Neuinszenierung am 15. November 2018
Salome wieder am Ort der österreichischen Erstaufführung
Der Hofzensor schrieb an den Staatsopern-Direktor Gustav Mahler 1905 zur geplanten österreichischen Erstaufführung der „Salome“ von Richard Strauss an der Wiener Hofoper, dass deren „Darstellungen in das Gebiet der Sexualtherapie gehören“, woraufhin die Produktion in Wien der Zensur zum Opfer fiel. Man mag es kaum glauben, dass am Bolschoi-Theater in Minsk, der Hauptstadt Weißrusslands, erst im vergangenen September eine Neuinszenierung der „Salome“ zunächst abgesagt werden musste, weil orthodoxe Aktivisten mit der Aufführung dieses absoluten Meisterwerks der Opernliteratur die religiösen Gefühle der orthodoxen Bürger des Landes verletzt sahen. Die Produktion ging dann doch über die Bühne, sogar mit großem Erfolg. Das war immerhin 112 Jahre nach der öst. EA in Graz, welches nach der Absage in Wien in den Genuss der EA kam, und noch ein Jahr mehr nach der UA in Dresden! Ja, aus dem Schauspiel „Salomé“ von Oscar Wilde aus dem Jahre 1891 wurde nach der deutschen Übersetzung von Hedwig Lachmann mit dem Libretto sowie der Vertonung durch Richard Strauss ein durchaus grenzwertiger Opernklassiker – allerdings im besten Sinne anspruchsvollen Musiktheaters. Er ist aus den Spielplänen bedeutender Häuser kaum noch wegzudenken.
Am 16. Mai 1906 war es dann in Graz so weit, und es gab auch hier noch große Aufregung vor der Premiere, wie die Dramaturgin Marlene Hahn im interessanten Programmheft feststellt. Neben Richard Strauss, der selbst dirigierte und erst vier Tage vor der Premiere anreiste, waren Musik-Größen wie Gustav Mahler mit seiner Frau Alma, Giacomo Puccini, Arnold Schönberg, Alban Berg, und Alexander Zemlinsky gekommen. Der Schriftsteller Ernst Déscey kommentierte u.a. im Vorfeld „War diese Oper ,doppelt so gut‘ wie ,Lohengrin‘, den man auch mit fünfundvierzig Musikern machen konnte? Skandal!“ Und von Cosima Wagner in Bayreuth ist ja der Kommentar bekannt, der hier nochmals in Erinnerung zu rufen gerechtfertigt scheint, nicht zuletzt auch wegen der großartigen Inszenierung von Romeo Castelucci im Sommer bei den Salzburger Festspielen, dass der 1864 in Wien für unaufführbar gehaltene „Tristan“ von Richard Wagner ein „Wiegenlied“ gegen die Strausssche „Salome“ sei.
Dass diese Einschätzung der damaligen „Hüterin von Bayreuth“ richtig war, konnte man an der Grazer Neuinszenierung von Florentine Klepper mit der Bühne von Martina Segna und den Kostümen von Adriane Westerbarkey, aber auch an der exzellenten musikalischen Leitung der neuen Grazer Chefdirigentin Oksana Lyniv aus der Ukraine, die u.a. bei Kirill Petrenko lernte und mit dieser „Salome“ ihre erste Neuproduktion einer Oper von R. Strauss am Haus dirigierte, einmal mehr feststellen. Ein mit der Dramaturgin Marlene Hahn und dem Co-Dramaturgen Jörg Rieker sowie der Videokünstlerin Heta Multanen und dem Lichtdesigner Reinhard Traub nahezu rein weibliches leading team, fand auch einen interessanten Ansatz für die Interpretation dieser „Salome“. Sie steht mehr als sonst im Focus aller Betrachtungen und Assoziationen, und auch die Beziehung zu ihrer Mutter Herodias wird stärker betont als in den meisten Produktionen üblich.
