Luigi Cherubini
25.10.2018
Ein starkes Stück Oper
Noch vor dem ersten Drehen der tristen Lagerhalle auf der Drehbühne der Staatsoper ist es klar: Aus diesem klaustrophobischen, hässlichen Labyrinth wird es für keine der Figuren einen Ausweg geben. Martin Zehetgrubers Bühnenaufbauten zeigen Alu-Rolltore, weiße Wandplatten, in deren Fugen sich Rost ansetzt und vor allem Lüftungsrohre en masse. Die machistischen Kunsthändler um Créon, den König von Korinth, die sich darin bewegen, scheinen sich keinen Deut um Ästhetik zu scheren. Grau sind ihre Anzüge, die Frauen haben sie in ebenfalls graue, unkleidsame 40er Jahre Kostüme gezwängt, unsexy uniformiert wie Aufseherinnen eines Konzentrationslagers. (Kostüme: Carla Teti) Hässlichkeit wohin man blickt. Und haufenweise Transportkisten, welche von Jasons Argonauten angeschleppt werden, um Créon für das gewährte Asyl zu bezahlen – und auch als Kaufpreis für Créons Tochter Dircé. Denn Frauen gelten in dieser Männergesellschaft als Ware, die man handelt wie das Goldene Vlies, das Jason dem König überbringt.
Doch da taucht eine weitere Fremde auf – Medée. Die stört den patriarchalisch geprägten Frauen- und Kunsthandel gewaltig. Nur schon von der Kleidung her setzt sie sich ab: Mit wehendem, dunkelviolettem orientalischen Tuch umhüllt, stört sie die geplante Hochzeit zwischen ihrem (Noch-)Gatten Jason und der Königstochter Dircé. Welch ein Gegensatz zwischen Dircé und Medée: Dircé realisiert zwar, dass sie zu Dingen gezwungen wird, die sie gar nicht will, ihrer freien Entscheidungsmöglichkeit beraubt ist. Sie wehrt sich erfolglos dagegen, in den Panzer des goldenen Kleides gesteckt zu werden. Parabelhaft wird sie denn auch darin auf eine der Transportkisten gestellt, ausgestellt wie bei einer Versteigerung. Zudem hat sie entdeckt, dass Jasons Liebes- und Treueschwüre nichts taugen, da er bereits mit dem Kindermädchen seiner Söhne rummacht. Ein echter Drecksack, ein Schwächling, gegen den sich Dircé aber trotzdem nicht durchsetzen kann.
Ganz anders Medée: Die nimmt das Unrecht, das ihr widerfährt zum Anlass eines der blutigsten Rachefeldzüge der Antike. Und dieser Rachefeldzug, diese emotionale Achterbahnfahrt vom Kindesmord zum totalen Vernichtungsfeldzug gegen die gesamte korinthische Gesellschaft funktioniert auch in der Tiefgaragenatmosphäre der kargen Lagerhalle, zwischen hölzernen Kisten, geköpften antiken Pferden und dem goldenen Widderfell. Die Regisseurin Andrea Breth zeigt dies mit einer intensiven Personenregie und der subtilen Kostümdramaturgie von Carla Teti. Da ist die durchtriebene Medée, welch mit Falschheit und Schmeicheleien zu ihrem blutigen Ziel gelangt, da ist der schwache Jason, der im auberginefarbenen Anzug immer noch seine emotionale Bindung zu Medea verrät, die sich auch in den beiden großen Duetten musikalisch – neben all den gegenseitigen Morddrohungen – offenbart. Einzig gegen das Ende hin, wenn Medée im dritten Akt die Bühne quasi alleine beherrscht, wird das ständig gebückte Dahinrasen der Medée vom körperlichen Ausdrucksvokabular her etwas zu einseitig.
