Rolf Liebermann
Premiere am 10.10.21
So kontrovers und turbulent wie bei der Uraufführung und bei den nachfolgenden Produktionen ging es am Sonntag im Bonner Opernhaus nicht zu – im Gegenteil: Euphorischer Beifall für Sänger und Orchester und spürbare Begeisterung für den Mut des Hauses sich an ein solches Werk zu wagen rissen die Bonner wahrhaft von den Stühlen. Rolf Liebermanns "Leonore 40/45" wurde das letzte Mal 1959 in Oldenburg auf die Bühne gebracht, bevor das Werk in der Versenkung verschwand. Vielleicht war die Zeit damals noch nicht reif, vielleicht die klaffenden gesellschaftlichen Wunden der Nazi-Zeit und des Zweiten Weltkrieges noch zu frisch, als dass man ein Drama, dass die Beziehung eines deutschen Wehrmachtssoldaten zu einer jungen Französin schildert, hätte würdigen wollen und können. Die Aufführungsgeschichte ist daher auch kurz: 1952 hatte das Stück im neutralen Basel seine Uraufführung und wurde danach wenige Male nachgespielt. Immer gleich war die Empörung über das Werk, immer gleich der Unwille sich auf diese Art und Weise mit der Zeit auseinanderzusetzen.
Aber worum geht es eigentlich: Die musikbegeisterte Französin Yvette und der deutsche Oboist Albert lernen sich während des zweiten Weltkriegs in Paris bei einem Konzert kennen und im Anschluss auch lieben. Yvette, der von da an der Makel der Kollaborateurin anhaftet verzweifelt, als Albert weiterziehen muss. Sie fleht ihren Schutzengel Monsieur Emile an, sie wieder zu Albert zu bringen, der nach dem Krieg bei einem Instrumentenbauer in Epernay Arbeit gefunden hat. Sie findet dort dank der glücklichen Hilfestellung des Engels ebenfalls Anstellung als Sekretärin und will ihren Albert nun heiraten. Ein mysteriöses Tribunal versucht dies zu verhindert, muss sich aber hinterher der Einsicht beugen, dass auch ehemalige Feinde sich lieben können. Soweit die – zugegebenermaßen – sehr verknappte Handlung. In Kenntnis dieser, mag man aber verstehen, was das Stück seinerzeit für ein Aufreger war. Heute, rund 70 Jahre später, kann man der universellen Botschaft, die die Abkehr von Gewalt und Krieg fordert und die Liebe als höchstes Gut ansieht nur zustimmen. Letztlichist dieser Gedanke und auch der entscheidende Link zum Titel des Werkes und der Verweis auf Beethovens „Fidelio“ – die Emanzipation über die Gewaltherrschaft zu Gunsten der Liebe.
In Bonn hat Jürgen R. Weber sich des Werkes angenommen und tut mit einer Sache etwas enorm Gutes: Er lässt die Oper in ihrer Zeit. So allgemeingültig die Aussage ist, so konkret ist das Werk eben doch in den 1940/50er Jahren verortet. Webe umrandet die Handlung aber mit einer bissigen, satirischen Ebene, die das Geschehen auf der Bühne mal ergänzt oder kommentiert. Eine große Videowand, die als verzerrter Bilderrahmen vor, der an die windschiefe Guckkastenbühne eines Varietés erinnernden Bühnenaufbau hängt, wird hierzu permanent bedient. Hank Irwin Kittel zeichnet hier für eine herrlich marode wirkende und raffiniert verzerrte Bühne verantwortlich. Das ist manchmal vergnüglich, manchmal aber auch ein wenig viel des Guten. So wird immer wieder der „Circus Hitler“, der auf Europa-Tournee sei als illustrierte Überschrift gewählt, überhaupt sind es immer wieder revuehafte Momente, die das durchaus auch Komische (Liebermann selbst nennt das Werk eine opera semiseria!), bedienen. Der Zuschauer erlebt immer wieder grelle Zerrbilder einer Wirklichkeit, die eine verbindendes Element zwischen ihm und der ansonsten historisch bedingt nicht so einfach zugänglichen Handlung darstellen. Comichaft, überzeichnet und nicht frei von Slapstick entlarvt Weber die Spießigkeiten der Zeit, zeigt auf der anderen Seite aber auch dramaturgische Schwächen des Stücks. Die Figuren bekommen wenig Tiefe, Beziehungen entwickeln sich sehr abrupt und eigentlich ist der Kontext fast das Spannendere als das, was da auf der Bühne passiert.
