Dortmund: „Siegfried“, Richard Wagner

Der Ring des Nibelungen an der Oper Dortmund wurde ja an vier aufeinander folgenden Tagen gegeben, wie auch Richard Wagner es ursprünglich einmal wollte, aber in einer außergewöhnlichen Reihung, nämlich Die Walküre, „Siegfried“, „Das Rheingold“ und schließlich „Götterdämmerung“. Anders als in Stuttgart 2000, wo vier Regisseure mit jeweils anderer Sichtweise an die vier Teile herangingen, wählte Intendant Germeshausen in Dortmund einen Regisseur mit der Vorgabe, die Stücke unabhängig voneinander zu inszenieren. Man wollte sie vom „Zwang des roten Fadens befreien“, denn auch Konwitschny meint, dass alle vier Stücke die Kriterien für einen einzelnen Opernabend erfüllen. So hat man die Reihenfolge willkürlich umgestellt, auch, um dem Publikum eine größere Freiheit in der Wahl seiner Besuche zu gewähren. Und es entfällt der Zwang zu chronologischer Erzählung und optischer Wiederholung von Kostümen und Ausstattung. Man kann das durchaus so sehen, aber dieser Ansatz birgt auch Gefahren und Nachteile. In Wagners Sinne wäre er sicher nicht gewesen, sonst hätte er die Stücke nicht geschrieben und komponiert, wie er es getan hat…

Dieser Siegfried, der erst am 20. Mai 2023 in Dortmund Premiere hatte, erschien als der schwächere Teil der Dortmunder Tetralogie von Peter Konwitschny. Man könnte sagen, er ist mit dem Bühnenbild von Johannes Leiacker und im Licht von Florian Franzen ein „Container-Siegfried“ geworden, denn alle drei Aufzüge werden in der einen oder anderen Form von Containern dominiert, mit recht unterschiedlichen dramaturgischen und optischen Effekten.

Im 1. Aufzug sehen wir Mimes Schmiede als Container mit einer Tapete, die den Wald suggeriert. Siegfried reißt später einfach einen Baum heraus zur Feuerung des Ofens. Die Dimensionen stimmen hier, die Schwertgewinnung findet relativ konventionell am Ofen und auf dem abgenutzten Küchenherd statt, immer mit dem gewissen humoristischen Augenzwinkern, das so typisch für Konwitschny ist. 

Der 2. Aufzug wurde eigentlich eine Slapstick-Nummer in zweifacher Hinsicht. Der Hornrufer Jan Golebiowski kommt aus dem Graben auf die Bühne und zieht vor einem hässlichen grauen und halbverhunzten Container mit Siegfried eine Spaß-Nummer über den richtigen Weckruf für Fafner ab – den Leuten machte das sichtlich Spaß! Und es war auch ein guter Ersatz für das sich oft so unmusikalisch hinschleppende Quietschen des Titelhelden auf dem berüchtigten „Rohre“… Dann fällt die vordere Containerwand herunter, und man sieht in ein vergoldetes, ja Gold-überladenes Badezimmer von Fafner. Man denkt sofort an einen gewissen Tower in New York City…

Der eigentlich unnötig verstärkte, denn mit einem kraftvollen Bass ausgestattete Denis Velev sitzt als Sekt trinkender Fafner in der vergoldeten Badewanne und lässt sich vom anmutigen Waldvogel in Hellgrün als Kellnerin bedienen. Es ist eine phantasievolle Darstellung des Fafner-Bildes ebenso wie des darauffolgenden Kampfes mit Siegfried, in der der Waldvogel versucht, noch ein paar Goldbarren zu retten. Und diese Dramaturgie offenbarte einmal mehr Konwitschnys Ader für Witz, der gleichwohl in enger Beziehung mit dem Stoff steht.

