Dresden, Konzert: „Die Walküre“, Richard Wagner

© Oliver KIlling

Nachdem mit der Wiederaufnahme der Willy-Decker-Inszenierung des „Ringes des Nibelungen“ in den Jahre 2016 bis 2023 von der Sächsischen Staatskapelle und Spitzensängern unter der musikalische Leitung Christian Thielemanns auf der Bühne der Semperoper grandiose zeitgemäße Aufführungen der Wagner-Komposition Maßstäbe setzten und Marek Janowski mit seinen konzertanten Interpretationen der Dresdner Philharmonie im Jahre 2022 die philosophischen Tiefen des Werkes ausgelotet hatte, musste zwangsläufig der Blick sowie das Ohr der Wagner-Anhänger der Stadt auf die früheren Umstände des Umgangs mit dem Welterfolg gerichtet werden. Für die Dresdner Musikfestspiele war es mithin unabdingbar, als sich eine Gruppe um den Musikwissenschaftler Kai Hinrich Müller und dem Dirigenten Kent Nagano mit der Entwicklung der Aufführungspraxis von Richard Wagners Zyklus „Der Ring des Nibelungen“ beschäftigte, sich in das Projekt einzubringen. Hatte doch Wagner nicht nur prägende Kindheits- und Jugendjahre in der Stadt zugebracht, sondern als Dirigent des Königlich–Sächsischen Hofopernorchesters drei seiner Opern hier uraufgeführt. Vor allem waren seine Dresdner Jahre der Ausgangspunkt des Ideen-Konzepts für „seinen Ring“.

Deshalb war es schlüssig, als die 2018 Form angenommenen Bemühungen schwächelten, dass Jan Vogler das Vorhaben regelrecht kaperte, für eine gesicherte Finanzierung des Projektes sorgte, und Kent Naganos „The Wagner Cycles“ nach Dresden holte.

Vor allem ging es beim Vorhaben, dem Orchesterklang des 20. Jahrhunderts nachzuspüren und zu vermuten, wie Wagner die Singstimmen eingesetzt haben könnte. Nach intensiver Forschungsvorbereitung wurden in den Arsenalen auffindbare Instrumente aufgearbeitet oder nach den Möglichkeiten nachgebaut sowie moderne Instrumente provisorisch angeglichen und ihre Spielweisen der Historie angepasst.

Mit den „Rheingold-Aufführung“ im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele 2023 gab es bereits die Möglichkeit, in diesen vom Üblichen abweichenden Wagner-Klang hineinzuhören, so dass man auf den Abend vorbereitet war.

Inzwischen ist am Projekt intensiv gearbeitet worden, so dass die Andersartigkeiten der Darbietung bei der konzertanten „Die Walküre“ am 9. Mai 2024 im Dresdner Kulturpalast noch ausgeprägter zur Geltung kam.

Das aus Musikern des Dresdner Festspielorchesters und des Concerto Köln gebildete Projektorchester war bei den Streichern mit 14 Ersten und 13 Zweiten Geigen, 10 Bratschen, 10 Violoncelli sowie sieben Kontrabässen nahezu im von Wagner vorgegebenen Umfang besetzt. Der Authentizität entsprechend, waren deren Instrumente vorwiegend mit Darmsaiten bespannt. Historische Hörner, vier Wagner-Tuben, ein Stierhorn sowie Trompeten, Posaunen, Holzbläser und sechs Harfen perfektionierten den auf Kammerton a=435 Hertz eingestimmten Klangkörper. Das entspricht dem im Jahre 1885 auf einer internationalen -Konferenz in Wien festgelegtem sogenannten “Internationalen Stimmton“. Die modernen Orchester spielen überwiegend mit einer, auch vom Repertoire beeinflussten Einstimmung zwischen 443 und 445 Hertz deutlich heller. Auch hatte Nagano die Anordnung einiger der Instrumentalisten auf dem Podest den Gegebenheiten des Klangraumes angepasst.

