Bonn: „Li-Tai-Pe“

Besuchte Premiere am 22.05.22

Möglichkeiten des Repertoires

TRAILER

Die Oper Bonn untersucht in ihrer Reihe "Fokus `33" Werke des Musiktheaters, deren Verschwinden oder Verbleiben auf den Opernbühnen wohl in irgendeiner Weise mit dem Jahr 1933 in einem Fokus steht, sei es das der Komponist dem Judenhass der Nazis zum Opfer fiel oder politisch missliebig war, oder die jüngere Deutsche Geschichte erst Anlass des Werkes war (,so Liebermanns "Leonore 45"). Zur Probe gestellt wurde jetzt die Oper "Li-Tai-Pe" von Clemens von Franckenstein, die 1920 uraufgeführt, ihren Weg erfolgreich über einige Bühnen machte. Clemens von Franckenstein dürfte heute kaum noch jemandem ein Begriff sein, doch zu seiner Zeit(1875-1942) war ein gut vernetzter Künstler aus adligem, in der Diplomatie tätigem Hause. Ein ernsthafter Komponist (Schüler von Ludwig Thuille), bekannt und befreundet mit vielen Zelebritäten seiner Zeit, als Dirigent tätig und zweimal sehr erfolgreicher Intendant des heutigen Nationaltheater München (Staatsoper), wo er von den Nazis aus dem Amt gedrängt wurde, er verblieb und starb in Deutschland (1942).

Die Oper in drei Akten von kurzweiligen einer Stunde und vielleicht vierzig Minuten Spieldauer handelt in einem historischen, aber auch etwas märchenhaften China um den Dichter Li-Tai-Pe. Gustav Mahler hatte Übersetzungen von zwei seiner Gedichte im "Lied von der Erde" vertont. Im ersten Akt befinden wir uns mitten im Volkstreiben, Li-Tai-Pe kommt von der Akademie abgewiesen volltrunken an, wir erfahren von Yang-Gui-Fehs (ein Mädchen aus dem Volke) Liebe zu ihm .Ein Gönner schickt ihn an den kaiserlichen Hof, wo der Kaiser verliebt in ein Bild der Prinzessin Fei-Yen eine Hochzeitswerbung an sie verfassen lassen will. Das klingt erst einmal nicht nach viel Handlung, doch die Musik verblüfft in ihrem klangmalerischem Rausch, ihrer kleinteiligen Süffigkeit; und dann gibt es da zwei Lieder, das Lied vom Kormoran und "Ich fahr auf meinem Schiffe", die einfach von unmittelbarerer Wirkung sind. Die Musik changiert zwischen tonal mehrdeutigen Wendungen, leicht pentatonischer Würze und "asiatisch trippelnden" Rhythmen. Es ist handwerklich hervorragend gemachte Musik, die immer wieder "operettige" Klicheès streift. Der zweite Akt findet am Hof statt, der Kaiser verwirft sehr schnell die Vorschläge der Minister Yang-Kwei-Tschung und Kao-Li-Tse, die bereits für die Akademieabweisung des Dichters zuständig waren und sich als dessen Feinde positionieren, während Li-Tai-Pe in höchste Gnaden gerät und zur Brautwerbung ausgeschickt wird. Die Musik weiß auch hier zu bezaubern und stuft in ein großes Chorensemble. Nach der Pause schüren die Intriganten beim Kaiser die Eifersucht, da der Dichter mit seiner Gabe angeblich die Braut unziemlich angegangen ist. Doch in einer kleinen Gegenintrige kann die als Page verkleidete Yang-Gui Fe wieder alles ins Lot bringen; sie bekommt den Dichter, der Kaiser die Braut, die Minister die Strafe. Dichter und Frau lehnen die große Belohnung ab, sondern sind mit dem einfachen Leben zufrieden. Der dritte Akt kühlt mich musikalisch etwas ab, ohne das ich es an etwas festmachen könnte.Irgendwie fehlt mir die Verve der vorausgegangenen Akte, doch die ruhige Finalabrundung mit dem "Schiff-Lied" fängt noch einmal den letztendlich positiven Eindruck auf. Allein durch die Wahl des exotischen Themas, was in der damaligen Epoche durchaus auf der Hand lag, als auch durch die geschickte Handwerklichkeit seiner Mittel, gelang es Franckenstein einen Publikumserfolg zu sichern, wenngleich der Ausführung auch ein Ruch an Kunstgewerblichkeit anhängig gemacht werden kann. Vielleicht kein Meisterwerk, doch man versteht, warum es gut ankommt.

