Komödien zu inszenieren ist das Allerschwerste, schon gar, wenn der zugrundeliegende Text 190 Jahre alt ist. Ein Produktionsteam muß dabei vor allem zwei Entscheidungen treffen: In welchem Setting läßt man die Handlung spielen? Und: Reichert man die Komödie mit eigenen (vermeintlich) humoristischen Einfällen an? Die aktuelle Premiere von Donizettis Liebestrank am Staatstheater Darmstadt verheißt zunächst zu den ersten Tönen einen originellen Zugriff auf den Stoff: Präsentiert wird zur Ouvertüre als Projektion das bunte Treiben von Zeichentrick-Vögeln. Einer dieser Vögel taucht als Puppe eines Wiedehopfs sodann auf der Bühne auf und wird als Alter Ego zum ständigen Begleiter des unglücklich verliebten Protagonisten Nemorino. Fast könnte man meinen, man sei in der Zauberflöte gelandet, oder Papageno habe sich in eine Donizetti-Komödie verirrt, denn mit seinen türkisfarbenen Strähnen in der buschig-zerzausten Haarmähne und dem weiten Rüschenhemd zur in Pastellfarben bunt gestreiften Hose könnte der junge Mann glatt als Mozarts Vogelfänger durchgehen. Nicht nur bei seiner Kleidung, auch sonst ist in dieser Produktion alles in Pastell gehalten, von den in die Tiefe gestaffelten rosafarbenen Rundbögen des Bühnenbilds von Philip Rubner (Barbie-World läßt grüßen) bis zu den Kostümen von Sarah Antonia Rung, die Reminiszenzen an die Flower-Power-Hippie-Bewegung aufscheinen lassen. Dazu gibt es noch eine Anspielung auf Alice im Wunderland: Der Quacksalber Dulcamara nämlich sieht mit Zylinder, buntem Gehrock und Gesichtsschminke aus wie ein Vetter von Jonny Depp als verrückter Hutmacher in Tim Burtons Lewis-Caroll-Verfilmung.
Die Inszenierung von Geertje Boeden macht aus dem Liebestrank aber kein schräges Fantasy-Stück, was reizvoll gewesen wäre, sondern inszeniert mit leichter Hand und ohne Zuspitzung am Libretto entlang – auch die Regie ist gleichsam in Pastell gehalten. Vogel- und Handpuppen werden mit dezentem Humor als stumme Kommentatoren und vorgebliche Einflüsterer so dosiert eingesetzt, daß sie das Geschehen nicht dominieren. Als einzige Extravaganz sticht ein Oktopus-Kostüm für Adina im zweiten Aufzug heraus, welches prompt mit spontanem Beifall belohnt wird. Zur Flower-Power-Hippie-Anmutung der Kostüme paßt auch, daß der Chor gelegentlich kollektiv Yoga-Übungen vorführt.
Das Stück hat eine Handlung mit der für eine Opera buffa jener Zeit typischen klassischen personellen Viererkonstellation von Sopran, Tenor und zwei tiefen Männerstimmen. Hier ist es der naive Bauer Nemorino, seine angebetete Adina, die mit ihm spielt, der eitle Unteroffizier Belcore, der Nemorino die Adina wegschnappen will, und der Scharlatan Dulcamara, der unabsichtlich die Handlung in die richtige Richtung zum lieto fine bringt. Die Neuproduktion bildet dieses Geschehen eins-zu-eins ab. Lustig ist die Aufführung dort, wo das Libretto entsprechende Gelegenheiten bietet, und verzichtet dabei auf jeglichen Klamauk. Fast könnte man von „Werktreue“ sprechen.
Das Orchester unter der Leitung von Johannes Zahn präsentiert einen blitzsauberen Klang mit schönen Bläsersoli, der den Sängern gleichsam den Teppich für ihre Belcanto-Kunststücke ausrollt. Mit der quirligen Leichtigkeit befindet sich der Orchestergraben im Einklang mit der Bühne. Der spielfreudige Chor fügt sich adäquat hinzu. Glück im Unglück hatte das Staatstheater Darmstadt damit, daß der vorgesehene Sänger des Nemorino erkrankte, dies aber rechtzeitig genug, um einen Einspringer mit ausreichend Vorlauf mit den szenischen Anforderungen vertraut zu machen. Matteo Roma fügt sich daher so souverän in die Inszenierung ein, als sei er immer schon für diese Rolle vorgesehen gewesen. Stimmlich präsentiert er sich in guter Form mit einem schlanken und höhensicheren Tenor, der nach der Wunschkonzert-Arie „Una furtiva lagrima“ mit starkem Zwischenapplaus gefeiert wird. In der Publikumsgunst steht ihm dabei Juliana Zara als Adina in nichts nach, die mit klarem Sopran mühelos ihre Koloraturketten serviert, deren Stimme jedoch eher klein ist und bei aller jugendlichen Frische ein wenig an Individualität vermissen läßt. Fast zu edel singt Johannes Seokhoon Moon mit seinem runden Bariton den Dulcamara. Julian Orlishausen dagegen legt den Belcore handfester an, den das Produktionsteam mit einem roten Torero-Kostüm farblich deutlich absetzt und dazu eigentümlicherweise mit einer Perücke ausstaffiert, die einen antiken griechischen Helm nachbildet.
Das Publikum fühlt sich bestens unterhalten und feiert am Ende Musiker wie Produktionsteam gleichermaßen. Da möchte man nicht überkritisch sein und nach dem Mehrwert des pastellfarbenen Settings und der Vogel-Zutat fragen oder die Andeutung machen, daß eine derart federleicht hingetupfte Petitesse womöglich das Potential des Stückes nicht ausschöpft. Manchmal kann auch unbeschwerte Kurzweil sich selbst genügen.
Michael Demel, 10. Dezember 2023
L’elisir d’amore
Opera buffa von Gaetano Donizetti
Staatstheater Darmstadt
Besuchte Premiere am 9. Dezember 2023
Inszenierung: Geertje Boeden
Musikalische Leitung: Johannes Zahn
Staatsorchester Darmstadt
Weitere Vorstellungen: 17., 22. und 29. Dezember 2023, 1. und 17. Februar sowie 2. März 2024