Der Komponist des Werkes, Rolf Liebermann, war in den 1960er Jahren gerade in seiner Position als Intendant der Hamburgischen Staatsoper (deren Intendant er in den 1980er Jahren ein zweites Mal war), eine treibende Kraft neues Musiktheater auf die Bühne zu bringen. Werke von Henze, Kagel, Menotti und Penderecki erlebten in seiner Ära ihre Uraufführung. So progressiv er im Amt wirkte, so sehr erstaunt dies, wenn man nun seine Oper hört. Liebermann ist dem Dodekaphonen zugewandt, nutzt diese oft als spröde und unsinnlich verurteilte Kompositionsmethode aber in einer sehr weit gefassten Auslegung. Seine Musik klingt nicht selten, als würde sie die Szenerie nur begleiten, gleich einer Filmmusik, die den Hintergrund zum Geschehen liefert. Es ist eine ganz eigene Musik, die trotz einer atonalen Grundhaltung immer wieder in die Gefilde spätromantischer Tonsprache abgleitet, die die Komik nicht scheut, manchmal scheinbar einfach nur dahinplätschert und den Singenden dann doch wieder einiges abverlangt.
Gesungen wird in Bonn auf höchstem Niveau. Allen voran Barbara Senator in der Partie der Yvette und Santiago Sanchez als Albert agieren mit immenser Spielfreude und arbeiten sich mit großer Akuratesse durch die ganz verschiedenen Anforderungen der Partien: Mal große Oper, dann rezitativisch im Parlando, mal lyrisch-melodisch, dann wieder schroff atonal – hier stimmt alles. Joachim Goltz als Schutzengel Monsieur Emile leitet charmant und mit viel Witz durch den Abend und überzeugt auch stimmlich. In kleineren Partien sind Susanne Blattert als Germaine, Pavel Kudinov als Hermann und Martin Tzonev als Musikalienhändler Lejeune exzellente Besetzungen. Auch der Chor überzeugt in seinen wenigen kleinen Einsätzen. Das Beethoven-Orchester ist in dieser Produktion hinter der Bühne postiert, was dem Klangerlebnis einen kleinen Abstrich tut. Daniel Johannes Mayer lenkt die Musiker aber sicher durch die teils knifflige Partitur und schafft – trotz der ungünstigen Positionierung – ein ausgezeichnetes Zusammenspiel zwischen Bühne und Orchester. Mayer zeigt wunderbar, welch effektreiche und teils überraschend klangschöne Musik Liebermann geschrieben hat.
Die Bonner Produktion, die im Kontext des Projekts "Fokus ’33" vom Land NRW gefördert wird ist Bestandteil einer Reihe von insgesamt acht Produktionen, die mit teils Bekanntem (wie unlängst mit Strauss „Arabella“) aber auch absoluten Raritäten aufwartet, wie eben der Lierbermannschen „Leonore“. Dem interessierten Opernfreund sei dringend ein Besuch auf der Homepage des Theater Bonn empfohlen, denn hier warten Opern, die man vielleicht lange nicht hat hören können und bei denen es fraglich ist, ob Ihnen ein fester Platz im Repertoire der Häuser beschieden ist: https://www.theater-bonn.de/de/fokus-33. Ergänzt wird das Programm durch Begleitveranstaltungen und im Fall der „Leonore“ ein absolut lesenswertes, umfangreiches Programmheft.
Ob es die „Leonore 40/45“ in der Zukunft leichter hat, wird sich zeigen. Die Bonner Produktion ist jedenfalls ein hoch interessantes Experiment, das zeigt, dass dieses Werk durchaus etwas zu sagen hat. Schwierig ist letztlich die Handlung, denn diese bietet doch allzu viel Bezüge zur Zeit der Entstehung und wirkt heute eher wie ein mehr oder weniger charmanter Blick in die Vergangenheit. Musikalisch ist sie aber in jedem Fall hörenswert und es lohnt die Chance zu nutzen, dieses Werk live zu erleben.
Sebastian Jacobs, 12.1021
Dank für die schönen Bilder an © Thilo Beu