Kontrapunkt: „Viel Idealismus…“

Das Internet bietet mir so viele Informationen. Egal zu welcher Thematik: Politik, Sport, Soziales und auch eben Kultur. Das ist auch gut so. Die Zeiten, wo die tägliche Zeitung oder das wöchentliche Politmagazin am nächsten Kiosk oder am Bahnhof die einzigen Quellen für mich interessierende Themen waren, sind lange vorbei. Das kann man, je nach Sicht auf die Dinge, begrüßen oder bedauern. Allein, es ändert nichts. Es ist schlichtweg unsere Zeit.

Die Anzahl und Vielfalt derer, die über all die genannten Themen im Internet schreiben, hat deutlich zugenommen. Der Zugang auf für mich relevante Nachrichten oder Informationen ist durch das digitale Angebot nahezu immens. Das gilt für Politik – aber eben auch für Kultur. Hinzu kommen die vielen Kommentare und Kurzberichte von Tausenden Usern, Influencern und auch KünstlerInnen auf den sozialen Medien, wie Facebook, Instagram oder Twitter. Und das natürlich weltweit. Es ist nun mal das WWW.

Die Zeiten, wo eine Tageszeitung. eine monatlich erscheinende Fachzeitschrift, oder das öffentlich-rechtliche Radio über Theater/Opernpremieren exklusiv berichtet haben, sind vorbei. Gibt es nicht mehr. Kommt auch nicht wieder. Sie alle sind nun Teil einer allgemeinen Berichterstattung, die eben auch die vielen Artikel und Rezensionen der sogenannten Internet-Blogs und der vielen privaten Meinungen auf den sozialen Plattformen miteinschließt. Das kann man, je nach Sicht auf die Dinge und/oder die eigenen Befindlichkeiten, bedauern oder begrüßen.

Ich bin froh, mir beispielsweise zu politischen Themen die für mich relevanten Informationen im Internet suchen zu können. Die politischen Blogs, ähnlich den entsprechenden unabhängigen Kulturblogs, die ihre Aufgabe ernst nehmen und denen es um Informationsvermittlung geht, sind da für mich wichtige Quellen. Bei den nicht mehr wegzudenkenden Kulturseiten und Blogs, wie beispielsweise meinem OPERNMAGAZIN, kommen für mich, noch neben der reinen Vermittlung von Informationen und der notwendigen Fakten, auch das eigene, zugegebenermaßen oftmals subjektive, Beschreiben des Erlebten hinzu. Die Möglichkeiten, die mir das Medium Internet dazu bieten, sind ausgesprochen vielfältig.

Dazu gehört der Luxus, nicht auf eine Zeilenbegrenzung achten zu müssen. Aber auch, und das ist mir besonders wichtig: Die Möglichkeit, meiner eigenen Begeisterung in Worten Ausdruck verleihen zu können. Zumeist einer Begeisterung, die ich im Opernhaus inmitten des Publikums miterlebt und mitgefühlt habe. Und das nicht in ein oder zwei Sätzen, nein, wenn ich es für nötig erachte, sogar in epischer Breite. Aber ebenso bietet mir diese redaktionelle Freiheit über die Länge meines Textes zu entscheiden auch die Gelegenheit, für mich Enttäuschendes oder Unverständliches ausführlicher zu beschreiben.

Warum ich das schreibe? Schon damals, vor über 15 Jahren, gab es auch diese Situationen, dass sich festangestellte, oder auch freiberuflich tätige, Journalisten dem Problem ausgesetzt sahen, einer immer stärker und größer werdenden „Konkurrenz“ gegenüber anschreiben zu müssen, die dort aus dem Internet hervorwuchs. Während die Zeitungen und die öffentlich-rechtlichen Medien immer mehr den Nutzen des Internets erkannten und sich dort auch vermehrt zu platzieren wussten, etablierten sich auf der anderen Seite immer mehr freie Blogs, deren Reichweiten stets und stetig zunahmen. Mittlerweile tummeln sich alle im Meer der weltweiten Daten. Mit einem Unterschied. Viele, die meisten, privaten und unabhängigen Blogs und Internetseiten sind aus eigenen Mitteln der Seitenbetreiber finanziert und müssen sich ihren Platz erst erarbeiten, um dauerhaft bestehen zu können. Wer bei Blogs aus dem Bereich der Kultur, – von Politik will ich erst gar nicht schreiben -, denkt, damit gut verdienen zu können, sollte seine Seite am besten sofort wieder schließen. Gerade die Kulturseiten im Internet sind das Ergebnis von viel Idealismus. Sich nach einer Opernpremiere oder einem Konzert hinzusetzen und über das Gehörte und Gesehene zu schreiben, mag für manche eine freudvolle Beschäftigung sein, für andere wiederum ist es eine Aufgabe, die viel Konzentration und auch Recherche bedarf. Da gibt jeder und jede, die das aus eigenem Antrieb heraus macht, das Beste.