Salome wird hier gezeigt als die absolute Kindfrau, frühreif und doch völlig unreif, was die Erfassung der Bedeutung von Liebe und Sozialisation angeht. Das wird ihr aber durch ihr Umfeld, in dem sie heranwachsen muss, nicht gerade leicht gemacht. Wir erleben eine völlig dekadente, hedonistische und dabei desorientierte Gesellschaft am Hofe des Herodes, in einem an die leichte japanische Architektur erinnernden Pavillon, der mit einem sinnvollen Einsatz der Drehbühne immer wieder neue Einsichten zulässt in das lustvolle Leben der „feinen“ Gesellschaft. Während Jochanaan aus seinem Verließ über dem Schlafzimmer von Herodes und Herodias, wohl um dort den Zorn und Hass der Herodias auf ihn besonders zu schüren, über die Treppen auf die Bühne gezerrt wird, sieht man unten in einem Nebenzimmer leicht verdeckt einen orgiastischen Sexualakt zwischen einem der „Gäste“ des Herodes und einer der permanent herum geisternden Gespielinnen. Von wegen „Ich will noch Wein mit meinen Gästen trinken…“ – das ist für diese drastische Deutung wohl zu wenig. Die Dekadenz eines Momentes unserer Tage irgendwo spiegelt sich auch im dandyhaften, schillernd hellgrünen Anzug des Herodes ebenso wider wie in den Kostümen der meisten seiner Gäste, aber auch in den extravaganten Stiefeln Salomes, die wohl nicht ganz ohne – dann allerdings doch wohl unpassende – politische Referenz in rot-weiß-rot gehalten sind.
Natürlich ist sich diese Gesellschaft ihres verwerflichen Treibens voll bewusst und sichert sich mit schwer bewaffneten Sicherheitsbeamten in ockerfarbenen Einheitsuniformen und den obligaten Sonnenbrillen solcher Angestellter nach außen ab. Bei jeder Bewegung des auf einen Stuhl gedrängten Jochanaan richten sie die Pistole auf ihn – sie tragen sogar einen Mundschutz – als ginge es um die Vernehmung eines Terroristen, auf jeden Fall eines Fremden… Und w i e Herodes Angst vor ihm hat! Sogar Narraboth macht in diesem Verhalten keine Ausnahme, sodass er sich später auch gleich erschießen kann statt sich zu erdolchen.
Wenn man auch nur von einer Familie Salomes sprechen möchte, so ist sie hier völlig aus dem Lot geraten, ja, wie Klepper meint, „dysfunktional“. Zwischen Mutter und Tochter gibt es gar keine Beziehung mehr. Salome hält sie für zu schwach, sie vor den Anwandlungen Herodes‘ zu schützen. Sie zeigt ihr ihre Ablehnung bzw. Irrelevanz bei jeder Gelegenheit, ist total mit sich selbst beschäftigt. Die Mutter empfindet Salome hier gar als Konkurrentin. Klepper siecht in der Beziehung bzw. Nicht-Beziehung der drei Familienmitglieder sogar eine Familientragödie, die darzustellen ihr mit einer exzellenten Personenregie und mit ausdrucksvoller Mimik der Akteure ausgezeichnet gelingt.
Salome kann das alles gar nicht so recht wahrnehmen. Sie ist auf der Suche nach ihren Selbst, ihrem bzw. einem Bewusstsein, braucht eine Art „Gesehen werden“ ein „Sich-Erkennen im Anderen“ um sich zu vergewissern, dass sie lebt, wie es die Regisseurin sieht. Und man kann das leicht nachvollziehen. So hantiert Salome andauernd mit einer Kamera, um sich auf eine narzisstische Art selbst zu filmen, um zu sehen, wie sie nach außen wirkt – damit Selbstsicherheit und Aufmerksamkeit heischend. Dass die Kamera auch in andere Hände gelangt wie in jene von Narraboth, ist wieder mal des Guten zu viel. Aber kein Wunder, dass der unnahbare Jochanan dann die Projektionsfläche für ihre Suche wird. So stellt sich dann auch ihr monströser Dialog mit dem Propheten, auf dessen Höhepunkt sie seinen Mund mit ihrem Lippenstift beschmiert, dramaturgisch und musikalisch unter den kompetenten Händen von Oksana Lyniv dar. Hingegen zeigt Klepper keinen Schleiertanz zur erotischen Erbauung des Herodes, sie sieht darin „ein Chiffre für Rituale weiblicher Erniedrigung“, durch das Salome wieder einmal in einer Opferrolle gezeigt würde. Stattdessen zeigt die Regisseurin eine allerdings zu der dabei erklingenden Musik aus dem Graben wenig passende Seelenwanderung Salomes über Videos, ein Tanz sozusagen in ihr Unterbewusstsein, als „eine Reise ins Innere des Systems“. Das erscheint aus dem Ansatz ihres Regiekonzepts heraus schlüssig, wirkt aber dennoch allzu ungewohnt, eigentlich auch nicht ganz überzeugend.
