Überirdisch schöne Musik zu einer tragischen Geschichte.
Nachdem sich der Theaterreferent der Prager Jung-Tschechen-Zeitung „Národni Listi“ Jaroslav Kvapil (1868-1950) im Hinterbühnen Bereich des Prager Nationaltheaters im Januar 1890 in Hana Kubešová ( 1860-1907) verliebt und diese 1894 geehelicht hatte, konzentrierte er sich unter dem Einfluss der klugen und erfolgreichen Schauspielerin zunehmend auf die Theaterarbeit.
Er übersetzte bzw. adaptierte Theaterstücke, schrieb selbst Schauspiele, führte Regie bei anerkannten Inszenierungen und bemühte sich um eine Modernisierung des tschechischen Theaterwesens, was ihm den Beinamen „Böhmischer Reinhardt“ eintrug.
Auf Anregung des Komponisten Josef Jiránek (1855-1940) beschäftigte sich Kvapil 1899 mit einem Stoff, der neoromantischen Symbolismus mit nationaler Märchenlyrik verbinden sollte. Freimütig nutzte er Anregungen unter anderem von Hans Christian Andersen (1805-1875), E. T. A. Hoffmann (1776-1822), Jaques Offenbach (1819-1880), Friedrich de La Motte Fouqué (1777-1843), Theodor Fontane (1819-1898), sezierte oder zertrümmerte diese und schuf aus den Bruchstücken einen hochmodernen Text.
Unglaublich viele Facetten der Rusalka, vom Verlassen gewohnter Pfade, notwendigem Überschreiten von Grenzen, vom Nichthineinpassen in die Welt der Ordnung, des Nutzens dazu vom Scheitern wurden mit äußerster Intensität und Wirksamkeit zu einer Parabel der Seelentragödie einer großen Liebenden verdichtet.
Da Jiránek keine Opern komponierte bot Jaroslav Kvapil seinen Text vergeblich den Komponisten Oskar Nedbal (1874-1930), Josef Bohuslaw Foerster (1859-1951), Karel Kovarovic (1862-1920)und Josef Suk (1874-1935) zur Vertonung an. Erst als er im Prager Nationaltheater erfuhr, dass Antonin Dvořák ein Libretto für eine neue Oper suche, wagte er, dem um vieles älteren und berühmteren Komponisten sein Libretto vorzustellen.
Die Zusammenarbeit zwischen den Beiden sei reibungslos gewesen. Oft kam Dvořák am frühen Morgen in die Wohnung der Kvapils, um über jenen Libretto-Abschnitt zu beraten, der am Vortag vertont geworden war.
Nicht reibungslos verlief die für Anfang 1901 als Auftakt eines Opernzyklus zum 60. Geburtstag des Komponisten geplante Uraufführung der „Rusalka“. Banale Konflikte im Orchester des Nationaltheaters, die das Ausmaß des Erträglichen überschritten, machten das Engagement eines anderen Klangkörpers erforderlich. Als noch ein Hauptdarsteller wegen vorgeblicher Indisposition absagte, wurde die Uraufführung auf den 31. März 1901 verlegt, gestaltete sich aber dann zu einem großen Erfolg.
Für sein Debüt an der Semperoper nahm Christof Loy die Vorgaben des Librettisten Jaroslav Kvapil s auf und komprimierte seine Inszenierung auf die Titelfigur, indem er sie aus dem Wasser holte und in ein modernes Umfeld brachte.
Sein Bühnenbildner Johannes Leiacker hatte das Foyer eines heruntergekommenen Theaters, in das symbolisch ein erstarrter Lavastrom hineinreichte, als Handlungsraum geschaffen. Der Lavastrom, Sinnbild für die Kraft der Natur, im zweiten Akt negiert, überbordete im abschließenden Akt doch größere Bereiche der Szene.
Die Begrenzungen der Wasserwelt waren durch die Metapher der extrem regulierten Welt des Balletts ersetzt, um die Schwierigkeiten der Kommunikation unterschiedlicher Welten sichtbar zu machen.
Aus dem Zusammenprall der Unschuld Rusalkas mit der durchtriebenen Welt des Prinzen gestaltete Loy eine komplexe Erzählung mit durchaus poetischen Momenten. Unbeirrt auf das Wesentliche konzentriert, gestaltete er seine feinsinnige, ideenreiche Personenführung ohne die Musik Antonin Dvořák s auch nur in einem Moment in Frage zu stellen. Loy offeriert sich uns als „Der Theatermann“ und auf der Bühne ist immer etwas los. Da gab es Slapsticks-Einlagen, wenn es Dvořák s Musik zuließ und es gab die von Klevis Elmazaj choreografierten hocherotisierten Tanzszenen, die ihrerseits den Handlungsfortschritt beschleunigten.Ein Erlebnis der Sonderklasse waren die Kostüme der Hausdebütantin Ursula Rezenbrik.
