besuchte Aufführung 27.1.2016
Trauerarbeit in ruhigen Bahnen
Toshio Hosokawa zählt derzeit zu den wichtigsten Komponisten Japans. Seine vierte Oper „Stilles Meer” ist eine Auftragskomposition der Staatsoper Hamburg, wo sie jetzt uraufgeführt wurde. Sie beschäftigt sich mit dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011. Das Libretto stammt von Oriza Hirata, der auch für die Regie verantwortlich zeichnet. Das anderthalbstündige Werk hat der Komponist den Opfern des Erdbebens und des Tsunami gewidmet.
Die Oper ist keine Anklage gegen die Atompolitik Japans, nicht einmal gegen den Umgang der Menschen mit der Natur. Die Katastrophe ist halt passiert und man muss sehen, wie man die Folgen verarbeitet. Es ist Trauerarbeit in eher ruhigen, resignativen Bahnen. Sie wird am Beispiel eines Einzelschicksals entwickelt: Claudia, eine Ballettlehrerin aus Deutschland, hat ihren Mann und ihren Sohn Max bei der Katastrophe verloren. Den Tod des Kindes kann sie aber nicht akzeptieren. Ihr Exfreund Stephan, der auch der Vater des Kindes ist, will sie zur Rückkehr nach Deutschland bewegen. Aber Claudia steigert sich immer mehr in den Wahn, dass ihr Sohn noch lebt. Ihre Schwägerin Haruko will sie davon befreien, indem sie mit ihr das Stück “Sumidagawa” (aus dem Nō-Theater) spielen. Denn auch da geht es um eine Mutter, die ihr Kind sucht und seinen Geist beschwören will. Doch das Spiel funktioniert nicht. Statt des Sohnes erscheint nur die kleine Ballettschülerin von Claudia.
Die fast meditativ ausgerichtete Musik von Toshio Hosokawa scheint auf den ersten Höreindruck eher unspektakulär. Aber mit Fortschreiten der Aufführung wird man immer mehr von der Magie dieser fein austarierten Musik gefangen genommen. Hosokawa ist kein brachialer Neutöner – seine Musik weist auch auf europäische Traditionen hin ist ist angenehm zu hören. Kunstvolle Klangflächen, feinstes kammermusikalisches Piano, Naturstimmen und immer neue Farbvaleurs machen ihren Reiz aus. Sogar die Stille erweist sich hier als wirkungsvolles Kompositionsmittel. Andererseits war gleich zu Beginn ein Sturm von Trommel- und Paukenschlägen zu hören, der in seinem Auf- und Abschwellen das Erdbeben in fast einmaliger Weise und in sinnlich spürbarer Bedrohung imaginierte. Wenn Stephan gegen Ende des Stückes allein auf der Bühne hockt, ist nochmal eine ähnliche Sequenz zu hören. Es ist so, als wolle er den Schrecken des Tsunami nachempfinden. Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg bereiteten diese Mischung aus europäischer und japanischer Musik kunstvoll und optimal auf.
Die Inszenierung von Oriza Hirata zeichnet sich durch gut strukturierte Personenführung, vor allem aber durch den Tenor unaufgeregter Ruhe aus – eine Wiederentdeckung der Langsamkeit. Stimmungsvolle Szenen wie das Aussetzen von Laternen im Meer, um die Seelen der Toten zu trösten, haben berugigende Wirkung. Dazu kommt das äußerst ästhetische Bühnenbild von Itaru Sugiyama mit einer schräggestellten Spielfläche und freiem Blick auf Meer und Horizont. Eine Brücke verbindet die „sichere Zone“ mit der unsicheren oder, wenn man so will, das Reich der Lebenden und der Toten. Neonröhren hängen wie Brennstäbe eines Atomkraftwerks vom Bühnenhimmel und die Lichstimmungen wechseln von dunklem Blau bis zum Schwefelgelb. Die Fischer und der Chor tragen Schutzkleidung (Kostüme von Aya Masakane).
Die drei Hauptpartien wurden glanzvoll gestaltet. Vor allem Countertenor Bejun Mehta bestach als Stephan mit traumwandlerischer Stimmentfaltung. Stilsicher und ausdrucksstark gestaltete er seine Partie. Auch die großartige Mihoko Fujimura stellte als Haruko ihren sonoren Mezzo ganz in den Dienst der Partie. Susanne Elmark konnte den fortschreitenden Realitätsverlust der Claudia mit einer subtilen und sehr differenzierten Leistung verdeutlichen. Den Fischer und seinen Begleiter Hiroto sangen Marek Gasztecki und Viktor Rud mit ansprechender Präsenz.
Wolfgang Denker, 28.1.2016
Fotos von Arno Declair