Premiere am 28.10.2018
Symbolik schleicht über die Bühne
Goethes „Faust“ hat in verschiedensten Formen und Facetten Eingang in die klassische Musik gefunden, sei es als Oper, Oratorium, Orchesterwerk oder Lied. Spohr, Gounod, Boito und Busoni haben neben anderen zu dem Stoff veritable Opern geschrieben, bei Berlioz und Robert Schumann sind ihre Faust-Adaptionen eher in die Nähe eines Oratoriums gerückt. Besonders bei Schumann macht die Anlage seines Werks eine Inszenierung, die den Anforderungen einer Opernhandlung entspricht, zu einer heiklen Aufgabe. Gleichwohl ist der Hamburgischen Staatsoper eine Produktion von Robert Schumanns Szenen aus Goethes Faust gelungen, der es dank der Intensität ihrer Optik gelungen ist, dem Faust-Stoff gerecht zu werden.
Schumanns Werk besteht aus drei Abschnitten. Im ersten Teil (Faust I) steht Gretchen im Mittelpunkt – ihre Begegnung mit Faust, ihr Gebet und ihre durch Mephistos Einflüsterungen verstärkten Seelenqualen. Der zweite Teil (Faust II) zeigt Fausts rastloses Streben, seine Begegnung mit den vier grauen Weibern (Mangel, Schuld, Not und Sorge), seine Erblindung, seinen körperlichen Verfall und schließlich seinen Tod. In der dritten Abteilung (ebenfalls Faust II) geht es um Fausts Verklärung und Erlösung.
Achim Freyer hat in seiner Inszenierung gar nicht erst den Versuch unternommen, sich dem Faust über eine Dramatisierung zu nähern. Stattdessen bebildert er die von Schumann ausgewählten Textteile mit aussagekräftiger Symbolik. Dunkle Gestalten schleichen während der gesamten Aufführung in Zeitlupe über die Bühne und tragen die verschiedensten Gegenstände umher: eine Miniaturkirche, ein Kreuz, einen Totenkopf, eine Schubkarre, einen Spaten, geometrische Formen und vieles andere. Und auch die blaue Blume der Romantik fehlt nicht. Denn Schumanns Sicht auf den Faust entspringt ganz dem Geist der Romantik. Das unterstreicht auch die Stilisierung des Bildes „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich. Diese Wandererfigur hat keinen Kopf. Sie bekommt ihn erst dadurch, dass Faust sich dahinterstellt und er sich sozusagen mit ihr identifiziert. Beim Tode Fausts fällt die Figur in sich zusammen und taucht, dann ganz in Weiß, erst wieder bei Fausts Erlösung auf. Projektionen von bedrohlichen Wolken, von bunten Quadraten oder von strahlenförmigen Sonnenstrahlen ergänzen die Szenen. Doch insgesamt herrscht eher eine düstere Endzeitstimmung vor. Freyer zeigt vor allem die dunkle Seite der Romantik. Dabei macht er es zum Zuschauer nicht leicht. Man muss den „Faust“ schon gut kennen, um alle Chiffren zu entziffern. Und auf Dauer ist dieses Spiel mit Symbolen auch etwas ermüdend. Aber die Inszenierung ist ein typischer, unverwechselbarer Freyer. Bühnenbild, Kostüme und Lichtkonzept stammen auch von ihm. Er arbeitet hier mit ähnlichen Stilmitteln wie bei seinem „Parsifal“ vor einem Jahr.
Kent Nagano am Pult des auf der hinteren Bühne postierten Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg verdeutlicht die musikalischen Schönheiten dieses selten gespielten Werkes in ihrer ganzen Pracht. Dabei schlägt er eine überwiegend ruhige Gangart ein und lässt der Musik Zeit zum atmen. Der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor, der vor allem im letzen Teil seinen entscheidenden Einsatz hat, wird verstärkt von den Hamburger Alsterspatzen (Jürgen Luhn) und sorgt für ätherische Klänge. Als Faust (sowie Pater Seraphicus und Dr. Marianus) überzeugt Christian Gerhaher mit seinem in Diktion und Phrasierung am Liedgesang geschulten Bariton ohne Einschränkungen. Den Schluss gestaltet er mit geradezu entrückter Stimme, so als wäre er nicht von dieser Welt. Christina Gansch ist ein stimmfrisches Gretchen (sowie die Not). Franz-Josef Selig gibt den Mephisto (sowie den Pater Profundus und den Bösen Geist) mit viel Ausdruck. Als Ariel und Pater Ecstaticus macht Norbert Ernst mit expressivem Tenor nachdrücklich auf sich aufmerksam. In weiteren Partien sind Narea Son (u.a. als Sorge), Renate Spingler (u.a. als Schuld), Katja Pieweck (u.a. als Mangel) und Alexander Roslavets (Engel) zu hören.
Wolfgang Denker, 29.10.2018
Fotos von Monika Rittershaus