Premiere: 19.10.2017
Belcanto-Göttin als Verräterin
Lieber Opernfreund-Freund,
das Belcanto-Meisterwerk „Norma“ stellt höchste Anforderungen nicht nur an die Interpretin der Titelrolle – wohl kaum eine Rolle ist zudem so sehr von den Interpretationen von Maria Callas geprägt – und steht vielleicht deshalb trotz seiner Bekanntheit vergleichsweise selten auf den Spielplänen der Opernhäuser. Nach 20 Jahren ist es wieder einmal an der Opera Royal de Wallonie-Liège zu sehen – und bietet dabei der renommierten Sopranistin Patrizia Ciofi die Gelegenheit, in der Titelrolle zu debüttieren.
Der italienische Regisseur Davide Garattini Raimondi wählt eine vergleichsweise konventionelle Lesart des Stoffes um die Druidenpriesterin, die ihr Keuschheitsgelübte bricht und mit einem römischen Belagerer heimlich zwei Kinder hat. Die von Paolo Vitale geschickt aufgeteilte Bühne zeigt eine irgendwie futuristisch anmutende Felsenlandschaft mit Höhlengängen, der unter Teil lässt sich öffnen und gibt den Blick auf Normas Wohnung frei, dessen Wände eine aufwändige Nachbildung des Reliefs des Sarcofago Grande Ludovisi aus dem 3. Jahrhundert vor Christus ziert. Sehr römisch ist sie also schon geworden, diese Norma, verbirgt ihr römisches Gewand unter dem an einen Zaubermantel erinnernden Priesterinnengewand. Da sich der Lauf der Geschichte endlos weiter dreht, schlüpft Adalgisa, als Norma den Scheiterhaufen besteigt und sich die Kulisse von der gallischen Landschaft in eine römische Villa – samt säugender Wölfin – verwandelt, in eben diesen Mantel. Das ist alles nicht neu, fast könnte man es einen bewährten Ansatz nennen und wenn dazu anständig gesungen und musiziert wird, ist an sich dagegen auch nichts einzuwenden. Vitales Licht schafft wunderbare Effekte, die Kostüme von Giada Masi sind gelungen – aber da ist die unsägliche Choregraphie von Barbara Palumbo. Offensichtlich dem Drang folgend, auf dieser mehrstufigen Bühne überall immer irgendetwas passieren zu lassen, versteigt sich Garattini Raimondi in die Idee, die Handlung über weite Strecken tanzend zu unterstützen. Die getanzte Ouvertüre ist vielleicht auch noch ein reizender Einfall, allerdings lenken die Tänzerinnen und Tänzer, die selbst in den intimsten und intensivsten Momenten noch neben der Haupthandlung herumzuspringen haben, dermaßen vom Geschehen ab, dass es wirklich störend wirkt. Hinzu kommt, dass Palumbos Choregraphien alles andere als anspruchsvoller Ausdruckstanz sind, sondern im Laufe des Abends mehr und mehr an willkürlichen Veitstanz erinnern und lächerlich wirken – in den dramatischen Momenten des Werkes ist das natürlich kontraproduktiv. Und gerade dann, wenn ein wenig Aktion angezeigt wäre, um die handlungsarme letzte halbe Stunde der Längen zu berauben, fällt Garattini Raimondi nichts ein und alles verkommt zu statischem Rampengestehe.
Patrizia Ciofi hat an allen großen Bühnen der Welt gesungen und als Violetta, Gilda und Lucia ebenso überzeugt wie als hinreißende Mozart-Interpretin. Nun also Norma. Zu Beginn klingt der dunkel gefärbte Sopran der Italienerin seltsam belegt und wenig frei, doch gelingen „Casta Diva“ und vor allem die Duette mit Adalgisa hervorragend. Auch die Koloraturen perlen wunderbar, die Höhe sitzt, doch ist der zeitweilig intensive Einsatz der Bruststimme nichts für Belcanto-Puristen. Aber so gelingt eine intensive Verkörperung, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wenn jemand eine Rolle so wahrhaft durchlebt, lässt das dann auch die gegen Ende des Abends stellenweise brüchige Stimme vergessen. Durch Ciofis Stimmfarbe entsehen zudem besondere Effekte im Zusammenspiel mit Adalgisa, da beide über eine warm-dunkle Farbe verfügen. Auch Josè Maria Lo Monace überzeugt mit hoher Darstellungskraft, intensiv-glaubhaftem Spiel und einer wunderbar-mitreißenden stimmlichen Leistung, so dass diese „Norma“ vor allem wegen dieses Duos überzeugt. Gregory Kunde führt seinen durchschlagkräftigen Tenor stellenweise mit viel Druck. In den Solopassagen gelingen ihm da beeindruckende Töne, doch im Zusammenspiel mit den Damen nimmt er keinerlei Rücksicht, sondern erschlägt sie beinahe mit seiner unverholen zur Schau gestellten Kraft. Da singt Andrea Concetti facettenreicher, auch wenn ihm als Oroveso ein wenig an Volumen fehlt. Zeno Popescu als Flavio singt herrlich nuanciert und auch Réjane Soldanos Clotilde macht Lust darauf, die Sängerin einmal in einer umfangreicheren Rolle zu erleben. Der Chor unter der Leitung von Pierre Iodice ist bestens disponiert und meistert die umfangreiche Partie mit Bravour.
Massimo Zanetti ist mit der musikalischen Leitung betraut, präsentiert allerdings über weite Strecken ein recht undifferenziertes Dirigat. Die mitunter quälend schleppenden Tempi tun ein Übriges, um dem Werk viel von seiner Wirkung zu nehmen. Das zeigt auch die Reaktion der Zuschauer im voll besetzten Opernhaus. Spart man nicht an Bravo-Rufen für das Sängerpersonal – und da vor allem für die beiden Leading Ladies – wird Zanetti verhaltener beklatscht. Dieses Schicksal teilt er mit dem Produktionsteam. Und doch kann ich von der Produktion nicht abraten, sollte man sich doch dieses Norma-Adalgisa-Gespann unbedingt gönnen. Wer den Weg nach Lüttich scheut, der kann der Aufführung vom 28.10. auch live auf Musiq’3 und sogar im Fernsehen auf La Trois RTBF folgen. Zudem wird ein Stream auf culturebox.francetvinfo.fr bereit gestellt.
Ihr Jochen Rüth / 21.10.2017
Die Fotos stammen von Lorraine Wauters.