Bayreuther Festspiele: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2024“

Nach den Reisebilanzen sind die Festspiele dran. Heute: Bayreuth. Ein paar Tips für Besucher gibt es gratis dazu.


Beste Produktion (Gesamtleistung):
Der fliegende Holländer in der Inszenierung von Dmitri Tcherniakov. Die Geschichte wird neu erzählt, ist aber in sich völlig stimmig, mitreißend, erschütternd und von allen Mitwirkenden umwerfend umgesetzt.

Größte Enttäuschung:

  • Technisch: Die AR-Brillen-Nachbearbeitung beim Parsifal in der Inszenierung von Jay Scheib hat keine inhaltliche oder visuelle Verbesserung gebracht und steckt nach wie vor in den Kinderschuhen.
  • Inszenatorisch: Thorleifur Örn Arnarssons Tristan ist meist langweilig; es fehlt vor allem im ersten Akt fast jegliche Personenregie.

Beste Wiederaufnahme:
Der Tannhäuser in der Inszenierung von Tobias Kratzer – eine intelligente und witzige Liebeserklärung an Werk, Festspielhaus und die positivsten Seiten Richard Wagners!

Beste Gesangsleistung (Hauptrolle):

  • Damen: Elisabeth Teige im Holländer und Tannhäuser Sie verleiht den Rollen zusätzliche Aspekte voller Kraft und individueller Ausprägung – elegant und stimmgewaltig!
  • Herren: Klaus Florian Vogt springt über seinen Knabentenor-Schatten und verleiht seinem Siegfried partiell kernige Männlichkeit; als Tannhäuser spielt er, zumal vor und in der Rom-Erzählung, auch mal freier mit dem Text.

Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):

  • Baß: Günther Groissböck als König Marke im Tristan; gerade seiner tiefen Verletzung und Enttäuschung verleiht er ergreifende Gestalt.
  • Bariton: Michael Kupfer-Radeckys Gunther in der Götterdämmerung ist menschgewordene Unseriosität, stimmlich und darstellerisch großartig!

Verläßliche Konstante:
Diese Rubrik ist allein Georg Zeppenfeld vorbehalten, der seit Jahren mit seinem unverwechselbaren Baß und seiner großartigen Textverständlichkeit eine zuverlässige gesangliche Bank ist. In dieser Saison brilliert er als Gurnemanz im Parsifal und als Daland im Holländer.

Nachwuchssänger des Jahres:
Siyabonga Maqungo als Walther von der Vogelweide im Tannhäuser ist nicht nur einer der sonstigen Sängerkrieg-Teilnehmer, sondern ein zu respektierender Konkurrent mit glänzend heller Stimme.

Bestes Dirigat:

  • Damen: Nathalie Stutzmann beim Tannhäuser. Straff, klar und dynamisch ausgefeilt.
  • Herren: Semyon Bychkov beim Tristan. Selten so gehörte Transparenz der einzelnen Instrumente und Instrumentengruppen!

Beste Regie:
Der Punkt geht nochmal an Dmitri Tcherniakovs Holländer. Er hat den Mut zu einer psychologisch hochanspruchsvollen Geschichte und realisiert das ganze, konzentriert auf das Wesentliche, mit detailverliebter Personenregie, ohne das Geschehen durch andere Medien oder Parallelerzählungen zu überladen.

Bestes Bühnenbild:
Geht zweimal an jeweils den zweiten Akt. Im Parsifal besticht die üppige Dekoration, die auch inhaltlich stimmig ist. Im Tannhäuser wird eine mittelalterliche Illusion aufgebaut und wieder gebrochen.

Beste Chorleistung:
Der Bayreuther Festspielchor brilliert durch klanggewordene Aggression (Parsifal, 3. Akt), machtvolle Präsenz (Götterdämmerung, 2. Akt) und feierliche Größe (Tannhäuser, 2. Akt).

Größtes Ärgernis:

  • Haus: Getränke und Speisen sind viel zu teuer. Die nötigen Einsparungsmaßnahmen sollten nicht durch die Geldbeutel der treuen Festspielbesucher refinanziert werden.
  • Besucher: Das Publikum verhielt sich teils respektlos und ignorant gegenüber den Mitwirkenden und den anderen Besuchern. Es wurde gefilmt, auf dem Handy gedaddelt oder die Klingeltöne zerstörten gerade die sensibelsten Stellen. Selbstgefälliges Buh-Rufen zeugt lediglich von Primitivität, nicht von Kunstkenntnis.

Größte Verwunderung:
Einige Kolleginnen und Kollegen attestierten in den Pausengesprächen den Sängern oft Provinzialität, Dirigentinnen und Dirigenten Versagen sowie dem Orchester Stümperhaftigkeit, und das in apodiktischer Arroganz. Diese nicht ganz unbekannten Künstler geben auf dem Hügel alles!

Empfehlungen:

  • Hügel: Der vor den Vorstellungen und in den Pausen geöffnete Laden von Tim Decker gegenüber des Festspielhauses bietet Kennern und Neulingen eine große Auswahl an Büchern, CDs und DVDs mit legendären historischen Aufnahmen, Kunstgegenständen und anspruchsvollen Mitbringseln. Chef und Mitarbeiter sind sympathisch und kenntnisreich. Leider gibt es dieses Jahr (nicht Tim Deckers Schuld!) keinen neuen Festspiel-Whisky.
  • Stadt: Martin Gräbner führt im Rokoko-Saal des Steingraeber & Söhne-Hauses jeden Tag vor einer Aufführung im Festspielhaus in die jeweilige Oper ein. Ungemein charmant, humorvoll und kenntnisreich stellt Gräbner Musik, Inhalt und Entstehungsgeschichte der jeweiligen Oper vor. Für Wagner-Kenner und Neulinge unbedingt zu empfehlen!

Die Bilanz zogen Regina und Andreas Ströbl.