Wien: „Nabucco“ (Stream)

22. Jänner 2021

Nabucco D5a3119 Zanellato Domingo Xxxx~1

Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

Nabucco D5a3119 Zanellato Domingo Xxxx~1

Die „politische Korrektheit“ ist nicht viel wert, wenn man sie nur dort einsetzt, wo sie einem gerade passt. Heißt es nicht, dass kein Mensch diskriminiert werden darf – nicht wegen seiner Herkunft, seiner Hautfarbe, seiner Religion, seiner sexuellen Orientierung, seiner Behinderung? Und wohl auch nicht wegen seines Alters, das ja an sich kein Verbrechen ist. Gilt allerdings nicht, wenn es den Journalisten und Social-Media-Trollen nicht gefällt.

Schon seit mindestens einem Jahrzehnt hat das Halali eingesetzt, Plácido Domingo von der Bühne zu vertreiben. Genützt hat es ja nichts, denn der alte Herr beweist unglaubliche Standfestigkeit – egal, welch eisiger Wind ihm entgegen bläst.

Nun sollte man meinen, dass zu seinem 80. Geburtstag (den ihm ja viele auch wiederum nicht glauben) wenigstens ein paar anständige Gratulationen anstünden, und es gab auch einige steif-freundliche, die mehr eine bekannte Karriere vorbeteten (oder nachbeteten), statt sie zu analysieren.

Aber Manuel Brug hat im „Profil“ massenhaft Öl in alle nur möglichen Feuer gegossen, damit es schön blutrot blubbert und lodert – Stoßrichtung: Weg mit dem Alten! In der „Welt“ (teils wortgleiche Zweitverwertung des Artikels) geht er noch weiter, wenn er Domingo eine „tragische Witzfigur“ nennt. Wie weit dürfen Respektlosigkeit und schlechter Ton eigentlich gehen? Scheinbar lobende Sätze dazwischen wirken gallbitter… Der ganz normale Anstand spielt keine Rolle im Brutalo-Journalismus.

Halten wir uns an Brug im „Profil“ – da werden die #metoo-Vorwürfe aufgewärmt (die Domingo aus den USA vertrieben haben, selbst im heimatlichen Spanien ist er nicht mehr gerne gesehen, Österreich und Rußland bleiben die letzte Bastionen des Wohlwollens), da wird von der nicht mehr vorhandenen Stimme gesprochen, die man besonders herunter macht, wenn man sie mit einstigem Glanz vergleicht (eine gute Gelegenheit für den Journalisten, auch gleich Pavarotti als „lächelnden Serviettenschwinger“ und Carreras als ewigen und entsprechend unbedeutenden Dritten herunter zu machen). Da wird unterstellt, es geschähe vieles nur aus Geldgier, weil ein riesiger Clan vom Patriarchen ernährt werden muss. Ja, Worte können alles. Napoleon hat sich vor Journalisten mehr gefürchtet als vor feindlichen Armeen, und er war ein berühmt gescheiter Mann.

Und dann sieht man den „Nabucco“, den die Wiener Staatsoper (Roscic offenbar so Domingo-freundlich wie einst Meyer) zum Geburtstag des Künstlers ausgerichtet hat. Der übrigens die Frechheit besitzt, noch immer nicht seinen Rücktritt zu verkünden, nein, in einem Interview meint er, noch mindestens zwei Jahre zu singen, in einem anderen setzt er sich gar keine Grenzen, weil er noch so viel vor hat… Allerhand. „Bühnen-Nimmersatt“ nennt ihn die „Wiener Zeitung“. Die „Presse“ will freundlich sein. Sagen wir es ehrlich: Die Atmosphäre ist vergiftet genug

Was hat man unter solchen Vorbedingungen also gesehen?

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Zu allererst: Der Stream kam offenbar nicht live auf die Laptops oder wo immer man ihn gesehen hat. Der Beginn von 16,30 wurde stillschweigend auf 20 Uhr, dann ebenso stillschweigend auf 20,30 geändert. Der Direktor kam vor den Vorhang, sagte etwas von unzureichender Vorbereitungszeit und dass man für die Aufzeichnung möglicherweise unterbrechen würde. Kurz, bevor er seinen Star aufs Trapez schickte, spannte er ihm gewissermaßen ein Sicherheitsnetz… Ob man die Aufführung „bearbeitet“ hat? Man weiß es nicht, es gab ja einige Zeit für mögliche Korrekturen. Es ist auch egal, es wird ja nicht echtes „Live“ vorgelogen.

Zuerst, ebenso wichtig: Welch ein Glück, wenn man für das italienische Fach Marco Armiliato am Pult hat. Exaktheit und Drive sind ebenso seine Sache wie das wunderbare Verdi’sche Melos und die Ausdruckskraft, die schon allein vom Orchester her kommt. Den berühmten „Gefangenen-Chor“ nicht leiern zu lassen, ist immer eine Herausforderung für sich. Armiliato, ein Maestro ältester und erstklassigster Schule, war zusammen mit dem Chor die beste Besetzung des Abends.

