Wien: „Der fliegende Holländer“, Richard Wagner

Wagner an der Volksoper? Eine alte Streitfrage. Immerhin – als das Kaiserjubiläum-Stadttheater, 1898 eröffnet (50jähriges Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph) und ursprünglich für Sprechtheater gedacht, sich der Oper zuwandte, hegte man (obwohl am ehemaligen Linienwall gelegen, also ganz weit draußen) keinerlei Berührungsängste mit der Hofoper – und dem Werk Richard Wagners. Ab 1906 bis zum Ende der Monarchie 1918 wurden alle seine Werke dort aufgeführt.

© Barbara Palffy

Später war man sich hier seiner Repertoire-Strategien nicht so sicher. Es dauerte tatsächlich bis zum Hundertjahr-Jubiläum des Hauses, bis der damalige Direktor Klaus Bachler die mit dem Nationalsozialismus fast gänzlich abgerissene Wagner-Tradition fortführte. Zuerst nur mit einem Werk, den „Meistersingern“ von Christine Mielitz, an die man sich weniger gern erinnert als an den wunderbar-köstlichen Johan Botha als Stolzing.

Robert Meyer, der mutiger war, als man wahrnahm (Tosca, Salome), ließ 2019 den „Fliegenden Holländer“ von dem deutschen Regisseur Aron Stiehl (er ist derzeit Intendant des Stadttheaters Klagenfurt) inszenieren – keine sehr inspirierte Aufführung, aber man hat so viel Schlechteres gesehen, dass man ganz froh ist, wenn ein Abend die Vorlage zumindest nicht vergewaltigt (wenn er ihr auch einiges schuldig bleibt – etwa das von Richard Wagner so nachdrücklich komponierte Meer…).

© Barbara Palffy

Bedenkt man, wie wenig die Staatsoper zum Thema des „Fliegenden Holländers“ beizusteuern hat, war es zweifellos ein kluger Schachzug von Lotte de Beer, dieses Werk in ihrem Haus als Wiederaufnahme anzusetzen, und das mit einer Besetzung, die jeden Wagner-Freund zufrieden stellen muss. So war auch eine sonntätige Aufführung am späten Nachmittag zwar nicht ausverkauft, aber doch gut gefüllt. Und erhielt nach pausenlosen zweieinviertel Stunden viel überzeugten Beifall.

Der trocken-phantasielos ausgestattete Abend (Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann / Kostüme: Franziska Jacobsen), der statt Schiffen eine containerartige Ladung aus Kisten bietet, statt spinnenden Mädchen eine Chorprobe und für den dritten Akt rein gar nichts, wurde in der Volksoper musikalisch souverän gerettet. Wobei die stürmische Interpretation von Ben Glassberg am Dirigentenpult und der bemerkenswert präzise Chor (der am Ende besonders viel Applaus erhielt) ein fabelhaftes Fundament für die Sänger bauten.

Josef Wagner, der schon mit Mozart am Haus reüssiert hat, ist ein interessanter Holländer, schmal, dunkel, eine verlorene Seele, wie ein Geist herumwankend, zwischendurch, als er Hoffnung auf Erlösung hegt, kurz aufblühend, um wieder in die Düsternis zu verfallen. Dass sein Bariton anfangs rau klingt, um im Duett mit Senta aufzublühen, passt zu dieser besonderen Interpretation, die ohne große Geste und ohne Pathos auskommt.

Anna Gabler hat zu Meyer-Zeiten an der Staatsoper viel Strauss (Arabella, Capriccio-Gräfin, Chrysothemis) und etwas Wagner (Sieglinde, Freia) außerdem Agathe gesungen und wird von der neuen Direktion ignoriert. An der Volksoper beweist sie als Senta ihr ideales Wagner-Format, kraftvoll (wobei die Stimme manchmal ein wenig entgleiten kann) in der Dramatik, aber noch schöner in der schmal geführten Lyrik.

© Barbara Palffy

Neben diesem Paar hielten sich alle anderen mehr als wacker, vor allem Stefan Cerny, spürbar Publikumsliebling und mit seinem profunden Bass ein Glücksfall für die Volksoper. Der übliche saturierte, wuchtige Daland ist der schmale, wendige Sänger nicht, aber er hat ja auch mit dem Ochs bewiesen, wie sehr er gegen Klischeevorstellungen von Figuren anspielen kann. Sein Daland setzt vor allem auf Komik – ein kapitalistischer Widerling ist er eindeutig nicht, und man ist dankbar dafür.

Die Mary der Stephanie Maitland dirigiert als strenge Herrin eine singende Mädchen-Truppe, der Erik des Jason Kim schlägt sich tapfer in einer Rolle, die so schwierig wie letztlich undankbar ist, und der Steuermann David Kerber ließ immer wieder aufhorchen, was nicht jedem Sänger in dieser Rolle gelingt.

Starker Applaus für alle, viele Bravo-Rufe, Wagner an der Volksoper – warum nicht? Auch wenn man sich an der trockenen Inszenierung fast die Zähne ausbeißt. Das Ensemble hat alles gerettet.

Renate Wagner, 9. Mai 2023


Der fliegende Holländer

Richard Wagner

Volksoper Wien

Wiederaufnahme am 16. April 2023

7. Mai 2023

Regie Aron Stiehl

Ben Glassberg am Dirigentenpult

Orchester der Volksoper

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