Die junge Südafrikanerin Johanni von Oostrum gab nach der Grete aus „Der ferne Klang“ in Graz nun die Salome und hatte einen in jeder Hinsicht fulminanten Abend. Nicht nur spielte sie die Kindfrau mit ihrer diffusen Suche nach einem Selbstbewusstsein und dem grandiosen Scheitern an ihrem Deal mit Herodes, mit der Erfüllung ihres Wunsches nach dem Kopf des Jochanan durchzukommen, exzellent und absolut nachvollziehbar. Sie setzte ihren hochmusikalischen und wandlungsfähigen jugendlich dramatischen Sopran auch nach all ihren Möglichkeiten bestens ein, was auch die tückischen Höhen der Partie mit einschließt. Gute Tiefe wurde beispielsweise offenbar bei „…wie eine Gruft“. Ihr finaler Monolog über der blutüberströmten Leiche des Propheten gehörte auch wegen seiner nun nach innen gewandten Tongebung und Phrasierung zu den Höhepunkten des Abends. Ein großes Talent!
Die seit langem ganz große Rollenvertreterin der Herodias und weltweit als Wagner- und Strauss-Sängerin bekannte Iris Vermillon gab eine mondäne und angesichts ihrer Bedeutungslosigkeit am Hofe verzweifelte Herodias, mit einem wohlklingenden und ausdrucksvollen Mezzosopran. Manual von Senden spielte einen exzessiv überdrehten und ständig mit Drinks hantierenden Herodes und überzeugte mit seinem kräftigen Tenor auch stimmlich. Es war gut, in dieser Rolle einmal keinen Charaktertenor zu hören. Der junge Weißrusse Pavel Petrov, der sowohl beim Operalia-Wettbewerb von Placido Domingo wie auch bei der Competizione dell’Opera kürzlich Erste Preise erzielte, sang mit leuchtenden tenoralen Farben den Narraboth, von der Regie etwas vernachlässigt. Mareike Jankowski war ein ihm stimmlich ebenbürtiger Page mit einem guten Mezzo-Klang und perfekter Direktion. Allein Thomas Gazheli fiel stimmlich von diesen Sängerdarstellern erheblich ab. Vielleicht sollte er den Jochanan von der Regie her dermaßen expressiv spielen. Seine Rollengestaltung wirkte dennoch übertrieben akzentuiert und vor allem stimmlich unbefriedigend. Oft ohne klar erkennbare Gesangslinie bei unzureichender Wortdeutlichkeit wurden Töne bisweilen mehr gewuchtet als gesungen. Jochannan hat auch ruhige und damit vor allem gesanglich tragende Momente in seinem Vortrag, die seine Bedeutung als wichtiger Prophet unterstreichen. Von denen war hier kaum etwas zu vernehmen. Somit fehlte der ihr Selbst suchenden Salome der Partner auf Augenhöhe. Alle Nebenrollen waren ausgezeichnet besetzt, sie Roman Pichler (1. Jude), Martin Fournier (2. Jude, ein Sklave) Albert Memeti (3. Jude), Mario Lerchenberger (4. Jude), Martin Simonowski (5. Jude), diese alle in schwarzen Anzügen, also Seriosität dokumentierend. Dazu Neven Crníc (1. Nazarener), Dariusz Perczak (2. Nazarener, Ein Cappadocier – in Tennisschuhen!), sowie David McShane als 1. und Konstantin Sfiris als 2. Soldat.
Oksana Lyniv dirigierte die komplexe Partitur von Richard Strauss mit den Grazer Philharmoniker n mit beachtlicher und durchaus zielführender Detailverliebtheit bei gleichzeitig stets großem und spannendem Bogen. Sie wusste die enormen emotionalen Ausbrüche und kurz darauf lyrische und kontrastierende zarte Nuancen eindrucksvoll auszugestalten, bei stets hoher Transparenz der einzelnen Gruppen. Die Musik im Graben stand immer völlig in Einklang mit dem irren Geschehen auf der Bühne. Die Oper Graz kann durchaus stolz auf diese neue „Salome“ sein und sollte sich überlegen, damit einmal zu gastieren.
Klaus Billand 26.11.2018
Bilder siehe unten Premierenbesprechung