Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.
Nach dem Stadttheater Gießen blicken wir heute auf das Stadttheater Bremerhaven.
Beste Produktion (Gesamtleistung):
Angela Denoke sorgte mit ihrer schlüssigen und spannenden Inszenierung von Puccinis Tosca für einen tollen Opernabend.
Entdeckung des Jahres:
Die international bekannte Sängerin Angela Denoke auch als versierte Regisseurin (Tosca) zu erleben, war tatsächlich eine Entdeckung.
Beste Gesangsleistung (Hauptpartie):
Die Sopranistin Signe Heiberg und der Tenor Konstantinos Klironomos erwiesen sich als Bremerhavens Traumpaar. Man konnte sie gemeinsam in Tosca, Rusalka und der Lustigen Witwe erleben.
Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):
Als Valencienne in der Lustigen Witwe begeisterte Victoria Kunze, die wie ein Wirbelwind über die Bühne fegte, mit ihrer schönen Stimme besondere Akzente setzte und komödiantisches Talent zeigte.
Bestes Dirigat:
Der sehr erfahrene Hartmut Brüsch am Pult des Philharmonischen Orchesters kostete die Musik der Lustigen Witwe souverän und in vollen Zügen aus. Die Walzermelodien wurden feinsinnig zelebriert, bei den schwungvollen Teilen zog er das Tempo an und sorgte ordentlich für Drive. Operette ist bei ihm immer in guten Händen.
Beste Regie:
Regisseur Johannes Pölzgutter versah seine Inszenierung von Rusalka mit neuen und interessanten Aspekten. Sehr geschickt wird die Verwandlung Rusalkas gezeigt, wenn die Hexe sie von ihrem Fischschwanz befreit. In der Hexe sieht der Regisseur ein Wesen, das früher ein ähnliches Schicksal erfahren hat. Sie und Rusalka tragen am Ende das gleiche Kleid und wirken fast wie Mutter und Tochter.
Bestes Bühnenbild:
Die Ausstattung von Michael Lindner bewahrte den märchenhaften Charakter von Rusalka: Ein Seeufer mit Naturimpressionen am Rundhorizont, effektvolle Lichtstimmungen und ein leicht dem Verfall ausgesetztes Schloss des Prinzen gaben den Rahmen.
Beste Chorleistung:
Opernchor, Kinderchor und Extrachor in der Einstudierung von Mario El Fakih-Hernández entfalteten beim „Te Deum“ in Tosca überwältigende Klangpracht.
Größte Enttäuschung:
Das wirkt sich erst in der kommenden Spielzeit aus: Signe Heiberg und Konstantinos Klironomos gehören nicht mehr zum Ensemble.
Die Bilanz zog Wolfgang Denker.