Nach einigen Jahren, genau 2009, als ich hier schon einmal einen „Tristan“ in der Regie von Roland Aeschlimann erlebte, in dem die schweizerische Sopranistin Marion Ammann eine sehr lyrische, fesselnde Isolde sang, konnte ich nun wieder in meine Heimatstadt an der Wupper mit der Schwebebahn zu einer “Tristan“-Inszenierung zurückkehren. Hier, wo ich mit „Lohengrin“ 1967 meinen ersten Wagner erlebte und nach dem Vorspiel für alle Zeiten für den Komponisten verzaubert war, wurde dieser erneute Besuch zu einem emotionalen Erlebnis mit einer zusätzlichen Dimension. Vor einiger Zeit war die Wuppertaler Oper komplett renoviert worden und erstrahlt heute in neuem Glanz, hat aber die spezifischen Charakteristika ihres Innenraumes mit den vielen Säulen um das gesamte Parkett herum behalten. Hier traf ich 1970 Wolfgang Wagner, als er Hugh Beresfords Tannhäuser hörte, um ihn für Bayreuth zu besetzen. Bei der Gelegenheit sagte er mir und meinem Bruder Karten für seine „Ring“-Premiere in Bayreuth 1971 zu und ließ sie bald darauf über seine Assistentin Suchanek auch schicken. Das waren noch Zeiten – auch in Bayreuth! Aber genug der persönlichen Erinnerungen.
Zunächst das Wichtigste dieser Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“ der von Wagner so bescheiden genannten „Handlung in drei Aufzügen“. Es sollte ja gar kein großer künstlerischer Anspruch entstehen, um mit einem vergleichsweise knapp besetzten und damit vermeintlich „leicht“ zu spielenden Werk endlich Geld in die 1864 in Wien äußerst knappe Kasse zu bringen.
Allein, das Gegenteil wurde zur Realität, und Wagner floh in Frauenkleidern vor seinen Gläubigern aus seinem schönen Palais in Hietzing, an dem noch heute ein großes Medaillon an seine Zeit dort erinnert, wo er auch an den „Meistersingern“ schrieb. Im Keller soll eine Palette mit Champagner gefunden worden sein… Dann traf er in einem Hotel in Stuttgart den Emissär von König Ludwig II., und wir wissen, wie es dann weiterging. Wien hatte jedenfalls seine nie wiederkehrende Chance, ein Wagner-Stück zur Uraufführung zu bringen, verpasst – nahezu unverzeihlich…
Aber das Wichtigste: Weitergegangen ist es nämlich unterdessen mit der Wuppertaler Oper, was sein Sinfonieorchester unter der Leitung des jungen GMD Patrick Hahn betrifft. Schon mit dem Vorspiel wurde man unaufhaltsam in die betörende, ja berauschende Musik der Handlung in drei Aufzügen hineingezogen. Es war musikalisch ein ganz großer Fortschritt gegenüber dem „Tristan“ 2009 unter dem damaligen GMD Toshiyuki Kamioka zu hören. Hahn hat offenbar das Werk intensiv studiert, um es so genau und differenziert im Hinblick auf die Handlung musizieren zu lassen. Und das Orchester hat unter seiner Leitung einen gewaltigen Qualitätsschritt unternommen. Man meinte zu jeder Zeit in einer der so hochgelobten großen Häuser zu sitzen. Wie Patrick Hahn im elektronischen Programmheft erklärt – eine immer mehr Einzug haltende, vermeintlich ökologisch relevante Unsitte, denn man hat den ganzen Abend wegen der Licht- und, bei Interviews wie hier, auch Lautentwicklung nichts davon, hält Hahn Wagners „Tristan und Isolde“ für ein „Grenzen sprengendes Meisterwerk“ größter Virtuosität. Es habe an Aktualität zur Entstehungszeit musikalisch nichts verloren, und jeder spielt es gern. Man habe sich lange genug mit dem Orchester vorbereitet und sei überglücklich, wenn man in diesem Rausch drinnen ist und es frei musizieren kann. Das mache wahnsinnig viel Spaß. Dass diese Worte echte Überzeugung sind, konnte Hahn mit dem Sinfonieorchester Wuppertal den ganzen Abend über klangvoll belegen.
