Wann immer von „Komponistinnen“ die Rede ist, tauchen ihre Namen auf – die zweier Frauen der Maria-Theresianischen Epoche, Maria Theresia Paradis und Marianna Martines. Allerdings wird kaum ein Musikfreund von heute von sich behaupten können, viel (oder vielleicht überhaupt je) etwas von ihnen gehört zu haben. Die Paradis blieb durch ihr tragisches Schicksal (ihre Blindheit, die Rolle von Mesmer in ihrem Leben) irgendwie im Bewusstsein, von Marianna Martines kennen wohl nur die wenigstens ihren Namen. Es sind solche Wiederentdeckungen, für die man einem Opernhaus – in diesem Fall dem MusikTheater an der Wien, das die Komponistin in der Kammeroper wieder erweckte – zu danken hat.

Man muss von Wiederentdeckung sprechen, denn zu ihren Lebzeiten war Marianna Martines (1744 – 1812), Schützling und Erbin von Pietro Metastasio, nicht nur anerkennt, sondern in ihrer Welt sogar berühmt. Das Oratorium „Isacco“ von 1782, nach einem Metastasio-Text, wurde in Wien mit großem Erfolg aufgeführt.
Nun fragt man sich, warum die damals noch nicht 40jährige Künstlerin ausgerechnet nach diesem Stoff griff, der niemandes bevorzugte Lektüre im Alten Testament sein kann. Was, bitte, ist das für ein Gott, der von seinem Anhänger ein Menschenopfer – und gar seinen eigenen Sohn – verlangt? Das ist an Brutalität und Sadismus vielleicht einem Baal zuzutrauen, aber dem Allmächtigen, Allgütigen? Abraham konnte ja nicht wissen, dass er nur „geprüft“ werden soll und dass Gott im letzten Augenblick (natürlich durch einen Engel) eingreifen würde. Als Exempel für absoluten Gehorsam sehen wir da im Hintergrund eher eine blutige Sekte als eine von Menschen- und Nächstenliebe geprägte Religion.
Nun, Metastasios Libretto zeichnet zwar die Ergriffenheit von Vater und Sohn nachdrücklich, aber im Zentrum steht eigentlich Sara, das Leiden der Gattin und vor allem Mutter angesichts des unfasslichen, ihr und ihrem Mann abverlangten Opfers. Da gibt es musikalisch viel zu gestalten – bis dann, als alles gewissermaßen gut ausgegangen ist, Lob und Preis Gottes angesagt ist, was schier kein Ende nehmen will…
Wie bringt man so etwas auf die Bühne? Wenn Regisseurin Eva-Maria Höckmayr, die auch für die Kostüme gesorgt hat, zu Beginn die fünf Protagonisten aufmarschieren lässt, alle in schwarzen Anzügen, die Herren mit Krawatte, die Damen mit weißen Blusen, könnte man sich gut vorstellen, sobald die Platz nehmen, dass das Oratorium tatsächlich konzertant in Szene gehen könnte. Wäre vielleicht besser gewesen, denn die Musik charakterisiert die Figuren ausreichend.
Doch stattdessen gibt es eine Art Zwitter-Inszenierung, die nicht wirklich eine ist. Minimalistischer Aufwand (Fabian Liszt sorgt rein gar nicht für eine „Bühne“ und die im Hintergrund undeutlich wackelnden Videos von Lukas Schöffel sind gleicherweise verzichtbar), es gibt also nur den Versuch, ein paar Grundsituationen zu „spielen“ (und dabei diskret gelegentlich die Kleidung zu ändern).

Man hat nicht das Gefühl, dass all das viel Sinn macht, und die Schluss Idee, das Werk einfach abzubrechen und die Zuschauer ratlos zu hinterlassen, hätte man sich besser geschenkt (denn gewissermaßen das Preisen Gottes in Frage zu stellen, nachdem man all das durchgemacht hat – das scheint wenig sinnvoll). Der mögliche Versuch, die Geschichte „richtig“ zu erzählen (da wären die schwarzen Anzüge allerdings nicht unbedingt die passende Ausgangslange gewesen), hätte vielleicht eine dramatische Familiengeschichte beschwören können. Aber so… schüttelt man wieder einmal den Kopf.
Immerhin sind da die Sänger. Vor allem Christian Senn mit schönem, beweglichem Baßbariton und ergreifender Ausstrahlung lässt als Abraham aufhorchen. Dennis Orellana als Isacco wird im Programmheft als „Sopranist“ bezeichnet, und tatsächlich ist sein Counter von einer Frauenstimme so gut wie nicht zu unterscheiden. In Nebenrollen erlebte man den stimmlich angenehmen chinesischen Tenor Anle Gou sowie Andjela Spaic als Engel.
Im Zentrum des Abends aber stand Sophie Gordeladze als Mutter. Ihr hat die Komponistin wohl die leidenschaftlichste Musik des an Dichten und Tempo bemerkenswerten Abends zugeteilt. Durchaus noch in der Welt Mozarts verankert und auch noch in technischen Schwierigkeiten (ein paar enorme Koloraturen- und Triller-Sequenzen in Arien) eine Erbin des Barocks, hat Marianna Martines doch weit mehr geliefert als nur das Könnertum ihrer Epoche. Ihre Musik, durchgängig der Dramatik verpflichtet, ist stellenweise wirklich mitreißend, was vom Bach Consort unter der Leitung von Chiara Cattani mit Verve exekutiert wurde. Kann man bitte noch etwas von dieser Komponistin hören?
Mag der Abend auch szenisch nicht sonderlich überzeugt haben, man kam schließlich, um eine Komponistin kennen zu lernen. Und schied mit der Erkenntnis, dass Marianna Martines ihr Handwerk fabelhaft beherrschte und es auch an Inspiration nicht fehlen ließ. Das fand auch das Publikum der dicht gefüllten zweiten Vorstellung am Pfingstsonntag und spendete starken Applaus.
Renate Wagner, 9. Juni 2025
Isacco
Marianna Martines
Kammeroper des MusikTheaters an der Wien
Premiere: 5. Juni 2025,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 8. Juni 2025
Regie: Eva-Maria Höckmayr
Dirigat: Chiara Cattani
Bach Consort