert-,nein musikdramatischen Abends! Die Besetzung war klug gewählt: der Publikumsmagnet Rolando Villazón in der zentralen Rolle des Orfeo und das in der alten Musik erprobte Vokal- und Instrumentalensemble L’Arpeggiata.
Nachdem dem mexikanischen Tenor 2009 eine Zyste an den Stimmbändern entfernt worden war, mied er die dramatischeren Partien, um mit lyrischen Rollen die Geschmeidigkeit seiner Stimme zu trainieren. Seinen Terminankündigungen ist zu entnehmen, dass es – neben seinen Aufgaben als Intendant der Mozartwoche Salzburg! – bis Mitte 2022 viele Konzerte und nur 8x Papageno (in der Met) geben wird. Da passt der Orfeo ausgezeichnet hinein, hatte sich doch Monteverdi für diese Rolle eine mittlere Stimmlage mit tenoralen Höhen und guten Tiefen vorgestellt. Villazón nähert sich seinem 50.Geburtstag – einen Tag vor dem Grazer Auftritt hat er zu seinem Geburtstagskonzert eingeladen:
Rolando Villazón ist auch auf dem Konzertpodium eine charismatische Bühnenpersönlichkeit und dominiert den Abend, ohne sich aber mit äußerlichem Stargehaben ungebührlich in den Vordergrund zu spielen. Beide Orfeo-Seiten verkörpert er absolut glaubwürdig: die Freude zu Beginn und im letzten Akt ebenso wie das verzweifelte Leid in der Unterwelt. Die Stimme wird mit exzeptionell-deutlicher Artikulation ausgeglichen geführt. Wenn man etwas anmerken darf: das unvergleichliche Villazón-Timbre ist ein wenig eindimensional geworden und stilistisch bewegt er sich hörbar auf einem anderen Feld als das übrige Vokalensembles. Das sind zehn ausgewiesene Barockspezialisten und seien hier ausdrücklich alle zehn genannt:
CÉLINE SCHEEN La Musica | Proserpina, GIUSEPPINA BRIDELLI Messagiera, ANNE-KATHRYN OLSEN Euridice, BENEDETTA MAZZUCATO Ninfa | Speranza, VINCENZO CAPEZZUTO Pastore, CYRIL AUVITY Pastore | Spirito, KRYSTIAN ADAM Pastore | Spirito, BENOÎT ARNÔULD Apollo | Spirito, JOSÉ COCA LOZA Caronte | Spirito, SALVO VITALE Plutone | Spirito. Sie sangen alle Chorpassagen und wechselten bruchlos in die einzelnen Solopartien – eine großartige und überzeugende Leistung! Das ebenso profilierte 16-köpfige Instrumentalensemble wurde von Christina Pluhar geleitet – für mich erstmals nicht von der gewohnten Theorbe aus, sondern als Dirigentin. Sie tat dies mit klar gesetzten und sparsamen Zeichen und mit großer Autorität. Ein Hinweis sei erlaubt: das Ensemble spielte nur mit zwei Barockgeigen, obwohl es in der kritischen Werkausgabe heißt: 10 members of the violin family (viole da brazzo) in 2 groups 2 violins, 2 violas, cello; 2 basses Die beiden aufgebotenen Geigen spielten technisch und stilistisch exzellent, blieben aber im Prolog, im ersten und fünften Akt dynamisch gegenüber der Bassgruppe zu sehr im Hintergrund.
Es gab geschickte Kostümwechsel, die die Handlung verdeutlichten und zwei nette „Gags“: am Ende des ersten Akts übergab Euridice an Orfeo als Zeichen ihrer Liebe einen (für Villazón typischen) roten Schal und Orfeo trug seine Noten mit einer goldenen Leier auf dem Umschlag ständig vor sich her.
Der Jubel des Publikums war riesig und Villazón erhielt von Verehrerinen zahlreiche Geschenke überreicht, aber auch alle anderen Ausführenden wurden mit verdientem Beifall bedacht. Alle waren spürbar dankbar, diesen musikantischen, knapp 2 Stunden ohne Pause abflaufenden Abend erleben zu können. Eine über die szenischen Andeutungen hinausgehende „Inszenierung“ vermisste man nicht. Die Favola in musica wurde 1607 im Palazzo Ducale zu Mantua ja auch nicht szenisch aufgeführt. Dazu liest man u.a. im gut redigierten Programmheft:
Was aber war es dann, das die erste Aufführung von Monteverdis Orfeo vor den Mitgliedern der Accademia degli Invaghiti zur eigentlichen Geburtsstunde der Oper werden ließ? Das Libretto des kongenialen Textdichters Alessandro Striggio, das in seiner Versstruktur und seinem dramaturgischen Aufbau dem Genie des Divino Claudio die ideale Vorlage bot, ein musikalisch höchst abwechslungsreiches Dramma in musica zu gestalten.
Hermann Becke, 31.10.2021