Aber ist das Beste immer gut genug? Darüber lesen wir in letzter Zeit vermehrt auf den sozialen Medien. Professionelle Musikjournalisten und Redakteure sind da mitunter anderer Meinung. Mit ein wenig Humor nehme ich von dieser Seite die Kommentare hinsichtlich der Rechtschreibfehler eines Blogtextes und kann diesen Ball ein ums andere Mal direkt zurückwerfen. Fehler der Grammatik kommen immer wieder vor. Jeder kennt das Phänomen, eigene Fehler selbst beim zwanzigsten Überlesen des eigenen Textes, der eigenen Rezension, immer wieder mitzulesen. Und natürlich passiert das auch den Printmedien und dem ÖRR. Und das gar nicht mal so selten. Nur mit dem Unterschied, dass ein einmal entdeckter Grammatikfehler im Internet mit 2, 3 Mouse Klicks wieder behoben werden kann, während er auf einem gedruckten Medium eben da steht und stehen bleibt. Aber wollen wir wirklich auf diesem Niveau kritisieren? Wohl kaum.

Kritik an freien und unabhängigen Kulturblogs wird auch immer dahingehend geübt, dass man ihnen die fehlende fachliche Qualifikation attestiert. Zunächst einmal, und das ist mir wichtig, geht es darum, die Fähigkeit, ja sogar das Talent, zu besitzen, überhaupt einen längeren Text schreiben zu können. Einen Text, der natürlich möglichst fehlerfrei geschrieben ist, der seinen Leser vom ersten bis zum letzten Wort mitnimmt. Was ja der Idealfall wäre. Die Internettechnik bietet dazu den Blogbetreibern die Möglichkeit, die sogenannten Absprungraten zu erkennen. D.h., wie lange wurde der Text gelesen, wann ist der/die Leser-In „abgesprungen“. Ein übrigens hilfreiches Modul um an sich selbst als Schreibendem die kritische Messlatte anzulegen. Zu lange Texte bergen immer die Gefahr in sich, dass die Leser irgendwann aufhören weiterzulesen. Die eigentliche Kunst besteht darin einen möglichst interessanten, vielleicht sogar fesselnden Artikel zu schreiben. Das bietet mir eben das Internet mit seinem in dieser Hinsicht unbeschränkten Möglichkeiten.

Doch wie steht es nun um die fachliche Qualifikation der AutorInnen auf den Kulturblogs, die doch immer wieder, wie gerade aktuell debattiert, im Raum steht?

Auf den Kulturblogs schreiben die unterschiedlichsten, aber stets kulturaffinen, Menschen. Auf meinem OPERNMAGAZIN sind es Frauen und Männer zwischen 24 und 69 Jahren. Alle mit einem abgeschlossenen Beruf oder Studium. Viele von ihnen sind mehrsprachig. Einige haben musikalische Vorbildungen. Ein promovierter Literaturwissenschaftler ist dabei. Aber auch eine sich noch im Studium befindliche Theater- und Musikwissenschaftlerin oder ein Ingenieur, aber auch eine Medienwissenschaftlerin. Und eine Doktorandin der Neurowissenschaft, sowie eine ehemalige Gymnasiallehrerin. Und sogar studierte Journalisten. Um nur einige zu nennen. Und hinzugekommen über die Jahre viele Gastbeiträge von Kulturschaffenden, von Komponisten und Musikern, von Theaterverantwortlichen und, ja auch Musikjournalisten, die ihre Gedanken veröffentlicht wissen wollen.

