Berlin: Schumann, „Szenen aus Goethes Faust“

Premiere 3.10.2017

Bunte Bühne zu farbiger Musik

Von wegen „das ewig Weibliche zieht uns hinan“; das sinkt in der Aufführung von Schumanns „Szenen aus Gothes Faust“ zur Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden nach einigem Getändel mit Faust in gleich doppelter Ausführung endgültig entseelt zu Boden und steht erst wieder auf, wenn das Licht erloschen und der Vorhang gefallen ist. War es die weltlichen Protest herausfordernde unmittelbare Nähe der Staatsoper zur katholischen Hedwigskirche, die Regisseur Jürgen Flimm dazu animierte, die frohe Glaubensbotschaft des Faust-Schlusses in ihr Gegenteil zu verkehren, das erlöste Gretchen als Marionette erscheinen zu lassen? Es gilt wohl in Regisseurskreisen immer noch als modern, Gutes als schlecht und Schlechtes als noch schlechter erscheinen zu lassen.

Sicherlich ist das Schumann-Werk eher ein Oratorium als eine Oper und dementsprechend schwer zu inszenieren, besonders weil Schumann gerade die bekannten und auch bei Opernkomponisten beliebten Szenen außen vor gelassen und keine durchgehende Handlung komponiert hat. Trotzdem war es keine gute Idee, eine zweite, eine Schauspielerbesetzung, einige dieser Texte wie die Zueignung, das Lied des Türmers, den Pakt mit dem Teufel, die erste Begegnung zwischen Faust und Gretchen und vieles andere zwischen die Musiknummern zu platzieren. Wenn wenigstens die Sprecher gut gewesen wären! Aber so mühte sich eine akzentbelastete Anna Tomowa-Sintow schon beinahe textentstellend durch die Zueignung und agierte Meike Droste, als spiele sie das Gretchen im Neuköllner Heimathafen. Dass er rezitieren kann, bewies André Jung eher als Herold denn als optisch durchgehend alter, leicht vernuschelter Faust, Sven-Eric Bechtolf wirkte sehr komisch als Lieschen, reizend als weißer (!) Pudel und wenig bedrohlich als Mephisto, für dessen teuflische Gestalt René Pape optisch wie akustisch die Maßstäbe setzte.

Verdienstvoll ist es, dass alle Gesangs-Partien aus dem Ensemble besetzt wurden, nicht nur weil die schwarze Bassgewalt von René Pape auch von keinem Gast hätte überboten werden können. Leider ist seine Partie bei Schumann eine recht kleine. Schlank und elegant nicht nur in der äußeren Erscheinung, sondern auch in seiner kultivierten vokalen Leistung war Roman Trekel ein in den eher lyrischen Teilen der Partie überzeugender Faust, während er in seiner großen Szene nach der Pause an Grenzen, auch die Höhe betreffend, geriet und wenig Faustisches vermittelte. Neuer Sopranstar an der Lindenoper ist die preisgekrönte Elsa Dreisig, die mit der frischesten, klarsten und reinsten Stimme, die man sich denken kann, begeisterte. Zum Glück blieb es ihr erspart, dem Publikum ihren blutdurchtränkten Schlüpfer zu präsentieren, das hatte man der Schauspielkollegin zugemutet. Beeindruckend war Katharina Kammerloher vor allem als Sorge mit trübem Beiklang in der Mezzostimme, mit prägnantem, eindringlich klingendem Tenor sang Stephan Rügamer einen balsamischen Ariel und dazu noch den seinem Namen Ehre machenden Pater Ecstaticus. Gyula Orendt erinnerte mit seinem Pater Seraphicus an seinen erfolgreichen Zurga kurz vor der Sommerpause, auch Evelin Novak gefiel, besonders als Magna Peccatrix. Machtvoll setzte sich der Chor (Martin Wright) nicht nur auf der Bühne, sondern auch von den drei Rängen her akustisch in Szene.

Daniel Barenboim hatte die Akustik des neuen Hauses mit Konzerten von Mozart, Schumann und Bruckner geprüft und für gut befunden. Nun konnte man erfreut konstatieren, dass auch die Sängerstimmen durch die um fünf Meter angehobene Decke gewonnen haben. Das Orchester aber ließ all das vor dem inneren Auge erstehen, was die Bühne versagte, ließ sich das Hochgebirge auftürmen, den innigen Schmerzenslaut erzittern und die Heilsgewissheit leuchten.

Die Produktion setzt optisch ganz auf das Skurrile, Parodierende, Drastische, was häufig zur Musik überhaupt nicht passen will. Markus Lüpertz hat für einige Szenen eine Guckkastenbühne auf der Bühne gebaut, riesige Figuren unbekannter Bedeutung flankieren die Bühne, Riesenköpfe liegen auf ihr verstreut, üppig- farbige Zwischenvorhänge und Hintergrundprospekte verschließen sich weitgehend der Deutung. Die Kostüme von Ursula Kudrna sind größtenteils vom Biedermeier inspiriert, im Himmel trägt man Unterwäsche. Phantasievoll ist die Lichtregie von Olaf Freese.

Vor dem Beginn der Vorstellung hatte es standing ovations für den Bundespräsidenten gegeben, der sich unter anderem in seiner Ansprache Jugend in die Opernhäuser wünschte, der Regierende Bürgermeister Müller bedankte sich bei den Verantwortlichen für ihr Engagement für die Staatsoper, Kulturstaatsministerin Grütters erinnerte an den Zuschuss des Bundes zur Restaurierung des Hauses und daran, dass Kultur manchmal mehr bewirken kann als Politik, und Intendant Flimm fasste sich dankenswerter Weise kurz mit dem Goethe-Zitat: „Der Worte sind genug gewechselt…..“ Die Taten, die dann folgten, wurden vom Publikum mit recht kurzem, aber herzlichem Beifall honoriert, nur beim Erscheinen des Regieteams waren auch Buh-Rufe zu hören.

Auf der Einladung hatte es geheißen: dress code festlich-elegant, was sicherlich in Wien, München oder Mailand zu viel Smoking, Abendkleid und frisch frisierten Köpfen geführt hätte. Nicht so in der Lindenoper, wo sogar Turnschuhe und Jeans gesichtet wurden. Aber seh’n se, dett is Berlin… und immer noch besser als eine Oper als Jahrmarkt der Eitelkeit.

Fotos Hermann und Clärchen Baus

4.10.2017 Ingrid Wanja