Dafür kann die Darstellerin der Medée stimmlich ganz groß auftrumpfen: Sonya Yoncheva verfügt über die Kraft, die expressive Ausdruckspalette, die volle, runde und geschmeidige Sopranstimme, um die Emotionen der Titelfigur zu transportieren. Eine grandiose Medée betritt da die Bühne, eine Sängerin, die sich ohne Zweifel vor den berühmten Vorgängerinnen in der Rolle nicht zu verstecken braucht. Wunderbar berührend singt sie ihre erste Arie Vous voyez de vos fils la mère, die unter die Haut gehende Klage einer Mutter. (Schade, dass das Publikum, welches halt mit dieser immer noch zu selten gespielten Oper nicht so vertraut ist, zum sichtbaren Entsetzen des Dirigenten Daniel Barenboim, zu früh klatscht.) Hochspannend gestaltet Sonya Yoncheva ihre Auseinandersetzung mit Jason, nicht nur stimmlich behält sie dabei die Oberhand, nein sie trifft ihn körperlich auch da, wo es den Mann am meisten schmerzt. Aber die erotische Anziehung, welche die beiden einst verband, ist noch nicht erloschen, Aubergine und Violett vereinigen sich nochmals zu einem leidenschaftlichen Kuss, eine Hassliebe, eine Leidenschaft, die Leiden schaffen wird. Die Komplexität dieser Beziehung zeigt sich nochmals im zweiten Akt, auch diese große Szene wird in der von Andrea Breth inszenierten Körpersprache ausgesprochen intensiv plastisch herausgearbeitet. (Duett Chers enfants).
Charles Castronovo ist dieser feige Hund Jason. Er singt die Partie mit schönem tenoralen, leicht kehligem Schmelz und idiomatischer Gestaltung. Darstellerisch ist er ein infantiler, testosterongesteuerter Macho, mit weichem Kern, seiner (Ex-)Frau nie und nimmer gewachsen. Iain Paterson gibt den Créon als jovialen, aber trotzdem unerbittlichen Potentaten. Stimmlich mit schöner Mittellage und feiner Höhe überzeugend, doch scheint die Partie insgesamt für ihn etwas zu tief zu liegen, an manchen Stellen hätte man sich etwas mehr Durchschlagskraft gewünscht. Elsa Dreisig überzeugt als Dircé mit herrlich glitzernden Koloraturen in der Eröffnungsszene der Oper, danach hat sie leider kaum mehr was zu singen. Unfassbar schön gestaltet Marina Prudenskaya die Arie der Néris im zweiten Akt (Ah! Nos peines seront communes). Das vom Solofagott begleitete Juwel ist einer der musikalischen Höhepunkte der Oper, dem Marina Prudenskaya nichts an Expressivität und Stimmschönheit schuldig bleibt.
Daniel Barenboim am Pult der Staatskapelle Berlin dirigiert die trotz einiger weniger konventioneller Szenen weit in die Zukunft drängende Partitur aus der Feder Cherubinis mit Feuer und Verve, lässt die klangmalerischen Qualitäten plastisch aufblitzen und zeigt insbesondere in den drei sinfonischen Aktvorspielen, welche Kraft in Cherubinis Komposition liegt, eine Kraft, die große Wirkung auf Beethoven oder Carl Maria von Weber gehabt hat. In der Fassung gingen die Verantwortlichen auf die französische Originalfassung zurück, fassten die gesprochenen Dialoge dieser opéra comique neu und kürzten sie auf das Wesentliche. (Es wird also nicht die mit den von Franz Lachner vertonten Rezitativen erstellte Fassung gespielt, welche man z.B. von den Aufnahmen mit Maria Callas her kennt.) Die ausführlichen, kunstvollen Alexandriner der Urfassung hätten den Abend vermutlich überlang gemacht und der Musik zu viele Pausen auferlegt, so dass deren Fluss ins Stocken geraten wäre. Somit eine kluge Entscheidung.
Am Ende dann offenbart Sonya Yonchevas Medée all die Zweifel, die in ihrem Herzen gegen die blutige Rache, gegen den Kindesmord kämpfen. Allein, sie ist dann doch zu schwach, zu verletzt, um Gefühle des Mitleids mit den unschuldigen Söhnen zuzulassen. In der Endzeitstimmung der Bühne geht alles und gehen alle in Flammen auf, ausgelöst von Dircés mit schnödem Mammon behaftetem Kleid, welches von Medées verhextem Diadem entzündet wird. Medée richtet sich selbst vor dem Vorhang. Hochdramatisches, schwarzes Ende und ein starkes Plädoyer für Cherubinis bemerkenswert starke Oper.
Bilder (c) Bernd Uhlig
Kaspar Sannemann 26.10.2018