Mailand: „Die Walküre“, Richard Wagner

© Brescia/Amisano

Nach “Rheingold” (worüber wir im Dezember 2024 berichtet haben) wurde mit dem Ersten Abend des „Ring“ ein weiteres Glied des im Entstehen begriffenen neuen Zyklusprojekts von David McVicar (Regie und mit Hannah Postlethwaite auch Bühnenbild), Emma Kingsbury (Kostüme) und David Finn (Beleuchtung) geschmiedet.

McVicar setzt seine schon am Vorabend des Mammutwerks gezeigte Sicht auf dieses fort. Er erzählt die Sage, ohne ihr pseudo-intellektuelles Geschwätz aufzupfropfen, sondern setzt auf die genuine Aussage einer letztlich den Göttern ausgelieferten Menschenwelt. Und zwar Göttern, die ihrerseits nicht allmächtig sind, sondern wie Fricka den ihr zustehenden Respekt einfordern müssen und wie Wotan unter dem erzwungenen Abschied von seiner Lieblingstochter leiden. Und wird denn Brünnhilde, als Walküre unsterblich, nicht auch vom Menschenschicksal überwältigt, wenn sie entgegen ihres Gottvaters Geheiß Siegmund in seinem Kampf mit Hunding beschützt und als Konsequenz ihre Gottheit verliert?

Diese Aspekte werden von McVicars Interpretation klar herausgearbeitet, wobei das Bühnenbild diesem Ansatz bestens entspricht: Eine zerklüftete Weltesche weist im 1. Akt auf schon erfolgte Kämpfe hin, im 2. ist eine Felsenlandschaft zu sehen, in die eine Art Globus integriert ist, von Wotans Macht- und Herrscherwillen zeugend, und besonders eindrucksvoll der Fels für Brünnhildes Schlaf im 3., eine riesige Skulptur, das Haupt von Erda, der Mutter der Walküren, darstellend. Hier wird Wotan die Kämpferin betten und mit einer metallenen Maske ihr Gesicht bedecken. Eine originelle Lösung gibt es auch für Grane und die Pferde von Brünnhildes Schwestern; es handelt sich um Pferdeköpfen nachgebildete Formen aus Metall, die von Spezialisten bewegt werden, die auf Metallfedern tänzelnde Bewegungen machen, wie es Pferde tun, die zum Stillstehen angehalten werden (dafür und für die Kampfbewegungen zuständig: David Greeves). Die Kostüme sind den jeweiligen Figuren angepasst, Felle, Jacken und Stiefel für die Menschen, Hoheitsvolles für Wotan und Fricka, viel Phantasie für die Kleidung der Walküren und ihre Frisuren. Um auch etwas zum Meckern zu haben: Hunding wird unnötigerweise von einem Haufen wilder Kerle begleitet, was aber weniger stört als die Jünglinge, die Wotan umgeben, bevor er Brünnhilde in ihren langen Schlaf versenkt. (Allerdings überzeugt die Geste, mit der einer von ihnen dem Gott, bevor dieser abgeht, einen Mantel umlegt, dessen Kapuze aufgesetzt wird und schon auf das Bild des Wanderers verweist).

© Brescia/Amisano

Musikalisch nahm die Vorstellung erst ab dem 2. Akt Fahrt auf, was nicht am Dirigenten lag, sondern an den Sängern. Für Klaus Florian Vogt liegt der Siegmund recht tief, und in der Deklamation klang er angestrengt und manchmal geradezu wie ein Charaktertenor. Zwar sang er zufriedenstellende Wälserufe, aber die „Winterstürme“ und die Interpretation ermangelten der Dringlichkeit. Seine Sieglinde war die Südafrikanerin Elza van den Heever, welche die Rolle zum ersten Mal sang – früher debütierte man mit einer solchen Aufgabe nicht an einem ersten Haus. Ihr eher metallisch timbrierter Sopran geht in der Höhe sehr gut auf, während mir die Mittellage für diese Rolle nicht ausreichend durchgebildet erscheint. Günther Groissböck war ein adäquater Hunding, auch wenn sein Bass weniger Durchschlagskraft hatte als von ihm gewohnt oder erwartet. Nach diesem etwas spannungslosen Beginn änderte sich die Lage sofort mit einem strahlend sicheren Hojotoho! von Camilla Nylund, die im Laufe des Abends ihren Sopran, der ja kein hochdramatischer ist, nie forcierte und dennoch gut über das Orchester kam. Ihre bruchlose gesangliche Leistung schlug sich in einer besonders innigen Gestaltung nieder, welche die Bande zum geliebten Vater immer spürbar werden ließ.

Okka von der Damerau gab mit wuchtigem Mezzo eine hoheitsvolle Fricka, die keinen Raum für kleinliches Gezänk ließ, sondern überzeugend ewige moralische Regeln verteidigte. Und dann war da Michael Volle, jeder Zoll ein Wotan, der aber durchaus verletzliche Seiten zeigte. Die Wortdeutlichkeit dieses Künstlers kann nur als phantastisch bezeichnet werden, sodass man auch die lange Erzählung für Brünnhilde mit größtem Interesse verfolgte. Und der 3. Akt war dann überhaupt ein kleines Wunderwerk, Wotans Abschied zu Tränen rührend, perfekt im Zusammenspiel mit Nylund. Hier dürfen die stimmlich ausgezeichnet und harmonisch zusammengestellten Walküren nicht vergessen werden: Caroline Wenborne, Olga Bezsmertna, Stephanie Houtzeel, Freya Apfelstaedt, Kathleen O’Mara, Virginie Verrez, Eglé Wyss und Eva Vogel.

© Brescia/Amisano

Wie bei „Rheingold“ ersetzten Simone Young und Alexander Soddy den ursprünglich vorgesehenen Christian Thielemann und teilten sich je drei Vorstellungen, was auch für die anderen Teile des „Rings“ und die vorgesehenen Aufführungen des gesamten Zyklus so gehandhabt werden wird. Ich habe neuerlich einen von Soddy geleiteten Abend gewählt und es nicht bereut, denn sein exquisites Dirigat spürte sämtlichen musikalischen Verästelungen nach, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren, wobei ihm das Orchester des Hauses merklich willig folgte.

Starker Applaus für alle und spezieller Jubel für Michael Volle. Bei der Premiere hatte es ein paar Buhs für die Regie gegeben, auf die an der Scala offenbar nicht verzichtet werden kann.

Eva Pleus, 25. Februar 2025


Die Walküre
Richard Wagner

Teatro alla Scala

Vorstellung am 20. Februar 2025

Regie: David McVicar
Dirigat: Alexander Soddy

Im März 2026 wird die Tetralogie zweimal komplett gespielt, vom 1. bis 7. unter Simone Young, vom 10. bis 15. unter Alexander Soddy (Nina Stemme wird übrigens die Waltraute singen). Die Abonnements für jeden der beiden Zyklen können ab 23. April 2025 bestellt werden.