Köln: „Das Rheingold“, Richard Wagner

Nach über 20 Jahren schmiedet die Kölner Oper einen neuen Ring, und mit dem Rheingold beginnt ein Abend die Tetralogie, der bildgewaltig daherkommt, musikalisch voll und ganz überzeugt und im Konzept interessante Ansätze bietet, aber auch Fragen aufwirft.

Regisseur Paul-Georg Dittrich setzt seinem Ring die Grundüberlegung voraus, dass „Kinder der Ursprung der Welt“ sind. So erwarten den Zuschauer in der ersten Szene weder schwimmende Rheintöchter noch der Grund des Rheins: Es sind Kinder, die die Szenerie bevölkern. Jedem Protagonisten an diesem Abend ist ein Kind als Äquivalent zugeordnet. Immer wieder tauchen sie auf, sind in den gesamten Abend eingebunden und haben auch immer wieder starke Auftritte, etwa als Wurm in Nibelheims Unterwelt oder als „Ring“ der Erda umgibt. Eins sei vorneweg gesagt: Die jungen Leute machen ihren komplexen Job exzellent, und diese Leistung beeindruckt nachhaltig. Dass ihnen so eine große Rolle zukommt, macht die Grundidee der Regie aber auch notwendig: Aus ihrer kindlichen Phantasie, die noch ohne Gier und Berechnung auskommt, entsteht eine ganze Welt, eine Welt, die herrlich naiv daherkommt. Die Götter scheinen den Köpfen der Kinder entsprungen, sind Prinzessin, Comicfigur und Superheld. So sind die Kinder das Rheingold, das Welten erschaffen kann, das an das Gute glaubt, mit einem Urvertrauen gesegnet ist. Dies ist die zugegeben nicht einfach zu greifende, aber nicht uninteressante Deutung des Rheingolds, mit dem man die Welt beherrschen kann. Doch was passiert, wenn dieses „Gold“ in die falschen Hände gerät, das zeigt Alberich sehr deutlich: Die Kinder werden in seine finstere Unterwelt gebracht, in computerspielartigen Räumen und Ebenen gefangen gehalten. Diese Welt ist nun mehr als grausam. Sie ist brutal, sie nimmt den Kindern ihre Phantasie und bildet einen optisch starken Gegenentwurf zur heilen Welt zuvor. Der Zuschauer erlebt, wie sich Welten ändern können, wenn Macht und Gier die Unschuld verdrängen. Dabei geht es nicht um einen physischen Missbrauch, sondern eher um die Instrumentalisierung der kindlichen Phantasie, um ein Ausnutzen dieser Gabe aus Unbedarftheit, Welten erschaffen zu können.

© Matthias Jung

Der Ansatz ist durchaus interessant und bietet eine bemerkenswerte Lesart des Werkes. In der Umsetzung fordert dies aber einiges vom Zuschauer, denn die Regie geht mal plakativ, mal abstrakt, mal assoziativ vor. So geraten manche Szenen unglaublich lebendig, andere ergehen sich in Statik, und gerade am Ende des Abends, wenn die Götter Walhall beziehen, sehen wir lediglich Videos, die ahnen lassen, dass der Menschheit (und auch den Göttern) nichts Gutes bevorsteht. Sind es nun die Erwachsenen, die ihre Welt voller Gewalt und voller Zerstörung erschaffen? Die Regie beantwortet nicht alle Fragen, lässt manches offen und ist auch nicht immer präzise. Gelegentlich sind es schlichtweg Diskrepanzen zwischen Werk und Szene, die das Gesamterlebnis zum Knirschen bringen. Gerade der Beginn des Abends wirft Fragen auf, wenn die Rheintöchter und Alberich nahezu konzertant die Szene eröffnen, während die Kinder lippensynchron ihre Münder bewegen und so ins Spiel einsteigen. Manche Idee – und Ideen haben Regie und Ausstattung wahrlich viele – braucht ihre Zeit, bis sie sich erschließt, manche bleibt aber auch ein Rätsel, und so freut man sich gelegentlich einfach auch nur an den starken Bildern. Freilich, wer einen stringenten Zugriff auf die Handlung wünscht, wer es konkret mag, der wird an diesem Abend nicht nur Freude haben.