Die Inszenierung, der Programmzettel schreibt „Konzept und Regie Video von Martin Andersson„, einem jungen Nachwuchsregisseur mit noch nicht allzu viel Erfahrung auf dem Gebiet der Opernregie, trat dagegen in den Hintergrund, wenngleich sie mit seinen Videos und der Bühne, für die auch Edison Vigil und Lukas Noll verantwortlich zeichnen, sehr gut auf den musikalischen Fluss abgestimmt ist. So steht im 1. Aufzug das Meer mit seinen schäumenden Wellen und Tristans Schiff auf der Fahrt nach Cornwall mit drei beweglichen Segeln im Vordergrund, durchaus traditionell mit entsprechender Beleuchtung von Henning Priemer, aber insgesamt durchwegs überzeugend und eng am Werk. Im 2. Aufzug, in dem es ja um die überschwänglichen Gefühle der Liebe zwischen Tristan und Isolde geht, lässt Andersson die beiden vor einem utopischen, exotisch wirkenden Wald agieren, der ständig in kaum wahrnehmbarer Bewegung ist, auch durch die filigrane Lichtregie. Das passte durchaus zum Geschehen, wenngleich auch etwas überraschend in den Breitengraden Südwest-Englands – gut angewandte künstlerische Freiheit! Umso härter schlägt die Realität dann wieder zu, als Tristan sich in das Schwert Melots wirft. Im dritten Aufzug liegt er siech vor einer Höhle und Kurwenal kümmert sich engagiert um ihn. Die Optik drückt enorme Tristesse aus.
Samuel Sakker als Gast ist nicht der ideale Tristan. Vom Timbre her zu baritonal gefärbt hat er auch mit den Höhen, vor allem im 3. Aufzug, zu kämpfen. Die Stimme geht einfach nach oben nicht auf. Darstellerisch vermag er mit viel Emphase der Figur aber starken Ausdruck zu verleihen. Kirstin Sharpin, ebenfalls als Gast, war zur Premiere noch erkrankt, musste da ersetzt werden. Man merkte ihr großes stimmliches Potential für die Isolde, aber auch, dass ihre Krankheit noch nicht ganz abgeklungen war. Dennoch bot sie eine kraftvolle und überzeugende Interpretation der Isolde, wenn sie sich auch hätte ansagen lassen sollen. Erik Rousi, recht unkonventionell in seinem Auftritt, was den Haarschnitt angeht, sang den Marke sehr klangschön mit guter Resonanz und Diktion, etwas jugendlich onkelhaft in der Darstellung. Jennifer Feinstein als Gast hatte als Brangäne nicht nur eine unsaubere Stimmführung, ihre Wortdeutlichkeit ließ auch zu wünschen übrig. Martijn Sanders als Gast war ein solider Kurwenal, aber stimmlich nicht mehr. Jason Lee sang einen sehr guten Melot und Sangmin Jeon einen ebenso guten Hirten sowie die Stimme des jungen Seemanns. Andreas Heichlinger war der undankbare Steuermann. Die Herren des Opernchores sowie des Extrachores der Wuppertaler Bühnen machten ihre Sache ebenfalls gut.
Insgesamt konnte diese Produktion wegen ihres hohen musikalischen Niveaus aus dem Graben und der dazu passenden Regie und Optik überzeugen, was von der sängerischen Seite her nicht ganz zu sagen ist. Aber es ist großartig, dass die Wuppertaler Oper wieder Wagner gegeben hat und sicher, dass mit diesem Orchester und seinem GMD noch sehr viel mehr möglich ist
Klaus Billand, 8. Dezember 2023
Tristan und Isolde
Richard Wagner
Wuppertaler Bühnen
Besuchte Vorstellung: 29. Oktober 2023
Premiere am 22. Oktober 2023
Regie: Edison Vigil
Dirigat: Patrick Hahn
Sinfonieorchester Wuppertal