Am Beginn der Aufführung liegt die Titelheldin mit verletztem Fuß auf einem Bett, möchte aber unbedingt tanzen, aber auch leben und lieben. Der Ballettmeister erkennt die Gefährlichkeit ihrer Situation und versucht, sie zur Besinnung zu bringen. Sie ist verliebt: der Pakt mit der Jezibaba bringt sie wieder auf die Beine, raubt ihr aber Stimme und sexuelle Bindungsfähigkeit. So hat die intrigante Fürstin leichtes Spiel, die Katastrophe in Gang zu setzen. Die Aufführung gestaltete sich zu einer großartigen Lektion der Zerbrechlichkeit jedes Lebensentwurfs.
Denn die Berührung mit einer anderen Welt endet für den Prinzen tödlich und die entmutigte Rusalka geht in ihr früheres Leben zurück.
Musiziert wurde ohne Ausnahme auf einem hohen Niveau:
Die russische Sängerin Olesya Golovneva ist ein Glücksfall für die Titelrolle. Sie gestaltete die Rusalka mit jugendlich-strahlendem Sopran, natürlicher Ausdruckskraft in ihrer gesamten Zerrissenheit. Mit ihrer Rollenauffassung ist sie die behütete Tochter, die sich von der Familie emanzipieren möchte. Olesya Golovneva ist nicht nur eine hervorragende Sängerin mit prachtvoller Durchschlagskraft, sondern auch eine begrenzte Spitzentänzerin und begnadete Schauspielerin, die ohne Einsatz der Stimme im zweiten Akt Präsentation vermitteln konnte.
Mit seiner slawisch gefärbten disziplinierten Stimme bot der Prinz von Pavel Černoch einen soliden heldischen Tenor mit lyrischen Qualitäten, der auch darstellerisch ein breites Gefühlsspektrum zu bieten vermag. Seine Zuneigung zur Titelfigur war von erotischer Leidenschaft geprägt, welche der Realität nicht standzuhalten vermag.
Mit beträchtlichen stimmlichen und darstellerischen Mitteln hatte die Sopranistin Elena Guseva ihre aufdringlich fremde Fürstin ausgestattet und dabei weder mit scheinbarer Wärme und Erotik gegeizt.
Mit der Kraft ihrer großen dunklen Stimme gestaltete Christa Mayer die finster-dämonische und entschlossene Ježibaba als sie den Preis der Verwandlung Rusalkas festsetzte und damit Voraussetzungen für die tragische Entwicklung schuf.
In der Rolle des Ballettmeister–Wassermanns konnte Alexandros Stavrakakis mit seiner weich timbrierten Stimme in Momenten der Zuneigung die Wärme der Figur überzeugend darbieten, gleichsam auch heftig sein Entsetzen über die dekadenten Ausschweifungen in der Ballszene ausdrucksstark äußern.
Die weiteren Rollen, von der Regie keinesfalls vernachlässigt, waren durchaus hochkarätig besetzt und lieferten zum Teil subtile Charakterstudien: so der Wildhüter Sebastian Wartig s, der Jäger Simon Esper s, der Küchenjunge Nicole Chirkas und , auf keinen Fall zu vergessen, die Nymphen Ofelia Pogosyan s, Stepanka Pucalkova s sowie Constance Heller s.
Der Chor, von Jonathan Becker einstudiert, präsentierte sich mit seinen wenigen Hinter-der Bühne –Auftritten solide.
Für Joanna Mallwitz war der Abend sowohl Haus- als auch Orchesterdebüt in Dresden. Berührungsprobleme zu den Musikern der Sächsischen Staatskapelle waren nicht zu spüren, wenn Frau Mallwitz die Möglichkeiten des Orchesters für die Vermittlung der symphonischen Welt Antonin Dvořák s auszuloten versuchte und den Farbenreichtum der Orchesterinstrumente mit ihrem Dirigat betonte. Die harmonische Vielfalt der Partitur wurde durch eine beeindruckende Balance zwischen den Instrumentengruppen im Graben und den Singenden auf der Bühne nahezu vollkommen zur Geltung gebracht.
Für die Musizierenden und das Inszenierungsteam gab es lang anhaltende und stehende Ovationen.
Dabei soll auch nicht unterschlagen werden, dass eine Reihe der Premierengäste die Inszenierung am Ende auch ratlos zurück gelassen hat und mancher sich das „Lied an den Mond“ in romantischer Umgebung gewünscht hätte.
Thomas Thielemann, 9.5.22
Bildrechte: Semperoper Dresden © Ludwig Olah