Premiere 17. Oktober 2015 / Wiederaufnahme 29. Oktober 2017, besuchte Vorstellung am 25. November 2017
Freude bei alt und jung- so sollte es sein ;-)))
Eigentlich paßt eine Aufführung von Engelbert Humperdinck`s „Hänsel und Gretel“ auf den Text von Adelheid Wette „nicht nur zur Weihnachtszeit“ – um Heinrich Böll zum hundertsten Geburtstag zu zitieren. Zwar fand eher zufällig weil mehrfach verschoben die Uraufführung am 23. Dezember 1893 (unter Leitung von Richard Strauss) statt, oder Gretel singt einmal „Hier lieg ich unterm Tannenbaum“. Die Erlebnisse der beiden Kinder im Wald, wie das Pflücken der kleinen Walderdbeeren (Erbeln), die Übernachtung im Wald oder der Gesang von Kuckuck und Lerche sind wohl nur im Sommer möglich. Auch Lebkuchen gibt es inzwischen das ganze Jahr über. Wollen Eltern und Kinder aber zur Weihnachtszeit oder zu anderer Zeit eine „richtige“ Oper mit verständlicher Handlung, volksliedhaft klingenden Melodien und romantischer Orchesterpracht erleben, scheint dieses „Märchenspiel in drei Bildern“ doch weitaus anregender als manches „normale“ Weihnachtsmärchen.
Letzteres zeigte die Wiederaufnahme aus dem Jahre 2015 schon optisch mit den wunderschön-märchenhaften Bühnenbildern, besonders des zweiten und dritten Bildes, von Christian Floeren (auch für die konventionellen Kostüme verantwortlich) und den magischen Videos von Daniël Veder. Letztere beeindruckten wieder – besonders auch dank der Drehbühne – beim „Hexenritt“ zum Ortswechsel vom elterlichen Wohnzimmer zum Wald. Letzterer bestand aus scherenschnittartigen Tannen, die dann später sich zu geisterhaften Nebelfrauen mit Irrlichtern verwandelten. Überhaupt spielte der Wald eine noch grössere Rolle als gewohnt. Statt der Engel beschützten Tannen und Pilze beim „Abendsegen“ die Kinder im Schlaf, in diese Waldbewohner und nicht zu Lebkuchen hatte die Hexe die Kinder verwandelt.
In diesem Rahmen erzählte Regisseur Andreas Beuermann die Handlung ohne eigensinnige Regiemätzchen, aber mit kleinen Korrekturen gegenüber den ersten Aufführungen. Zwar konnte auch er es nicht lassen, das Vorspiel zu bebildern, wohl auch, um die Geduld der jüngeren Zuschauer nicht zu sehr zu strapazieren. Nach der Tempobezeichnung „Munter“ sah man bei ihrem ersten Motiv die Hexe, dann tanzten Vater, Mutter und die beiden noch ganz kleinen Kinder im Rhythmus der Musik. Ein Gemälde vom Ilsenstein hing an der Wand, das sich zu Ende des ersten Bildes mit einem kleinen „Feuerzauber“ auflöste – das war neu! Damit sollte wohl begründet werden, daß der Vater (im Walzertakt) von der Knusperhexe erzählen konnte, von deren Existenz offenbar er allein wußte.