© Matthias Jung

Bemerkenswert ist an dieser Produktion die Ausstattung, die für das Staatenhaus erstmals seit langer Zeit wieder nennenswerte Szenenwechsel und Umbauten zulässt. Pia Dederichs, Lena Schmid (Bühne), Mona Ulrich (Kostüm), Robi Voigt (Video) und Andreas Grüter (Licht) erschaffen raffinierte Räume und Bilder. Die Naivität der Götterwelt, als wäre sie direkt aus einem Bilderbuch gepurzelt, die düstere Dystopie Nibelheims und dazu eine kleinteilige und hochpräzise Lichtregie sind bemerkenswert.

Auf der musikalischen Seite weiß der Abend ebenfalls zu punkten. Jordan Shanahan gibt sein Debüt als Wotan und zeigt einen fein nuancierten Göttervater, der nicht so sehr mit Wucht daherkommt, wohl aber mit fein timbrierter, charakterstarker Stimme. Wotan findet mit Daniel Schmutzhard als ausgesprochen differenziert singendem Alberich einen ebenbürtigen Gegenspieler. Schmutzhard beginnt dezent, fast lyrisch, entfaltet jedoch im Fluch seine ganze vokale Wucht. Mit conferencierhaftem Charme und groß gezeichneter Gestik und Mimik singt Mauro Peter einen klangschönen und in puncto Textverständlichkeit vorbildlichen Loge. Die weiteren Götter sind mit Miljenko Turk (Donner), Tuomas Katajala (Froh), Bettina Ranch (Fricka) und Emily Hindrichs (Freia) durchweg solide besetzt. Adriana Bastidas Gamboa singt eine Erda, die vor allen Dingen mit ihrer herrlich dunklen Stimmfarbe zu überzeugen weiß. Lucas Singer als Fafner und Christoph Seidel als Fasolt überzeugen als geldgierige Mafiosi, wenngleich man sich gerade bei den Riesen ein bisschen mehr Bedrohlichkeit, ein bisschen mehr stimmliches Dröhnen gewünscht hätte. Als Mime agiert Martin Koch klangschön und spielfreudig. Die Rheintöchter bleiben insgesamt ein wenig blass im Kosmos eines Wagner-Ensembles.

© Matthias Jung

Marc Albrecht dirigiert ein famos aufspielendes Gürzenich-Orchester, das so präsent vor der Bühne sitzt, wie man es im Haus am Offenbachplatz nicht mehr sehen wird. Dennoch gelingt eine sehr gute Balance zwischen Orchester und Solisten. Albrecht musiziert fein nuanciert, hält das Orchester immer wieder im Zaum und lässt Ausbrüche nur dann zu, wenn eben kein Sänger im Weg ist. Die Tempi sind moderat gewählt, das Dirigat ist fein auf die Partitur abgestimmt, immer wieder erfreuen raffiniert herausgearbeitete Motive und Ideen.

Am Ende des Abends fällt die Reaktion des Publikums geteilt aus. Bravo- und Buh-Rufer liefern sich beim Auftritt des Produktionsteams ein eifriges Gefecht, während die Zustimmung für die Sänger und das Orchester einhellig positiv ausfällt. Der Zwiespalt der Publikumsreaktion ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen – der Abend hat immer wieder spannende Momente, zeigt Spielfreude, Dramatik und große Bilder. Es bleibt aber auch festzuhalten, dass manche Ideen sich schlichtweg nicht erschließen, dass es immer wieder Szenen (wie eben Anfang und Ende) gibt, die in erdrückender Statik nicht über die Zeit kommen. Das ist schade, denn die Grundidee und deren Umsetzung laden zum Nachdenken ein, und man darf gespannt sein, wie sich das in den weiteren Teilen fortsetzen wird.

Sebastian Jacobs, 27. Oktober 2025


Das Rheingold
Richard Wagner

Oper Köln

Premiere: 26. Oktober 2025

Inszenierung: Paul-Georg Dittrich
Musikalische Leitung: Marc Albrecht
Gürzenich-Orchester

Trailer