Premiere: 05.12.2021
Auf Schwingen aus dem Schützengraben
Nebel wabern über den Boden, ein Krater, eine raue Landschaft – dieses Szenario bietet sich beim Betreten des Saal 1 im Kölner Staatenhaus, vor Beginn von Walter Braunfels Oper „Die Vögel“. War man sich in der Reihe hinter noch sicher, es handele sich um einen Vulkanausbruch, zeigt die düstere Realität eines stummen Vorspiels, dass der vermeintliche Lavaschlund ein Granatentrichter ist, und wir uns in der finsteren Welt der Schützengräben des Ersten Weltkriegs befinden. Eine feine Reminiszenz der Regisseurin Nadja Loschky, die hier an den Umstand erinnert, dass Braunfels die Komposition seines Werkes für einen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg unterbrechen musste.
Nach „Jeanne d’Arc“ bringt die Kölner Oper zum zweiten Mal ein Werk des zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Komponisten Braunfels auf die Bühne und hier – das sei ganz klar gesagt – haben „Die Vögel“ (nach der antiken Vorlage des Aischylos) eine deutlich höhere Daseinsberechtigung im Spielplan als die Johanna. Kurzweilig und mit anspruchsvoller, farbiger und wirklich interessanter Musik hat dieses Werk einen festen Platz im Repertoire der Häuser verdient.
Loschky, die bereits in Köln für eine umjubelte Rusalka-Premiere verantwortlich zeigte, beweist auch in dieser Arbeit, dass sie eine Regisseurin mit viel Feinsinn, guten Ideen und klarer Handschrift ist. Braunfels rund zweieinhalbstündiges Werk erzählt die Geschichte von Ratefreund und Hoffegut, die mit den Vögeln sprechen und Ihnen zum Bau einer Stadt raten, die sie über die Götter stellt. Ein utopisches Wolkenkuckucksheim, dass als Bollwerk die Macht der Vögel untermauern soll. Doch sie haben die Rechnung ohne Zeus gemacht, der final ihre Träume nach einer neuen Gesellschaft zunichte macht. Soweit die Handlung in sehr groben Zügen skizziert. Die Inszenierung greift in ihrer dichten und atmosphärischen Bildsprache immer wieder den historischen Kontext der Entstehung auf. Dabei seien besonders die unglaublich detailreichen und trefflichen Kostüme von Irina Spreckelmeyer genannt, die in phantasievoller Düsternis, an die Schützengraben-Radierungen eines Otto Dix, an die alptraumhaften Fratzen und zerfetzen Uniformen in den Weltkriegsbildern eines Ernst-Ludwig Kirchners oder Ludwig Meidners erinnern. Loschky führt die Personen mit großer Liebe zum Detail, zeichnet genau und kitzelt immer wieder das Satirische, ja, das Unterhaltsame aus dem Werk heraus. Fast slapstickhaft kommen die beiden Assistenten des Ratefreund daher, die mit teils derber Komik für Lacher sorgen, die Personenführung im Chor erinnert gelegentlich an das tapsige Watscheln einer Pinguinkolonie und sorgt ebenfalls für Schmunzler.
Ulrich Leitner hat dazu ein stimmungsvolles, zwar schlichtes, aber doch unglaublich stimmiges Bühnenbild entworfen, dass aus dem Schützengraben auch schnell einen verwunschenen Zaubergarten werden lassen kann und dass im Zweiten Akt schnell zu einem laborhaften Wolkenkuckucksheim wird, dass nicht zuletzt durch Anspielungen im Kostüm und durch das Handeln der Personen die Idee des Lebensborns der Nazizeit, als eine Art utopische Brutmaschinerie anklingen lässt.
In den Hauptrollen beeindruckt vor allem Joshua Bloom als agiler und geschäftstüchtiger Ratefreund. Zwischen diabolischem Macher und Mut zur Komödie verortet er seine Figur, dazu ein exzellenter Bass, der in allen Lagen bestens klingt und den er sicher durch die teils atemberaubend rasanten Textkaskaden sicher führt. Als sinnliche Nachtigall vermag Ana Durlovski zu überzeugen – absolut höhensicher zwitschert sie sich mit wunderbarer Leichtigkeit durch die Koloraturen und zeigt auch eine profunde Dramatik in der großen Szene zwischen Nachtigall und dem verträumten Hoffegut. Obgleich diese Szene dann leider doch statisch gerät und zur Schwachstelle des Abends gerät. Ihr zur Seite steht in dieser Szene Burkhard Fritz als Hoffegut – leider stimmlich eher durchwachsen. Keine Frage, diese Partie hat es in sich, doch Fritz wirkt immer wieder angestrengt, stemmt, was das Zeug hält und wirkt nicht nur ein Mal atemlos. Dazu ein Spiel, das sich in seinen Möglichkeiten schnell erschöpft hat.
Samuel Youn in der kleinen Partie des Prometheus zeigt sich stimmlich nicht in Bestform – da geht sonst mehr! Wolfgang Stefan Schweiger als Wiedehopf, bei Braunfels der König der Vögel, liefert stimmlich wie szenisch ein absolut solides Rollenportrait. Die zahlreichen weiteren Rollen sind exzellent besetzt und präsentieren sich im Gewusel der Vögel absolut stimmig.
Auch der Chor in der Einstudierung von Rustan Samedov beweist neben sagenhafter Spielfreude und teils sichtlich anstrengenden Choreografien, mit denen es immer wieder Anklänge an Gescharre, Gewatschel und Geflatter der biologischen Vogelwelt gibt auch auf der musikalischen Seite, mit wieviel Verve man sich in diese Musik werfen kann. Der Chor klingt blitzsauber und leuchtet alle Facetten der Braunfelsschen Musik aus. Ihm gleich tut es ein wunderbar musizierendes Gürzenich-Orchester unter der Leitung von Gabriel Feltz. Auch wenn es zwischen Bühne und dem links daneben positionierten Orchester hin und wieder etwas klappert (daran hat man sich im Staatenhaus ja mittlerweile bei diesen Anordnungen leider gewöhnt), so entfesseln die Musiker einen lebendigen und frischen Klang. Sie zeigen wunderbar, wie weit gefächert die Musik von Braunfels aufgestellt ist – mal schwelgerisch fließend, wie Korngold, wie Puccini und dann in der Schroffheit eines Strauss, ja vielleicht eines Arnold Schönberg – hier ist jede Lautstärke, jede Dynamik, jeder Ton klug gedacht und musiziert.
Walter Braunfels „Vögel“ sind eine lohnende Rarität und die Kölner Produktion ist ein starkes Plädoyer für das Werk, dass man sich durchaus häufiger auf dem Spielplan wünscht. Neben einer berauschenden Musik und einer durchaus sinnhaften Handlung, vermag es aber in seiner gesamten Anlage durchaus zu überzeugen und die durchaus sehenswerte Inszenierung Loschkys stellt dies durchaus unter Beweis.
Sebastian Jacobs, 8.12.21
© Die Fotos stammen von Paul Leclaire