Steingraeber, Kammermusiksaal. 21.8.2021
Wagner am Klavier: Man kann das machen, es gibt viele Bearbeitungen der Opernpartituren, aber der einzig wahre Wagner ist, seien wir ehrlich, der originale Wagner, weil ein Klavier niemals ein farbenreiches Orchester zu ersetzen vermag. Dies gilt selbst für die Bearbeitungen, die Franz Liszt den Werken seines Schwiegersohns angedeihen ließ.
Man kann die Sache allerdings auch anders beurteilen – doch nur, wenn Könner am Werk sind. Laura Granero ist so eine Könnerin. Wenn sie zwei Nummern aus Liszts umfangreichem Werkkatalog spielt, auf denen „nach Wagner“ draufsteht, entsteht etwas Neues: eine Musik, die den Urheber zwar nicht vergessen lässt, aber zugleich ein Originalstück präsentiert, das die Frage nach dem Original unwichtig macht. Dies gilt an diesem herausragenden Mittagskonzert selbst dort, wo sie eine Transkription bringt, die sich eng am Notentext Richard Wagners orientiert: Isoldens Liebestod wird unter ihren Händen zu einer Symphonischen Dichtung ganz eigenen Charakters. Sie geht, nach Liszts einleitenden Takten, den Satz schnell an, aber was man dann hört, ist fein, nuanciert, besonders kostbar im pianissimo. Die Musik lebt unter ihren Händen, als sei sie immer schon fürs Klavier gesetzt worden (und ist sie das nicht?), sie entwickelt das sequenzierte Material des Doppelschlags, der die endgültige Verklärung Isoldes vorbereitet, nicht als mögliche Imitation des Orchesterklangs, sondern als autonomes Spiel einer Solistin, die selbst den Umstand vergessen lässt, dass Liszt ein fremdes Werk benutzte, um seine Klangvision eines metaphysisch wirkenden Werks zu realisieren.
Am stillen Herd gehört zu einer anderen Kategorie von Wagner/Liszt-Bearbeitungen. Es ist weniger eine vergleichsweise notengetreue Übertragung von Walters Vorstellungslied als ein elegisch-verspielter Traum; wieder glänzt die Musikerin im doppelten piano, bündelt ihre Energien, um dem Notentext eine wie improvisiert wirkende Vitalität zu geben, die die Zuhörer schlichtweg entzückt – und dies alles an einem Instrument, das sechs Jahre nach Liszts Bayreuther Tod gebaut wurde. Der Steingraeber von 1892 klingt wärmer, dabei nicht obertonloser, man hört sozusagen mehr Holz, dafür auch mehr nostalgischen Charme. Die beiden Gäste, die die Fachhochschule Nordwestschweiz namens Schola Cantorum Basiliensis nach Bayreuth sandte, spielen an diesem wohltönenden Instrument solo und zusammen; dem kleinen, von Gabriele Lucherini gespielten Zyklus von vier späten Lisztiana, von denen zwei auf Wagners Tod in Venedig anspielen, folgt eine vierhändige Wagner-Ouvertüre in der Transkription eines direkten Wagner-Adepten, auf die beiden Wagner/Liszt-Bearbeitungen des zweiten Teils antwortet schließlich die zweite und letzte Wagner-Ouvertüre in des Komponisten eigener Fassung. Der Liszt-Zyklus, der kurze, aber gewichtige Stücke aus den Jahren 1881 bis 1885 zusammenfasst, bringt jene Zukunftsmusik zum Erklingen, die Wagner als Ausgeburt des Wahnsinns bezeichnete – erst im 20. Jahrhundert konnte eine Bagatelle sans tonalité verstanden werden. Lucherini beginnt mit dem relativ hellen Am Grabe Richard Wagners (den „Aufstieg ins Paradies“ andeutend, wie er sagt), er spielt es so unprätentiös und poetisch, anschlagstechnisch makellos und impressionistisch wie die Nuages gris und La Lugubre Gondola 2. Schon bei den grauen Wolken beginnt das Wasser in Dur und Moll zu rauschen, das die Trauergondel dann in fahlen Nebel führen wird. Der Ton des alten Instruments trägt nicht zum Wenigsten zur Aura dieser Stücke bei.
Und dann die Ouvertüren! Das Meistersinger-Vorspiel in Carl Tausigs Fassung wird unter den Händen der beiden Pianisten zu einem Prachtstück, das Wagners Wort – die Musik seiner Meistersinger sei „angewandter Bach“ – im Sinne eines mit kontrapunktischen Finessen gespickten Clavierstücks verständlicher macht als die originale Orchesterfassung. Nun sitzt Lucherini im Bassbereich, während die Pianistin, die danach als Solistin auftreten wird, die Sopranmelodien formulieren darf, aber auch der Mann am Klavier hat in Wagners polyphonem Gewebe gut zu tun. Schließlich die Tannhäuser-Ouvertüre – wie gesagt: Wagner am Klavier, das geht „eigentlich“ nicht. Seltsamerweise geht es gut, wenn vier Hände, die sich auf historische Spielweisen und Instrumente verstehen, in die man nicht hineindonnern muss, um Effekte zu erzielen, den orchestral score ins Tastenmäßige, Große, farbig Schillernde übersetzen. Man habe, sagt Laura Granero, die verfügbaren Aufnahmen und Rollen-Einspielungen (Welte Mignon etc.) studiert, um sich dem Ideal der wagnerzeitlichen Klavierinterpretationen anzunähern. Dies ist, obwohl wir alle damals nicht dabei waren, offensichtlich so gelungen, dass wir verstehen, wieso schon die Zeitgenossen von den pianistischen Versionen der Werke Wagners so begeistert waren.
Was schließlich noch als herzhafter Rausschmeißer, als passendes Encore also, sehr sophisticated folgt, ist eine jener Paraphrasen, die weniger von der Verachtung des Meisters als von der tiefen Verehrung zeugen, die auch und vielleicht gerade im Medium der Parodie hörbar wurde. Andre Messagérs und Gabriel Faurés Souvenirs de Bayreuth konzentrieren in einer lustigen Quadrille einige Motive aus dem Ring, die als Ragtime, Cakewalk und andere Modetänze von 1880 das Original geistreich auf die berühmte Schippe nehmen.
Wagner auf dem Klavier? Und ob!
Frank Piontek, 21.8.2021