© Oliver KIlling

Für die Sänger war die Wiederentdeckung einer fast vergessenen Beziehung zur Sprache bestimmend. Unterschiedlichster Umgang mit den Worten Richard Wagners, der bis zum Sprechen von Passagen führen konnte, und das Singen mit weniger Vibrato waren kennzeichnend. Denn Richard Wagner wollte nicht gehört, nicht nur erhört sondern vor allem verstanden werden. Er hatte sich ohnehin vor allem als Dichter, als Mann des Wortes verstanden.

Ich glaube auch nicht, dass er Verständnis für seine modernen „Konsumenten“ gehabt hätte, die sich einen Ring-Zyklus nach dem anderen hineinziehen, die sich zwei oder gar drei „Ring-Aufführungen“ hintereinander antun, nur weil ein besonderer Interpret das besonders wohlklingend darbietet.

 „Die Walküre“ ist jener Teil des „Ringes des Nibelungen“, der wegen der unterschiedlichen Atmosphäre seiner drei Aufzüge besonders geeignet ist, die bisherigen Erkenntnisse der Aufführungspraxis aus der Zeit Richard Wagners vorzustellen: der erste Aufzug in der irdischen Welt, der mit einer inzestuösen Liebesszene endet, der zweite Aufzug mit den dramatischen Entwicklungen zwischen dem Götterpaar, der Todesverkündung der Brünnhilde, dem Tod der Rivalen sowie des Ungehorsams der Walküre und dem dritten Aufzug mit dem Verstoßens der Ungehorsamen.

Obwohl beim Orchestervorspiel die dramatische Wucht der tiefer gestimmten Kontrabässe aufhorchen ließ, setzte sich nach Konzertbeginn der dumpfere Klang der überwiegend eingesetzten Darmsaiten zunehmend durch. Für den Hörer, der an die von mit ummantelten Stahlsaiten bespannten Violinen erzeugten Töne gewohnt ist, war das schon eine Umstellung. Da fehlte einfach das Runde, Klare und die Fülle im Obertonbereich bei dem ansonsten gut durchhörbaren Orchester. Auch die Holzblasinstrumente verfügten nicht über die gewohnten hellen Klangcharaktere. Dafür konnten wir die Wagner-Tuben nicht nur hören, sondern auch mal sehen und das Stierhorn in Aktion erleben. Die Gefahr, dass bei den Fortissimo-Passagen die Streicher den großen Konzertraum nicht ausfüllen könnten, hatte Nagano mit dem Stilbruch einer modernen G-Saiten Bespannung der Instrumente und mit einer erstklassisch detaillierten Abstimmungsarbeit in den Griff bekommen, so dass auch der Ritt der Walküren zu einem Kulminationspunkt wurde.

Stattdessen hörten wir anderes Gewohnte neu, wenn die leiseren Instrumente die Sängerinnen und Sänger nicht abdeckten. Die Sänger hatten ihr Vibrato eingeschränkt, waren auf eine sorgfältige Artikulation ihrer damit gut verständlichen Texte bedacht und bemühten sich um ergänzende Gesten. Damit dürften sie den Intensionen Wagners hinsichtlich einer Wirkung seiner Wortkonstruktionen weitgehend nahegekommen sein.

Bei der Auswahl der Sänger hatte man auf den Einsatz von Wagner-Spezialisten verzichtet und auf eine Kombination von Opern- und Konzertsängern gesetzt, die in einem breiteren Repertoire  aufgestellt sind, dabei unter anderem an Mozart, Bach oder auch Haas orientiert waren.

An der Spitze stand der Wotan des Bassbaritons Simon Bailey. Mit wohlklingender tiefgrundierter voluminöser Stimme war er der charismatische Gott, der seine Autorität aus seiner sozialen Stellung bezieht, aber auch in Gesetzen und an Verträgen die Grenzen seiner Möglichkeiten erkennen muss. In der Folge der Auseinandersetzung mit seiner Gattin Fricka werden ihm die Opferung seines Sohnes Siegmund und in letzter Konsequenz die Verbannung seiner Lieblingstochter Brünnhilde abgerungen.