Wiens „Nabucco“-Aufführung ist weder ansprechend noch anregend. Die Met hat vor ein paar Jahren (für Europa heute undenkbar) auf „altmodisch“ gesetzt und das Werk ins Bibel-Ambiente versetzt, pfui!!! – aber welch herrlichen Theaterdonner konnte man damit entfesseln! Wie spannend war das! Und vor fünf Jahren, zu seinem 75er (vor #metoo und damals in Amerika noch geliebt und gefeiert), konnte Plácido Domingo dort geradezu mühelos einen Riesenerfolg einfahren.

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Riccardo Zanellato, Szilvia Vörös (Foto Pöhn)

In Wien macht es ihm Günter Krämers abstrahierte und blutleere Inszenierung vergleichsweise schwer (die er allerdings seit 2014 kennt, als er die Rolle hier erstmals gesungen hat). Sie ist schlechtweg langweilig, es tut sich nichts auf der Bühne, es ist keine „Welt“, die hier kreiert wird, und Nabucco im Anzug und gelegentlich mit Mantel, gelegentlich im Hemd, wirkt wie ein missgelaunter Firmenchef.

Für Plácido Domingo ist es eine Rolle, die ihm passt, ein Vater, ein älterer Herr, ein Herrscher, der gestürzt wird. Viel drinnen, und er kann ja, was er soll. Wie zuletzt als „Boccanegra“ setzte er die Reste seiner Stimme souverän ein (Technik, Technik, Technik! Wer sie hat, ist ein König), und wenn der Abend auch spürbar ein Kraftakt war, sich selbst abgerungen und abgetrotzt, so muss man ihn ehrlicherweise auch bewundern. Vor allem, und das sei gesagt – auch wenn Domingo gegen Ende ein wenig schwächer wurde, peinlich war er nie.

Und noch etwas: Manchmal klang er wie früher (mit dem Abdunkeln der Stimme gab er sich nicht ab): wie Domingo, der Tenor. Gerade das werden viele übel nehmen, denn bekanntlich ist Nabucco eine Baritonpartie. Aber quod licet Iovi… und die Götter unter uns machen sich eben ihre eigenen Gesetze.

In zwei großen Rollen gab es zwei Debutanten am Haus, wobei sich Riccardo Zanellato als sehr brauchbarer Baß erwies, wenn die Stimme auch eher trocken ist, man sich also nicht wirklich dafür begeistert (es gab Herren in der Rolle, die konnten ihr Material glorios und saftig strömen lassen).

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Wenig Freude machte die Abigail von Anna Pirozzi, wenn man auch eingestehen muss, dass es eine Mörderrolle (für ein Wagner-Organ mit Verdi-Technik) ist. Aber die einzelnen Register müssen nicht auseinander brechen, im Mezzavoce könnte sie von ihrem Bühnenvater noch einiges lernen, und im Endeffekt bekommt sie vermutlich Rollen wie diese, weil das hochdramatische Fach nicht wirklich überbesetzt ist und das Herausstoßen der gewaltigen Spitzentöne auch seinen Effekt macht.

Es war überhaupt (auch Domingo musste natürlich immer wieder forcieren) ein Abend der Schreihälse, auch Freddie De Tommaso ließ dies wieder hören (er muss gewaltige Fans im Besetzungsbüro des Hauses haben), man war schon bei seinem Pinkerton nicht glücklich damit. Auch über eine kraftvolle Stimme verfügt Szilvia Vörös, aber sie kann damit umgehen, das ist ein starker Mezzo mit Goldklängen, eine schöne dunkle Stimme, kein fauler Sopran. Dan Paul Dumitrescu war, bewährt, dabei und Daniel Jenz nützte seine winzigen Möglichkeiten, dass man auf ihn hörte.

Es war ein Abend fast ohne Applaus (die Auserwählten im Zuschauerraum klatschten dann am Ende, wie sie halt konnten), und das muss für Domingo, der von der ihm zuströmenden Liebe des Publikums lebt, an seinem Geburtstag schlimm gewesen sein. Aber es gab auch berührende Augenblicke am Rande. Man hat für die Pause Domingo-Statements zusammen gestellt, mit Probenszenen quer geschnitten (in denen er manchmal kraftvoller wirkte als in der Aufführung). Und wenn es auch die üblichen Sätze waren, die man hörte, dass Singen für ihn ist wie Atmen (also muss er es wohl bis zu seinem letzten Atemzug tun…), wie glücklich Musik macht, welches Erlebnis, auf der Bühne stehen zu dürfen, welches Privileg, auch die Besucher in der Oper glücklich zu machen… und natürlich Lob für Wien, das Haus, das Orchester, den Chor, das Publikum. Es wirkte dennoch nicht geschmacklos.

Und ganz am Ende, als schon der Abspann lief, hörte man im Hintergrund, wie das gesamte Ensemble (mit großer Kraft, no na) „Happy Birthday“ sang. Das sind Momente, die man nicht verspotten sollte. Und den Mann, dem sie gelten, auch nicht.

Renate Wagner 30.1.2021