Wien: „Götterdämmerung“, Richard Wagner

Ein Abend für Andreas Schager!

Ja, die Götterdämmerung des ersten Zyklus der beiden RingAufführungen an der Wiener Staatsoper im Juni war der Abend des Andreas Schager, wie schon jener der Walküre ein paar Tage zuvor, in der er den Siegmund gesungen hatte und anschließend zum Kammersänger der Wiener Staatsoper ernannt worden war. Er singt den Siegfried, mit dem er an diesem Abend im Haus am Ring debütierte, nun mit einer weitaus dezidierteren und feineren Tongebung als noch im Carsen-Ring in Madrid 2022. Schager hat in der Rolle, und nicht nur in dieser, außerordentlich großes Charisma und verfügt über eine entsprechende darstellerische Intensität und Intelligenz. So wird nun seine Rolleninterpretation zu einem Erlebnis. Mit Klaus Florian Vogt, der zuletzt wieder in der Titelrolle des Siegfried an der Mailänder Scala bestach, hat die Wagner-Welt nun zwei erstklassige Tenöre in diesem Fach!

© Klaus Billand

Anja Kampe, ebenfalls mit Hausdebut in ihrer Rolle, war an diesem Abend eine kraft- und charaktervolle Brünnhilde, die die Höhen und Tiefen der so komplexen Rolle auch mit großer darstellerischer Kompetenz und Emotion auslotete. Stimmlich gefiel sie mir mehr als in der Walküre, wo sie in den hochdramatischen Passagen doch klar ihre vokalen Grenzen sah. Es war diesmal viel besser, aber es ist doch hörbar, dass manche Spitzentöne bisweilen etwas gestresst klingen und auch im tiefen Register ein leichter Bruch zu vernehmen ist. Möglicherweise singt sie auch einfach zu viel diese fordernden Rollen. Mit Andreas Schager bildete Anja Kampe jedenfalls ein einnehmendes und emotional beeindruckendes Paar.

© Klaus Billand

Weniger Erfreuliches lässt sich hingegen von der Besetzung des Hagen sagen, des dritten im Bunde der drei Haupt-Protagonisten. Samuel Youn, der 2012 in Bayreuth für Evgeny Nikitin als Holländer eingesprungen war und die Rolle damals gut, aber auch nicht mehr, meisterte, fiel mir schon in der Götterdämmerung von Peter Konwitschny in Dortmund am 25. Mai als mit der Rolle des Hagen völlig überfordert auf. Nun bekam er sogar unüberhörbare Buhrufe. Der Sänger firmiert im Internet als Bass-Bariton und gar Bariton, singt Rollen wie Holländer, Kurwenal, Pizarro, Dulcamara et al. Aber der Hagen ist ein Bass und auch kein hoher. Nach einem noch akzeptablen Beginn ging Youn über die Länge des Abends immer mehr die Luft aus, kaum noch Tiefe und Resonanz. So versuchte er, die Mängel durch starkes Deklamieren zu kompensieren, um bei einigen Momenten nicht gar vom Brüllen zu reden. Wie kann an einem Haus wie der Wiener Staatsoper eine solche Fehlbesetzung passieren?! Seit Jahrzehnten habe ich bei einer Götterdämmerung hier noch nie erlebt, dass einer der Haupt-Protagonisten gebuht wurde.

Clemens Unterreiner sang den Gunther mit Betonung auf der gesanglichen Linie und stellte ihn als Hagen hoffnungslos Unterlegenen dar. Jochen Schmeckenbecher war wieder der bewährte Alberich in seiner kurzen nächtlichen Szene. Regine Hangler konnte als Gutrune überzeugen und sang auch die Dritte Norn. Szilvia Vörös gab eine erstklassige Waltraute mit großer Emphase in der Walhall-Erzählung und machte damit die Szene mit Brünnhilde zu einem Höhepunkt des Abends. Sie sang ebenfalls hervorragend die Zweite Norn. Monika Bohinec war eine gute Erste Norn. Ileana Tonca als Woglinde, Isabel Signoret mit Rollendebut am Haus als Wellgunde und Stephanie Maitland als Flosshilde waren ebenfalls sehr gut.

Philippe Jordan dirigierte zumindest in seiner Funktion als Musikdirektor der Wiener Staatsoper seinen vorletzten Ring und damit auch die vorletzte Götterdämmerung. Er konnte das Orchester der Wiener Staatsoper mit Konzertmeister Rainer Honeck zur (nicht nur) bei Wagner gewohnt großartigen Leistung motivieren. Warmer Streicherklang, auch klangvoll intonierende Bläsergruppen (ein paar Hornkiekser fallen nie ins Gewicht) ließen die Orchesterzwischenspiele wie Siegfrieds Rheinfahrt, den Trauermarsch und das Finale zu symphonischen Erlebnissen werden. Erstklassig sang wie immer der von Thomas Lang einstudierte Chor und Extrachor der Wiener Staatsoper, der auch imposant in Szene gesetzt wurde.

© Klaus Billand

Zur Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf ist hier ja schon (fast) alles gesagt worden. Sie eignet sich durch ihre szenische Stromlinienförmigkeit ideal für kurzfristig einspringende Künstler und überzeugt durch die Ausspielung der ganzen Bühnentiefe durch Rolf Glittenberg, was man heutzutage nicht immer erlebt, und geschmackvolle Kostüme von Marianne Glittenberg, wenn man auch die blöden und ihre Träger störenden Rucksäcke einmal ablegen könnte. Das hat David McVicar in Mailand nun viel besser gemacht. Dort wie in der Wiener Inszenierung, die wohl bald ihr Ende erleben wird und sollte, wird aber der Wagnersche Ring-Mythos thematisiert, und das ist gut. In diesem Sinne ist das Finale immer noch einer der Höhepunkte von Bechtolfs Inszenierung. Dass Wotan mit den beiden Speerstücken noch einmal hochkommt und dann in einem Feuerwirbel untergeht, hat schon etwas für sich! Das Tannenwäldern im Prolog, im Vorspiel und im 1. Aufzug erinnert aber weiterhin an eine noch junge Christbaumschonung im Burgenland oder gar einen vorweihnachtlichen Verkaufsstand des urgermanischen Weihnachts-Symbols in Wien. Es passt erst recht nicht in den Wiener Sommer! Das spinnstubenartige Fummeln der Nornen am weißen Schicksalsseil macht die Sache auch nicht besser. Aber wie sagen die Regisseurstheater-gebeutelten Wiener Wagner-Kenner, zumal nach den neueren Inszenierungen von Parsifal, Tristan und Isolde sowie dem Lohengrin aus Salzburg: „Man kann damit leben!“ Aber ist das wirklich alles, für das man in der Oper leben können sollte?!

Klaus Billand, 20. Juni 2025


Götterdämmerung
Richard Wagner

Wiener Staatsoper

Besuchte Aufführung am 15. Juni 2025
Premiere: 8. Dezember 2008

Inszenierung: Sven-Eric Bechtolf
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Orchester der Wiener Staatsoper