Vorstellung am 15.10.2020
In memoriam Terence McNally
Einen hochinteressanten und wunderschönen Abend beschert das Theater Mönchengladbach allen Freunden des Musiktheaters mit Terrence McNallys Stück "Meisterklasse" (Master class) von 1995 in einer rundum gelungenen Inszenierung von Petra Luisa Meyer und Dietlind Konold (Bühnenbild und Kostüme).
Terrence McNally (*1938; *2020) gehörte zu den erfolgreichsten Broadway-Autoren. Direkt sein erstes Stück Things that Go Bump in the Night sorgte 1965 für einen Skandal-Erfolg. Ein Kritiker urteilte: Es wäre besser gewesen, wenn Terrence McNallys Eltern ihn in seiner Wiege erstickt hätten. Für den Text zum Musical Der Kuß der Spinnenfrau erhielt McNally 1993 den Tony Award. Der Autor, bekennender Maria Callas-Fan, besuchte selbst die Lektionen der Primadonna assoluta und war von ihrer Ausstrahlungskraft derart fasziniert, daß er ihr eine humorvolle, musikalische Hommage widmete. Unter einer Meisterklasse versteht man eine besondere Lehrveranstaltung durch eine sonst nicht lehrende Koryphäe eines bestimmten künstlerischen Gebietes. Die griechische Sopranistin Maria Callas (*1923; +1977), eine glamouröse, souveräne, überlebensgroße, ätzende und überraschend lustige Dozentin, allerdings ohne jegliches pädagogisches Geschick, hält gegen Ende ihres früh beendeten Lebens zwei Gesangsmeisterkurse 1971/72 in New York ab. Das Stück enthält Arien von Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini und Vincenzo Bellini, die von jungen Sängern vorgetragen werden und beschreibt fiktiv eine solche Meisterklasse. Das Schauspiel wurde von den Rezensenten zwar als „kein sehr gutes Stück“, aber als eines der eindringlichsten Porträts bezeichnet, die das Leben eines Menschen nach seinem großen Ruhm schildern. Nach dem Ende ihrer grandiosen Bühnenkarriere, zu einem Zeitpunkt, als die Beziehung der Callas zu Aristoteles Onassis bereits gescheitert war, schaut die große Künstlerin, die ihre Fähigkeit zum Singen inzwischen verloren hat, auf die Stationen ihrer Karriere und ihres Lebens zurück. Ihre jüngeren Jahre als hässliches Entlein, ihr heftiger Hass auf ihre Rivalen, die unerbittliche Presse, ihre frühen Auftritte, ihre Triumphe an der Scala und ihre Beziehung zum reichten Mann der Welt: Aristoteles Onassis, gehören zu den Erinnerungen, die sie mit den Zuschauern teilt. Sie gipfelt in einem Monolog über die Opfer, die im Namen der Kunst gebracht werden.
Die Schauspielerin Eva Spott zeigt uns eine Ehrfurcht gebietende Callas in einer Partie, deren große emotionale und schauspielerische Anforderungen von ihr eindrucksvoll gemeistert werden. Eine großartige Leistung, die unter die Haut geht. Faszinierend, mit großem Gehabe und nicht ohne Bitterkeit lässt sie die junge und naive Sopranistin, dargestellt von Maya Blaustein, die Bellinis Arie der Amina: Ah! Non credea mirarti! aus La sonnambula vortragen möchte, kaum über den ersten Ton hinaus kommen. Die Sopranistin darf sich des tiefen Mitgefühls der Zuschauer sicher sein, ist der emotionale Druck, man könnte fast von einem gewissen Sadismus der Großmeisterin sprechen, der bei diesem Vorsingen auf ihr lastet, auch von Publikum kaum auszuhalten. Allerdings weist das etwas handlungsarme Stück an dieser Stelle einige Längen auf. Die darauf folgende Mezzosopranistin, Boshana Milkov, die die Arie der Lady Macbeth: La luce langue… il faro spegnesi aus Verdis Macbeth vorbereitet hat, muss die Bühne verlassen, noch bevor sie auch nur einen einzigen Ton gesungen hat. Vergeblich wird nach ihr gerufen, sie erscheint erst einmal nicht mehr. Die tief kränkenden Bemerkungen der Callas zu ihrer Bühnengarderobe waren der jungen Künsterlin so auf den Magen geschlagen, dass sie sich erst einmal auf der Damentoilette erbrechen musste, wie wir später von ihr erfahren.
Das gibt dem jungen Tenor, dargestellt von David Esteban, die Möglichkeit, sich mit Mario Cavaradossis Arie: Dammi i colori! aus der Puccini-Oper Tosca vorzustellen. Nach diesem gelungenen Auftritt erhält auch die Mezzosopranistin die Gelegenheit, ihre Partie vorzutragen. Den Abend beschießt die große Sängerin mit einem Vortrag zu ihrem Kunstbegriff, der sich konsequent der Musik verschreibt und den sie auch von ihren Schülern in jeglicher Konsequenz einfordert. – Prächtig und opulent steht sie auf der Bühe: Eine Diva! Ein Mythos! Die Callas! Terrence McNally hat seinem Idol mit dieser Reminiszenz ein würdiges literarisches Denkmal gesetzt. Und das Theater Mönchengladbach verneigt sich mit dieser großartigen und gelungenen Inszenierung vor der Leistung eines bedeutenden Bühnenautoren. Terrence McNally ist vor 7 Monaten im Alter von 81 Jahren an einer Covid-19-Infektion gestorben. Langanhaltender Applaus und verdiente Ovationen.
credits
Deutsch von Inge Greiffenhagen und Bettina von Leoprechting
Inszenierung Petra Luisa Meyer, Ausstattung Dietlind Konold, Dramaturgie Ulrike Aistleitner.
Maria: Eva Spott, Der Pianist: Avishay Shalom, Eine Sopranistin: Maya Blaustein, Eine Mezzosopranistin: Boshana Milkov, Ein Tenor: David Esteban, Ein Hausmeister: Raafat Daboul.
Vorstellungsdauer: ca. 1 Stunde, 35 Minuten; keine Pause.
Ingo Hamacher, 16.10.2020
Bilder: © Matthias Stutte