Premiere am 25.12.2015
Opulentes Barockspektakel
Gerade hat das Stadttheater Bremerhaven den erstmalig verliehenen Theaterpreis des Bundes zugesprochen bekommen – nicht zuletzt auch wegen seiner spartenübergreifenden Produktionen. Die diesjährige Weihnachtspremiere in Bremerhaven ist auch so ein Projekt. Dabei hat man es sich mit der Entscheidung für „Platée“ („Die Hochzeit der Platäa“) von Jean-Philippe Rameau nicht leicht gemacht, weil das eher selten gespielte Werk nicht unbedingt ein Selbstläufer ist. Aber die Inszenierung von Hinrich Horstkotte ist derartig wohlgelungen, dass sich das Publikum an einem heiteren, farbenfrohen und bewegenden Abend erfreuen kann.
Rameau hat seine Oper als „Ballet bouffon“ bezeichnet. Es ist eine Ballettoper, bei der Gesang und Tanz fast gleichberechtigt nebeneinander stehen. Uraufgeführt wurde sie 1745 in Versailles anlässlich der Hochzeit von Prinz Louis (dem Sohn von Ludwig XV.) mit der spanischen Infantin Maria Theresia. Diese war nicht gerade mit Schönheit gesegnet. Umso pikanter die Handlung der „Platée“: Da geht es darum, Jupiters Gattin Juno von ihrer Eifersucht zu kurieren, indem ihr vorgegaukelt wird, dass Jupiter die ziemlich hässliche Wassernymphe Platée zu heiraten gedenkt, die im sumpfigen Reich der Frösche zu Hause ist. Junos Verdacht soll damit ad absurdum geführt werden. Tragisch ist nur, dass Platée das zynische Spiel für bare Münze nimmt. Ausgedacht haben sich diese List verschiedene Götter und Musen in weinseliger Laune. Diese Szene bildet den Prolog der Oper.
Hinrich Horstkotte und sein Bühnenbildner Martin Dolnik beschwören in der Inszenierung den ganzen Zauber der Barockoper: prachtvolle Dekorationen aus Pappmaché, knallig bunt und phantasievoll ausgeführt. Diese zweidimensionalen, gemalten Kulissen mit Wellen, Wolken, Vögeln und vielen Überraschungen geben der Aufführung einen besonderen Reiz. Ganz prachtvoll ist die knallgelbe Luxuslimousine (natürlich auch nur aus Pappe), mit der Jupiter in die Szene rollt. Die leichte Ironie, mit der all das serviert wird, ist stets geschmackvoll und ausgewogen. Dem Auge wird viel geboten.
Dazu zählen auch die Kostüme, die ebenfalls von Hinrich Horstkotte entworfen wurden. Sie sind eine gelungene Mischung aus barocker Opulenz, märchenhafter Phantasiewelt und augenzwinkernder Stilisierung, wie sie auch in einer Offenbach-Operette verwendet werden könnten. Jupiter im pompösen Weiß eines Operettenfürsten, Platée im froschfarbenen, ganz unsinnlichen Kleid, Juno hingegen ganz mondän im kleinen Blauen. Thalia und Thespis sehen aus wie Max und Moritz, die ja für das Aushecken von Streichen bekannt sind. Und Merkur ist mit geflügeltem Helm und stets mit dem Fahrrad unterwegs.
Horstkottes Regie bewegt sich überwiegend in komödiantischen Gefilden und erfreut mit liebevollen Details. So posiert Platée wie einst Marilyn Monroe mit wehendem Rock über dem Luftschacht, wenn auch mit ganz anderer Wirkung. Die verschieden Gestalten, in denen Jupiter auftritt, vom Esel und Uhu bis zum Hund fallen vergnüglich aus. Vor allem, wenn Platée dem Hund ein Leckerli anbietet. Dazwischen immer wieder die ausgedehnten Tanzszenen, die nicht losgelöst, sondern immer ganz in das Geschehen integriert sind. Ballettchef Sergei Vanaev hat da ganz hervorragende Arbeit geleistet. Ganz bezaubernd die Szene mit dem „Wasser-Ballett“! Überhaupt das Wetter: Horstkotte verlegt die Handlung fast in Bremerhavener Regionen. Regenschirme sind hier ein oft benötigtes Utensil; und Sturm und Regen peitschen über einen imaginären Deich.
Bei allem Komödiantischen wird aber zunehmend deutlich, dass der armen Platée übel mitgespielt wird und sich ihre Wunschträume in Albträume verwandeln. In einer Traumszene bringt sie ein Baby zur Welt, das zweite „Kind“ ist dann doch ein grüner Frosch. Am Schluss überzeugt Horstkotte mit einem tollen Einfall, bei dem die Stimmung in sekundenschnelle kippt. Platée fliegt die Perücke vom Kopf und sie/er entpuppt sich als Transvestit, der aller Hoffnungen beraubt ist und in Strapsen vor den Scherben seiner Träume steht. Mit einer aus Rameaus Oper „Castor e Pollux“ entliehenen Arie behält Platée das Schlusswort: „Mein Weg ist hier zu Ende“. Eine Szene, die unter die Haut geht, tief berührt und die Komödie auf den letzten Metern noch zur Tragödie wandelt.
Im Mittelpunkt des sehr homogenen, in deutsche Sprache singenden Ensembles steht als Platée der lyrische Tenor François-Nicolas Geslot, der die Partie schon unter Mark Minkowski gesungen hat. Er durchlebt alle Facetten der Rolle von naiver Eitelkeit bis zur besagten, traurigen Schlussszene mit greifbarer Intensität, stimmlich dabei sehr kultiviert und präsent. Leo Yeun-Ku Chu gibt den Jupiter mit profundem Bass, Filippo Bettoschi ist Cithaeron, Tobias Haaks der Merkur, Thomas Burger Thespis, Katja Bördner ist als Thalia und Juno zu hören, Regine Sturm die allegorische Figur der „Verrücktheit“, Manos Kia ist der Gott des Spotts und Carlolin Löffler verkörpert die Liebe.
Marc Niemann und dem Philharmonisches Orchester Bremerhaven gelingt eine Wiedergabe auf höchstem Niveau, die dem tänzerischen Impetus der Musik und dem barocken Klangbild in jedem Moment gerecht wird.
Wolfgang Denker, 26.12.2015
Fotos von Heiko Sandelmann