Im 3. Aufzug sind dann gleich drei graue Container auf der Bühne, mit einer riesigen grauen Containerwand dahinter, wie man sie auf Großbaustellen sieht. Das war nicht nur ein – im Vergleich zum Vorhergehenden – hässliches Bild, sondern auch nicht mehr handlungs- und werkkonform wie bisher. Thomas Johannes Mayer ist als Wanderer in der Erda-Szene, die im Haupt-Container stattfindet, stimmlich eingeschränkt. Sobald er zum Dialog mit Siegfried herauskommt, ist die Stimme wieder mit eben dieser dunklen bassbaritonalen Breite, die man bei Tomasz Konieczny in der Walküre am Abend zuvor vermisste. Erda kommt wenig effektvoll und sinnstiftend offenbar aus einer Tiefkühltruhe (man sieht ein Eiskristallzeichen auf der Seite) hoch. Das macht kaum Sinn. Melissa Zgouridi singt die Urmutter aber mit einem klangvollen Alt – im altgoldenen Palletten-Kleid…

Womit wir bei den Kostümen von Johannes Leiacker wären. Während Siegfried als klassischer Rebell mit Kopftuch und – natürlich – kurzen Hosen zu sehen ist, erscheint Brünhilde in leuchtendem Rot, der Farbe der Liebe. So passte das in der langen Schlussszene recht gut zusammen. Der Wanderer kommt allerdings in einem Fitness-Anzug und Turnschuhen daher, scheinbar war er gerade in einem solchen Studio. Das war für diese zentrale Figur des Ring doch eine sehr platte Art und Weise, das Ganze in die Gegenwart zu zerren. Leider fiel das Metallrohr, das er dennoch als Speer mit sich führte – welcher Kontrast! – auseinander, bevor Siegfried es mit seinem Schwert machen sollte.

Daniel Frank gab die Titelrolle mit sehr viel Emphase und Energie. Sein heldsicher Tenor verfügt über einige Strahlkraft sowie eine gute Resonanz und Wärme, so bedeutsam für den Siegfried, wenn man nur an das Waldweben denkt, aber auch an die Schlussszene mit Brünnhilde. Stéphanie Müther hatte an diesem Abend ihren zweiten Einsatz als Brünnhilde hintereinander und alle Herausforderungen der ja recht hoch liegenden Siegfried-Brünnhilde dennoch gut gemeistert, mit einer sehr effektvoll vorgetragenen Empathie für Siegfried.

Charaktertenor Matthias Wohlbrecht war ein ausgezeichneter Mime, man kann sagen, der Extraklasse, sowohl stimmlich wie darstellerisch. Morgan Moody war ein sehr akzentuiert und prägnant singender Alberich, nun auf einmal im Smoking! Der Waldvogel wurde von der exzellenten Koloratur-Sopranistin Rinnat Moriah nicht nur anmutig gesungen. Sie hat offenbar ein großes Talent zum Tanzen wenn nicht gar eine entsprechende Ausbildung gemacht. Es war ein Genuss, ihr dabei zuzusehen und sie auch noch singen zu hören! Moriah singt übrigens auch eine großartige Zerbinetta.

Zur Schlussszene werden alle Container abgeräumt, und Siegfried gelangt zur „Seligen Öde auf wonniger Höh‘“ auf eine völlig leere Bühne, in deren Mitte nur die helm- und schildbewehrte Brünnhilde lagert, sowie ein verfaultes Pferd, also Grane, der es offenbar nicht mehr geschafft hat. Das hätte man auch gut weglassen können. In dieser Leere ergab sich jedoch eine sehr schöne Interaktion zwischen Siegfried und Brünnhilde, die auch diese recht lange Szene spannend hielt. Konwitschny sieht im Zentrum seiner Arbeit die Beziehungen unter den Personen. Das wurde durch seine ausgefeilte Personenregie auch im Dortmunder Siegfried wieder deutlich.

Gabriel Feltz dirigierte wieder die Dortmunder Philharmoniker mit engagierten Tempi und viel Verve in den dramatischen Momenten, ebenso wie er den lyrischen Phasen ausreichenden Atem vermittelte. Oft legte er längere Pausen ein, die zum Reflektieren anregten, in den passenden Momenten. Das Orchester spielte in ausgezeichneter Form. Großer Applaus für alle am Schluss, einige, aber zahlenmäßig insignifikante Buhrufe für Peter Konwitschny.

Klaus Billand, 30. Mai 2025

Red. Anmerkung:
Die Dortmunder Oper stellt nur drei Bilder für Kritiken honorarfrei zur Verfügung. Die finden Sie in jeder Kritik! Daher verzichtet Der Opernfreund dieses Mal auf Bilder. Wir arbeiten nichtkommerziell und haben daher keinen Etat für so etwas.


Siegfried
Richard Wagner

Oper Dortmund

Besuchte Aufführung am 23. Mai 2025
Premiere am 21. Mai 2022

Inszenierung: Peter Konwitschny
Musikalische Leitung: Gabriel Feltz
Dortmunder Philharmoniker