Die Titelpartien wurden dargestellt von zwei in Münster beliebten Sängerinnen, die nicht mehr zum Ensemble gehören. Bei den Duetten der beiden hörte man, wie gut sie aufeinander eingespielt waren. Burschikos und jungenhaft munter spielte Lisa Wedekind den Hänsel und sang dabei tongenau und textverständlich bis hin zu den tiefen Tönen der Partie. Gretel spielte Eva Bauchmüller rollengemäß erst keck, dann schüchtern, zum Schluß mutig. Sie sang ebenfalls sehr tongenau, „tirelierte“ nach dem Aufwachen im dritten Bild die Tonleiter herauf und herunter und ließ zum Schluß ohne zu forcieren Triller und Spitzenton strahlen. Allerdings konnte sie sich nicht immer stimmlich gegenüber dem grossen Orchester behaupten. Diese Schwierigkeiten hatten die beiden Eltern nicht, die schon vor zwei Jahren diese Partien dargestellt hatten. Suzanne McLeod überzeugte jeweils mit wechselnder Stimmfärbung als erst keifende, dann verzweifelte Mutter Gertrud. Sie beherrschte den grossen Tonumfang ihrer Partie vom markanten hohen („hau ich euch“) bis zum fast nur gehauchten tiefen h („wirf Geld herab“) Mit mächtiger Stimme und textverständlich stellte Gregor Dalal Vater Peter dar – ein gute Laune verbreitendes Rollenporträt.. Beim Auftrittslied vom „Hunger als dem besten Koch“ kam er aus dem Zuschauerraum und mußte die Besucher der ersten Reihe belästigen – ohne solches geht es wohl heute nicht mehr!
Sand- und Taumännchen, wurden beide dargestellt von Katarzyna Grabosz. Sie traf die Spitzentöne beim Taumännchen, hatte in tieferer Lage des Sandmännchens Schwierigkeiten und war textlich kaum zu verstehen. Dafür sorgte sie wie ein Regisseur für den Schutz der Kinder.
Die Knusperhexe wird heute häufig von einem Tenor gespielt – hier war es Stephan Boving, langjährigen westfälischen Opernbesuchern noch von seiner Zeit aus Dortmund in der Ära Mielitz in bester Erinnerung. Er spielte die dankbare Partie transvestitisch gekonnt und gab seiner Stimme je nach Situation gehässige oder schmeichelnde Färbung.
Der Damenchor einstudiert von Inna Batyuk sei gelobt für das Echo auf die zaghaften Rufe von Hänsel und Gretel im zweiten Bild. Zum gelungenen Schluß trugen bei – passend zum Singen aufgestellt – die Kinderchöre des Gymnasium Paulinum und der Westfälischen Schule für Musik erfolgreich einstudiert von Rita Stork-Herbst und Jörg von Wensierski. Das Wedeln mit den Armen hätte Choreograph Erik Constantin ihnen ersparen können.
Für den reibungslosen und exakten Zusammenklang dieser vielen Mitwirkenden sorgte die musikalische Leitung von Stefan Veselka. Er inspirierte zudem die Musiker des Sinfonieorchesters Münster zu einer begeisternden Wiedergabe der so melodienreichen farbig instrumentierten und rhythmisch akzentuierten Musik, letzteres etwa beim „Hexenritt“ zwischen erstem und zweitem Bild. Die Walzer, etwa der „Knusperwalzer“, gelangen ebenso wie die „Parsifal“ – Ankänge des „Abendsegens“. Humperdinck schreibt betreffend Tempo an einigen Stellen Metronomangaben vor, hier glaubte man manchmal schnelleres Tempo zu hören, was kein Fehler war. Zum deutschen Wald gehören Klänge von Hörnern. Vom Vorspiel an bis zum Schluß klangen diese rund und weich. Viele Soli einzelner Instrumente erfreuten die Ohren, als Beispiele seien genannt das Cello-Solo vor „Ein Männlein steht im Walde“ die mehreren Violin-Soli oder auch das unheimlich klingende Englisch-Horn oder die Baßklarinette für die Untermalung des unheimlichen Waldes.
Im Programmheft weist Dirigent Veselka auf die Schwierigkeit hin, die Balance zwischen Transparenz und „orchestraler Wucht“ so zu beherrschen, daß die Sänger nicht zugedeckt würden. Da wären besonders für jüngere Zuschauer Übertitel hilfreich gewesen.
Trotzdem wurde von diesen und allen Besuchern im sehr gut besuchten Theater lange und auch rhythmisch applaudiert, so lange, daß der schon geschlossenen Vorhang noch einmal hochgezogen werden mußte.
Sigi Brockmann 26. November 2017
Fotos (c) Oliver Berg