Diese Kunstgewerblichkeit findet sich auch in Regie (Adriana Altaras) und Ausstattung(Christoph Schubinger /Bühne und Nina Lepilina/Kostüme) wieder: der erste Akt gleicht einem Wimmelbild der chinesischen Klischees von Heute;unter einer modernen Hochhaussilouette finden sich Suppenküchen,Chinaoper, gendernde Geisha-Prostituierte,Mao-Uniformen, Fahrräder,Glücksdrache, Manga-Mandarine und vieles andere,da kann man sich gar nicht satt sehen.Die Akte am kaiserlichen Hofe in reduzierter Märchenhaftigkeit mit einzelner riesenhafter Feng-Shui-Keramik. Die Aufführung entlarvt damit das exotische Asienbild der europäischen Betrachter, was sich auch in Franckensteins Musik findet. Altaras inszeniert ansonsten recht gerade und verständlich die Handlung ab, was dem Betrachter vielleicht etwas einfach anmuten mag, doch auch den Raum für die Rezeption zulässt, was ich bei einer unbekannten Oper für nicht gerade unwichtig halte. So werden die Mandarine des ersten Aktes szenisch durchgängig als "running gag" a la Ping/Pong/Pang (aus Puccinis "Turandot"), sehr präsent von Tae-Hwan Yun,Alexander Kalina,Juhwan Cho und Ricardo Llamas Marquez gegeben. Ein exotisches Schaustück wird bühnenwirksam präsentiert.

Musikalisch ist die Oper sicherlich genauso fordernd wie Strauss`etwa gleichlange "Salome" und sängerisch sehr anspruchsvoll. Bonn kann das. Hermes Helfricht läßt die opulente Partitur mit dem Beethoven Orchester Bonn sinnlich aufschimmern und meistenteils gelingt es, die Balance zwischen Bühne und Graben zu wahren. Enormes leistet Mirko Roschkowski in der Titelpartie in Sang und Darstellung: stimmlich wird ein Tenor für Schreker, Korngold oder Krenek gefordert, der die gewaltig aufbrausenden Chor-und Orchesterstellen überstrahlt, aber auch die lyrische Aura des Dichters entfaltet, mit geschickten Ausflügen in die Kopfstimme gelingt ihm das. Szenisch schafft er, den bedenkenlosen Trunkenbold über den Abend als positive Figur darzustellen. Anna Princeva stellt ihm mit warmstimmigen Sopran die liebende Yang-Gui Fe an die Seite; die beiden Lieder des ersten Aktes trifft sie ergreifend auf den Punkt; über das schreckliche untergeordnete Frauenbild der Figur möchte ich hier nicht eingehen. Joachim Goltz hat die anspruchsvolle Partie des Kaisers Hüan-Tsung, am Beginn mit recht hoher Tessitur sich quasi erst später als Heldenbariton zu erkennen gebend, meistert er auch die eifersüchtigen Ausfälle des dritten Aktes. Prinzessin Fei-Yen hält mit klarem Sopran dagegen, Ava Gesells wirkt frisch und jung, wohin sich diese interessante Stimme entwickelt, macht neugierig. Giorgos Kanaris Gönner Ho-Tschi Tschang gefällt mit ausgereiftem Bariton, wie Tobias Schabel und Johannes Mertes charaktervoll und angemessen die beiden Widersacher geben. Martin Tzonev ist als Herold eine sichere Bank des Bonner Ensembles. Kieran Carrel und Pavel Kudinov wissen als Wirt und Soldat in den Nebenrollen positiv aufzufallen. Zur sicheren Bank der Bonner Oper gehören ebenso Chor und Extrachor, die in der unbekannten Oper ordentlich zu tun haben.

Wieder einmal Erstaunliches leistet die Oper Bonn, der Besuch lohnt. Eine Oper, der man durchaus gerne wiederbegegnen würde. Da der WDR aufgezeichnet hat (Übertragung am 19.06.22 um 20.00 Uhr auf WDR 3), bleibt die Hoffnung auf eine CD, schön wär`s.

Martin Freitag, 25.5.22