Streaming ab 5. März 2020
Die Rache der Wassernixe
Julie Adams
Nun hat die Möglichkeit, Aufführungen zu streamen, auch das Braunschweiger Theater erreicht. Die Bühnenpremiere von Antonín Dvořáks Oper wurde im November vom zweiten Lockdown gestoppt. Jetzt konnten Regisseur Dirk Schmeding und GMD Srba Dinić die Probenarbeit mit dem Sängerensemble und einer aufgrund der Hygienevorschriften reduzierten Orchesterbesetzung zu Ende führen.
Nur selten kann mich ein modernes Konzept überzeugen, weil es meistens dem Original etwas überstülpt, das nicht passt. Anders ist bei der Neuinszenierung des „Lyrischen Märchens“, wie es Antonín Dvořák und sein Textdichter Jaroslav Kvapil bezeichnet haben. Die Geschichte von einer unmöglichen und dennoch bedingungslosen Liebe zwischen zwei Wesen, die verschiedenen unvereinbaren Welten angehören, zählt natürlich wie der Wassermann, die Hexe, die Elfen sowie die Schauplätze – der mondbeschienene Wald und das Schloss – zum Bereich des Märchens. Im fein ausdifferenzierten Charakter der Titelfigur und ihrem Verhalten anderen gegenüber geht die Oper jedoch weit über Märchenhaftes hinaus und markiert den Übergang von der Märchenoper zum symbolistischen Musikdrama. Zu dem etwas sperrigen Libretto hat Dvorak eine immer wieder anrührende, atmosphärereiche Musik geschaffen, die voll von romantischem Zauber ist.
Julie Adams, Ekaterina Kudryavtseva, Kwonsoo Jeon
Dieser Zauber stellt sich in der Braunschweiger Produktion nun wirklich nur in der Musik ein. Allerdings gibt es auch in der zugleich modernen wie märchenhaften Neuinszenierung ansatzweise atmosphärisch dichte Momente. So, wenn die Nixe mit ihrer großen Schwimmflosse in einer vermüllten Wasserlache auf Grund sitzend den auf dem Wassertank reflektierten und erglühten Mond wie in einer Traumwelt ansingt. Dass der Wassermann als hinkender Lurch und die Hexe als Lumpen sammelnde Obdachlose daherkommen, ernüchtert dann ebenso wie der „Prinz“, ein Surfer, der mit seinem Cabrio im Sumpf steckenbleibt. Das alles passt aber gut zu der Grundidee, dass sich Rusalka, zusätzlich durch den Betrug des geliebten Prinzen angetrieben, durch dessen Tötung letztlich an der gesamten Menschheit rächt, weil diese die Natur so rücksichtslos zerstört. Schon das Video zum Vorspiel, in dem unzählige Plastikteilchen eine Zellteilung – trotz allem entsteht neues Leben – umwabern, macht deutlich, um was es dem Regieteam geht. Dazu passen gut die realistisch gestaltete Bühne von Ralf Käselau und die fantasiereichen Kostüme von Julia Rösler.
Julie Adams, Jisang Ryu
Die musikalische Verwirklichung hat beachtliches Niveau, wenn auch zu beklagen ist, dass nur die reduzierte Fassung von Marián Lejava gespielt werden konnte. Aber in dieser schwierigen Zeit gilt weiter der Grundsatz: Lieber das als gar nichts. Das in allen Instrumentengruppen ausgezeichnete Staatsorchester ist in der Aufnahme in guter Form, kostet den romantischen, vielfarbigen Zauber gekonnt aus und bildet für das Sänger-Ensemble eine sichere Grundlage, wofür Srba Dinić souverän mit seinem bekannt präzisen, aber auch inspirierenden Dirigat gesorgt hat.
Dem Spiel der Sängerinnen und Sängern merkt man die plausible, jederzeit nachvollziehbare Personenführung des Regisseurs Dirk Schmeding an, der hier bereits 2019 mit seiner fulminanten „Passagierin“ Aufsehen erregt hatte.
Als Rusalka konnten die Braunschweiger die amerikanische Sopranistin Julie Adams gewinnen. Sie gibt der sich in die Menschenwelt hinein sehnenden Nixe glaubhaft Gestalt und überzeugt sängerisch mit ihrer in allen Lagen bis in die sicheren Höhen ausgeglichenen Stimme. Ihre Vorzüge erweisen sich besonders in den ruhig und geradezu anrührend ausgesungenen lyrischen Passagen wie im berühmten „Lied an den Mond“ und in der großen g-Moll-Arie nach der Rückverwandlung in ihre Nixengestalt, wobei insgesamt auch prachtvoller dramatischer Impetus nicht fehlt. Ihr „Prinz“ ist Kwonsoo Jeon, der den zunächst unbekümmerten Draufgänger gibt, später aber deutlich macht, wie sehr er unter seinem Fehltritt leidet. Außerdem gefällt er durch schönes Legato und angemessenen tenoralen Glanz.
Kwonsoo Jeon, Julie Adams
Der sonore und zugleich flexibel geführte Bass von Jisang Ryu passt bestens zum besorgten Wassermann. Die fremde Fürstin ist in der Neuinszenierung eine ansehnliche Strandschönheit aus einer großen Delial-Werbestellwand, die Ekaterina Kudryavtseva mit ihrem deutlich stärker ins schwerere Fach weisenden Sopran ausfüllt. Edna Prochnik gibt die mysteriöse Hexe Jezibaba mit höhensicherem, dramatischen Mezzo und ausgeprägter Bühnenpräsenz. Was die Figuren des Hegers (Maximilian Krummen mit wohlklingendem Bariton) und des Küchenjungen (prägnant und gewohnt kultiviert Milda Tubelytė) eigentlich treiben, wird nicht so ganz deutlich; mir kamen sie wie lustlose Arbeiter der städtischen Müllabfuhr vor, die an den Rändern des ausgetrockneten Teichs Müll einsammeln müssen. Die drei Elfen, die eher lustvoll im Müll herumwühlen, sind Jelena Banković, Isabel Stüber Malagamba und Zhenyi Hou, deren klare Stimmen bestens aufeinander abgestimmt sind.
Zusammenfassend halte ich die im Ganzen gelungene Produktion in jeder Beziehung für ausgesprochen hörens- und sehenswert.
Fotos: © Thomas M. Jauk
Gerhard Eckels 6. März 2021
Weitere Vorstellungen: Kostenloses Streaming über www. staatstheater-braunschweig.de bis 4. April, danach Übernahme ins Programm von www.operavision.eu