Was sagt das aus? Eigentlich nichts. Was eint diese Menschen alle: Die Begeisterung für die Oper, die klassische Musik, für das Theater und die Fähigkeit und das Talent, dies alles in Worte und in teils spannende und allermeist sehr lesenswerte Artikel und Rezensionen zu fassen. Mit ihren Rezensionen, Artikeln und Interviews wollen sie – und sind es auch – nah an der Leserschaft des sein. Sie geben mit ihren Texten dem Publikum eine Stimme und sorgen nicht zuletzt auch dafür, dass Menschen die Theater, Konzertsäle und Opernhäuser besuchen. Weil sie durch diese Texte neugierig gemacht wurden. Und wenn sich darunter auch Erstbesucher einer Oper, eines Konzerts befinden, die sich durch unsere Artikel dazu angeregt fühlen – umso besser! Und dass der eine oder andere Beitrag auch durchaus kritisch ist und den sprichwörtlichen Finger auf die Wunden der Theaterszene legt – ja, auch gut! Und hinsichtlich der Zukunftsaussichten: Heutzutage gibt es so viele begabte Menschen, die für das Internet ihre Texte schreiben und was sehr zufriedenstellend ist: Um Nachwuchs muss sich niemand Sorgen machen.

Uns geht es nicht um Einladungen zu Sektempfängen bei Intendanten oder Kulturverantwortlichen; wir können uns die Gesprächspartner, die wir wollen, selbst aussuchen und unterliegen dabei keinerlei Zwang irgendwo „dabei sein zu müssen“ um die eigene, subjektive, Wichtigkeit für ein Theater, ein Opernhaus, zu unterstreichen. All das macht das Schreiben für einen Kulturblog zu einer freien, eigenverantwortlichen Tätigkeit, allein der Wertung der Leserschaft unterworfen. Und darauf kommt es letztlich an. Die Zeiten der bedeutenden – und auch irgendwie eigenartig anmutenden – mächtigen Kritiker sind längst Geschichte. Das Publikum liest und hört heutzutage das, was es will. Das Internet ist in diesem Sinne ein Segen. Ein Segen für Meinungsvielfalt. Einer Meinungsvielfalt allerdings, bei der es auch immer mehr gilt, sorgsam und kritisch mit ihr umzugehen.

Die Kulturblogs wollen keinem etwas wegnehmen oder gar absprechen. Die Kulturblogs sind auch nicht verantwortlich für die Honorarpolitk und die Tarifverträge der Zeitungsverleger und anderer Medien und deren Beschäftigte. Es gibt da keine Konkurrenz, zumindest von meiner Seite her nicht. Dass die Feuilletonseiten der großen und kleineren Zeitungen immer spärlicher und entbehrlicher werden, ist bedauerlich, aber auch Ausweis der vielen Umbrüche unserer Zeit. Einer davon ist das Angebot des freien Internets und der Männer und Frauen, die dort schreiben und berichten. Aber ja, dass der Rotstift besonders gern an die Kultur und somit auch an die Kulturberichterstattung angesetzt wird, ist äußerst bedauerlich und sollte uns alle besorgen.

Und bitte, letztlich entscheiden die Menschen selbst, was sie lesen, wann sie es lesen, ob sie überhaupt lesen wollen und ob sie eventuell dafür zahlen, um es erst lesen zu können. Und sie selbst entscheiden auch darüber, was ihrem Anspruch genügt oder auch nicht. Dazu brauchen sie keine menschlichen Wegweiser. Das mag für manche recht betrüblich sein, aber ich finde es in Ordnung! Die große Vielfalt auf dem Gebiet der Kulturberichterstattung ist unbedingt erhaltenswert. Sie darf sogar noch ausgebaut werden. Fazit: Es ist für jeden, für jede, das passende dabei! Und das ist doch schön.

Detlef Obens 13. Oktober 2023

Herausgeber DAS OPERNMAGAZIN

@ Jan-Philipp Behr