Düsseldorf: „Abenteuerland“, Hartmut Engler und Ingo Reidl (PUR)

Mitte der 1970er-Jahre begann die musikalische Reise der Band PUR als kleine Schülerband zweier Gymnasiasten, die erstmal nur Songs bekannter Künstler coverten. Nachdem sich in den folgenden Jahren die Besetzung um Ingo Reidl, Roland Bless, Jo Crawford, Rudi Buttas und Sänger Hartmut Engler festigte, begann man damit, auch eigene Lieder und Texte zu schreiben. Fand sich anfangs noch keine Plattenfirma, gelang im Jahr 1986 der erste Durchbruch mit dem Sieg beim Bundesrockwettbewerb. In den folgenden Jahren jagte ein Erfolg den Nächsten, so dass inzwischen mehr als zwanzig Platin-Auszeichnungen, über zwölf Millionen verkaufte Tonträger, unzählige Preise und mehr als zehn Millionen Konzertbesucher in der Bandhistorie stehen. Noch heute werden ihre Songs allein bei Spotify rund eine Million Mal pro Monat gestreamt. Einen großen Anteil am anhaltenden Erfolg der Band haben sicherlich auch die Liedtexte, die oftmals Geschichten mitten aus dem Leben erzählen. Texte mit denen sich die Zuhöhrer identifizieren können, weil sie diese oder ähnliche Sitationen aus dem eigenen Leben kennen. Das die Songs darüber hinaus ein enormes theatrales Potential besitzen, erkannte auch Martin Flohr, der aus mehr als dreißig Liedern der Band ein eigenes Musical kreierte, welches am 22. Oktober 2023 seine Weltpremiere im Düsseldorfer Captitol feiern durfe.

© Jochen Quast

Im Musical geht es um die Familie Schirmer, bestehend aus drei Generationen. Ganz alltägliche Dinge wie Streit zwischen den Geschwistern und die Entdeckung der Liebe unter den jungen Menschen paaren sich hier mit größeren Problemen, die sich beispielsweise zwischen den Eltern Petra und Robert in 20 Ehejahren angesammelt haben. Robert kümmert sich vor allem um seinen Job und verbringt die wenige Freizeit am liebsten allein auf seinem Rennrad. Petra fühlt sich entsprechend vernachlässigt und sucht Trost bei ihrer lebenslustigen Freundin Beate, die sie bereits seit Kindheitstagen kennt. Auch Oma Lena will nach dem nun mehrere Jahre zurückliegenden Tod ihres Mannes nicht weiter allein sein und begibt sich im Internet (sehr charmant) auf Partnersuche. Unter all diesen kleinen Problemen übersehen die Familienmitglieder komplett, dass sich Tochter Anna selber wenig attraktiv und gänzlich ungeliebt findet, was zu einer großen Tragödie führt. All dies klingt nun vielleicht recht seicht und banal, entwichelt aber auf der Musicalbühne eine in sich stimmige Geschichte mit vielen Emotionen. Absolut eindrucksvoll ist es hierbei, wie es Martin Flohr gelingt, die bereits bestehenden Texte von Hartmut Engler zu einer Geschichte zu kombinieren, bei der man als Zuschauer das Gefühl hat, dass die Songs extra für dieses Musical geschrieben wurden und nicht bloß eine mehr oder weniger sinnvolle Geschichte für bekannte Lieder entworfen wurde. Dies sorgt auch dafür, dass Zuschauer die bislang keinerlei Berührungspunkte mit der Musik von PUR hatten, emotional berührt den Theatersaal verlassen.

