Aufführung am 09.01.2018
Gerade weil sie optisch so unspektakulär daher kommt, ist Willy Deckers beinahe 20 Jahre alte Inszenierung von Puccinis Künstler- und Politthriller TOSCA so spektakulär. Decker ist im schlichten Bühnenbild von Wolfgang Gussmann eine überaus konzentrierte Arbeit gelungen, eine Inszenierung, die sich ganz auf das Drama dieser drei Menschen konzentriert, deren Leben sich innerhalb weniger Stunden radikal ändert; ein Drama, das alle drei (vier, wenn man die wichtige Nebenfigur Angelotti dazu zählt, der Offstage Selbstmord begeht) am Ende tot sieht: Ein Mord, eine Hinrichtung, ein Selbstmord. Gussmann hat einen einfachen, schmucklosen, nach hinten begrenzten dunklen Raum auf eine leicht schiefe Ebene gebaut, ein Einheitsbühnenbild für alle drei Akte, wenige Versatzstücke reichen aus, um die drei Schauplätze zu verorten: Eine Madonnenstatue für die Kirche im ersten, ein langer Tisch für das Arbeitszimmer Scarpias im Palazzo Farnese und dann der komplett leere Raum, in dem nur ein grosses Fenster den Blick zum Himmel freigibt für den letzten Akt auf der Kasematte der Engelsburg. Die wunderschön dezent gehaltenen Kostüme hat er ganz in der Zeit der Handlung belassen, Rom im Juni 1800.
Willy Decker nun betont in seiner Personenführung das Drama, welches sich eigentlich nur wegen der Eifersucht des zur Operndiva aufgestiegenen Bauernmädchens Floria Tosca unerbittlich und innert kürzester Zeit (jede Aktion in dieser Oper leidet unter Zeitmangel, wie Decker im Programmheft richtig anmerkt) auf das fatale Ende zubewegt. So lässt Decker das Bild, das Cavaradossi von der Maddalena in der Kirche malt, und auf dem Tosca eine vermeintliche Nebenbuhlerin zu entdecken glaubt (die Gräfin Attavanti, im Gegensatz zu ihr eben den vornehmen Kreisen der Gesellschaft angehörend) im zweiten Akt in Scarpias Arbeitszimmer hängen (sein Triumph, weil er damit die Eifersucht Toscas anstachelt und sie so manipuliert). Doch nachdem er im zweiten Akt zusehends ausser Kontrolle gerät, infolge seiner sexuellen Obsession, und weil er spürt, dass er im Gegensatz zu Cavaradossi Toscas Liebe nie erringen wird, zerfetzt er das Bild mit dem Messer. Im dritten Akt dann liegen diese Fetzen des Gemäldes rund um Cavaradossi im Gefängnis herum zerstreut auf dem Boden: Nicht nur der Künstler, der sich mit dem Regime eigentlich recht gut arrangiert hatte, ist zerstört, mit ihm geht auch seine Kunst unter. Das alles folgt natürlich nicht den Gesetzen der Logik (wie hätte auch das Bild so schnell auf die Engelsburg geraten können), aber es hat eine starke Symbolkraft. Wunderschön gelungen sind im dritten Akt die träumerischen Passagen: Cavaradossis Arioso E lucevan le stelle (im Fenster weicht die Nacht langsam der rosa Dämmerung), das anschliessende Duett mit Tosca mit dem Blick wiederum auf das Fenster zur Freiheit – das am Ende aber dann nur zum Sprung Toscas in den Freitod dient. Das Fenster ist natürlich genau da platziert, wo das Gemälde hing. Ein grosses Verdienst der Inszenierung ist auch, dass sie den wenigen Nebenfiguren Profil verleiht: Herrlich komödiantisch, aber ohne zu chargieren der Mesner von Karl-Friedrich Dürr, atemlos getrieben der politische Flüchtling und Auslöser des ganzen Dramas, Angelotti (mit kernigem Bass Ashley David Prewett), servil und sich perfekt mit dem Regime arrangierend der Polizeiagent Spoletta (Heinz Göhrig).
Die Besetzung der drei Hauptpartien lässt keine Wünsche offen und lässt den Abend zu einer Sternstunde werden: Cellia Costea ist eine darstellerisch und stimmlich exzellente Tosca. Im ersten Akt trifft sie genau den richtigen Tonfall für die Eifersuchtsszenen, schwankend zwischen heftigen Ausbrüchen und Ironie, mädchenhaft träumend vom kleinen Häuschen, kokett und dann wieder ganz Diva. Herrlich. Im zweiten Akt wird sie dann mit den Grausamkeiten des Regimes konfrontiert, sie, die ihr Leben nur der Kunst weihen wollte. Fantastisch schraubt sich ihre Stimme angesichts der erlittenen Qualen physischer und psychischer Art nach oben, bietet Scarpia lange die Stirn und bricht dann doch zusammen. Cellia Costea macht das alles ganz hervorragend – und wenn man ein kleines Haar in der Suppe finden wollte, dann dies, dass gegen das Ende des Vissi d’arte die Stimme vielleicht eine Spur zu gaumig klingt. Ihre Gestaltung des dritten Aktes mit der wunderschön intonierten a capella Phrase zusammen mit Cavaradossi war dann aber wieder herausragend gut gelungen. Sie hat an diesem Abend aber auch einen starken Tenorpartner an ihrer Seite: Dmytro Popov sieht nicht nur blendend aus, er singt auch so. Sein Tenor besitzt eine bronzene Strahlkraft, die Stimme ist fantastisch fokussiert und kontrolliert, sein Spiel unaufgesetzt, natürlich, total in der Rolle drin. Er muss nicht mit überlangen Vittoria-Rufen beweisen, dass er ein Star ist, er beweist es mit kluger Phrasierung und schöner Gestaltung in seinen beiden Arien, die ohne tenorale Schluchzer auskommen, und trotzdem ergreifend gesungen sind. Markus Marquardt als Scarpia überzeugt mit subtil-zurückhaltender Art in seinem Auftritt in der Kirche, wo er Tosca so gekonnt manipuliert, lässt seine Stimme im Finale des Te Deum wuchtig über Chor und Orchester dröhnen (wie immer Gänsehaut, Puccini at his best!). Im zweiten Akt zeigt er den Jähzorn der Figur, die seelischen Abgründe. Grossartig!
Erstaunlich, dass man bei allen drei Protagonisten nie das Gefühl hatte, sie müssten forcieren, denn Maestro Giuliano Carella und das Staatsorchester Stuttgart legten von Beginn weg keinen Schongang ein, sondern kosteten die Fortissimo-Stellen voll aus. Das den Abend einleitende, wuchtige Scarpia Motiv habe ich noch selten so heftig einfahrend gehört. Klasse!!! Aber auch den poetischen, lyrischen Momenten der Partitur (ja, davon gibt’s in TOSCA nicht wenige, die Oper ist weniger bruitistisch als ihr Ruf) widmete Carella viel Aufmerksamkeit und ging sie behutsam an.
Das Publikum im ausverkauften Haus war hingerissen, zu Recht.
Kaspar Sannemann 10.1.2018
Bilder (c) Martin Siegmund