Mit Maximilian Schmitt war ein Siegmund gefunden worden, der über noch geringe Wagner-Erfahrungen verfügt. So hielt er seinen jugendlichen Heldentenor im Zaum, ordnete sich dem Anliegen des Projektes unter und konzentrierte seine Stimme auf eine umsichtige Wortverständlichkeit. Am absurden Bestreben der lautesten und längsten Wälse-Rufe beteiligt er sich gar nicht erst und begnügte sich mit prägnanter Eindringlichkeit.

Ihm zur Seite agierte als Sieglinde die in ihrem sonstigen Repertoire außergewöhnlich flexibel aufgestellte Sarah Wegener. Mit der großen vokalen Spannbreite ihrer Stimme, ihrem dunkelwarmen Timbre und der faszinierenden Intensität ihrer Darbietung war sie die passende Partnerin, die mit Gestik und Mimik sowohl die Größe als auch das Leid ihrer Figur zur Geltung brachte.

© Oliver KIlling

Für seine Hunding-Charakterstudie setzte der Bassist Tobias Kehrer eine prachtvolle Gesangs- und Sprechstimme ein und holte aus der Partie mit seiner gefährlichen Wirkung das Mögliche heraus.

Im Zentrum des zweiten Aktes stand die Auseinandersetzung der Fricka Claude Eichenbergers mit dem Wotan Baileys. Mit ihrem reichen Mezzosopran reicherte sie die Enttäuschung und Empörung über den Inzest zu zorniger Durchsetzungsfähigkeit an und sicherte die Bestrafung Siegmunds.

Einer mitfühlenden, mutigen und selbstständig handelnden Wotan-Tochter Brünnhilde gab die in Dresden noch unbekannte schwedische Sängerin Asa Jäger mit ihrem dramatischen Sopran und ihren Spitzentönen eine bestimmende Struktur. Am Beginn noch unbeschwert, fast kindlich-jugendlich reifte sie mit ihrer Mimik, Gestik sowie ihrem grandiosen Gesang zur durchsetzungsfähigen Maklerin ihrer Interessen und zur menschlich dominierenden Figur. Dabei brachte sie mit ihrem bestimmenden Auftreten Wotan an den Rand einer moralischen Niederlage und führt das Konzert zu einem überwältigenden Abschluss.

Nicht nur zur Komplettierung der Sängerriege war mit der Helmwige von Natalie Karl, der Gerhilde von Chelsa Zurflüh, der Ortlinde von Karola Sophia Schmid, der Waltraude von Ulrike Malotta, der Siegrune von Ida Aldrian, der Rossweise von Marie-Luise Dressen, der Grimgerde von Eva Vogel sowie einer Schwertleite der Jasmin Etminan ein beeindruckendes Team von Walküren aufgeboten worden. Ihren Auftritt hatte man geöffnet, indem vier der Damen die traditionellen Sprechtrichter der Wagnerzeit bei ihrem Erscheinen im Saal vorführten und sich dann an der Podest-Rampe mit den übrigen Walküren komplettierten.

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Das Projektteam um Ulrike Schüler hatte mit seiner Aufführung auch einen wichtigen Beitrag zur Ablösung fragwürdiger szenischer Inszenierung durch derartige konzertante Darbietungen geleistet.

Kent Nagano gelang es, eine gefühlte halbe Minute das vollständig besetzte Auditorium ruhig zu halten, bevor die frenetischen und weitgehend stehend dargebrachten Ovationen losbrachen.

Thomas Thielemann, 11. Mai 2024


Die Walküre
Richard Wagner

Kulturpalast Dresden
Dresdner Musikfestspiele 2024

Konzertante Aufführung 9. Mai 2024

Dirigent: Kent Nagano
Dresdner Festspielorchester
Concerto Köln