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Für die optische Umsetzung wurde von Stephan Prattes ein geschickt nutzbares Bühnenbild geschaffen, das im Hintergrund mit einer modernen LED-Wand immer wieder optisch beeindrucken kann. Dazu gibt es vier Leinwände, die komplett beweglich in immer neuen Funktionen eingesetzt werden, sei es beispielsweise als Waschmaschine in der Wohnung der Familie Schirmer oder als große Bahnhofsuhr. Eine Drehbühne macht zudem rasche Szenenwechsel möglich. Ergänzend hierzu sorgen Ben Cracknell (Licht) und Leo Flint (Video) für ein der jeweiligen Stimmung angepasstes Design, was insbesondere durch zahlreiche Mappingeffekte auf den Seitenwänden des Theaters nachhaltig begeistert. So gibt es bei der Szene im Bahnhof auf den Seitenwänden des Theaters beispielsweise Züge, die in eben diesen Bahnhof einfahren. Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang auch das Finale des ersten Aktes, bei dem zahlreiche Lenkdrachen zu Drachen sollen fliegen in den Himmel steigen. Die Bühne des Capitol Theaters wurde für diese Produkion neu gestaltet, so dass diese nun in einer Art Halbkreis in den Besucherraum ragt, vielleicht auch eine nette kleine Anspielung auf die Rundbühnen, mit denen PUR sich bei diversen Konzerten und den Gastspielen in der Arena auf Schalke mitten unter die Fans gesellte. Allgemein gibt es im Abenteuerland einige Anspielungen auf die Bandgeschichte zu entdecken. Mal sind diese recht offensichtlich, wie der Bandname Crusade von Sohn Alex und seinem Freund Tom oder der Club Opus, zwei Bandnamen aus der Gründungszeit von PUR. Auch Teile der Kostüme von Irina Hofer zielen klar auf die Bandgeschichte ab. Einige Anspielungen sind aber auch deutlich versteckter, wie beispielsweise ein Zug der nach Bietigheim fährt oder die Tatsache, dass Vater Robert wie Bandsänger Engler ein passionierter Radfahrer ist. Ein kleines Bonbon für die Fans. Zuschauer die diese Anspielungen dagegen nicht entdecken, verpassen auch nichts, da die Geschichte komplett losgelöst von der Bandvergangenheit erzählt wird. Und das ist gut so.

© Jochen Quast

Musikalisch wurden die Lieder von Ingo Reidl und Hartmut Engler durch Gary Hickeson und Richard Morris zum Teil etwas anders arrangiert und so dem Bühnengeschehen angepasst. Textlich kommt man im übrigen mit erstaunlich wenigen Abwandlungen hier und da aus. Unter der musikalischen Leitung von Jeff Frohner spielt die Liveband tadellos, zum Zugabe-Megamix dann auch auf der Bühne sichtbar. Ein großer Pluspunkt der Produktion ist zudem eine Cast mit durchweg sympatischen Hauptdarstellern. Beim Publikum besonders punkten kann das Rentnerpaar Bärbel Röhn (Oma Lena) und Harrie Poels (Karl), da diese Rollen einfach unglaublich sympatisch daher kommen. Bleibenden Eindruck hinterlässt auch Mascha Volmershausen in der Rolle der Anna, die bei Allein vor dem Spiegel für das ein oder andere feuchte Taschentuch sorgt. Auch die weiteren Rollen sind durch die Bank passend besetzt. In der besuchten Vorstellung waren dies Lukas Baeskow (Tom), Johann Zumbült (Alex), Lea Marie Hanschke (Amira), Hannes Staffler (Robert), Carolin Soyka (Petra), Jana Stelley (Beate) und Pauline Schubert (Vanessa). Hinzu kommt Kim-David Hammann, der als etwas mysteriöser Mr. X teilweise eine Art Erzählerrolle einnimmt. Ein kleiner Eingriff in den ansonsten sehr linearen Verlauf der Geschichte, um dieser eine weitere Ebene hinzuzufügen. Zusätzlich übernimmt Hammann aber auch weitere kleinere Rollen. Auch wenn es bei der Eröffnungsnummer noch etwas an der Feinabstimmung zwischen den Darstellern und der Treffsicherheit bei dem ein oder anderen Ton mangelt, weiß die Besetzung gesanglich durchaus zu gefallen.

Insgesamt erwartet den Theaterbesucher mit Abenteuerland ein Musical, welches erstaunlich rund daher kommt. Sicher ist die Geschichte nun keine komplexe Story und natürlich nimmt sie im Laufe der rund drei Stunden Spielzeit einen mehr oder weniger erwarteten Lauf ohne große Überraschungen, aber damit hat man als regelmäßiger Opernbesucher ja durchaus seine Erfahrungen. Als Gesamtpaket kann man dieses Musical sowohl PUR-Fans wie auch Freunden neuer Musicals ans Herz legen, die sich auf einen stimmigen Theaterabend freuen dürfen.

Markus Lamers, 27. Oktober 2023


Abenteuerland
Das Musical mit den Hits von PUR

Capitol Theater Düsseldorf

Uraufführung: 22. Oktober 2023
Besuchte Vorstellung: 24. Oktober 2023

Inszenierung: Dominik Flaschka
Musikalische Leitung: Jeff Frohner
Weitere Aufführungen bis zum 10. März 2024

Trailer