Regensburg: „Der Vogelhändler“

Besuchte Aufführung: 14.12.2014 (Premiere: 06.12.2014)

Heimliche Hauptdarsteller: Wildschweine

Gemischte Gefühle hinterließ die Neuproduktion von Carl Zellers Operette „Der Vogelhändler“ am Theater Regensburg. Teils lag es an der Produktion, teils an den Sängern. Wer kennt sie nicht, die Glanzlichter des am 10.01.1891 im Theater an der Wien uraufgeführten Werkes? Titel wie „Grüß euch Gott, alle miteinander“, „Ich bin die Christel von der Post“ oder „Schenkt man sich Rosen in Tirol“ erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit beim Publikum und sind schon lange zu Schlagern geworden. In Regensburg besann man sich auf eine frühe Fassung des Werkes, die am Ende noch ein zusätzliches, von der Zither begleitetes Lied Adams enthält, das man bisher nicht kannte und das auch im Klavierauszug fehlt.

Cameron Becker (Adam), Theodora Varga (Kurfürstin)

Im Zentrum des Geschehens stehen die Wildschweine, die in Dominik Wilgenbus’ Inszenierung zu heimlichen Hauptdarstellern avancieren. Das wird bereits zu Beginn offenkundig. Noch während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen, ist der Vorhang geöffnet und gibt den Blick auf ein Schild frei, auf dem in großen Lettern das tragische Schicksal des im Jagdrevier des Kurfürsten lebenden Wildschweins Rigobert geschildert wird, das sich in einen weiblichen Artgenossen verliebt, dann aber vor das Gewehr eines Jägers gerät. Ein gleichartiges Schild weiß zu Beginn des zweiten Aktes zu vermelden, dass im zweiten Rang eine Jagdflinte gefunden wurde. Der Eigentümer wird gebeten, sie an der Garderobe abzuholen. Nach der Pause hängen zahlreiche Wildschweinköpfe als Jagdtrophäen des Kurfürsten an der Wand. Hier wird augenscheinlich nicht nur die Geschichte von menschlichen Liebesverwirrungen erzählt, sondern auch allgemein von Wildschweinen berichtet.

dam Kruzel (Weps), Cameron Becker (Adam), Brent L. Damkier (Stanislaus), Doris Dubiel (Adelaide), Chor

Dabei braucht der Regisseur etwas Zeit, um so richtig in die Gänge zu kommen. Dass der erste Akt noch nicht sonderlich zu überzeugen vermochte, liegt aber in erster Linie an dem hier noch nicht sonderlich geglückten Bühnenbild von Peter Engel. Das von ihm auf die Bühne gestellte Jagdrevier, dessen Betreten auf Warntafeln wegen Gefahr in mehren Sprachen verboten wird, besteht aus einem Wald, dessen aus Pappmachée hergestellten Bäume reichlich aufgesetzt wirken. Eine im linken Bereich der Bühne verlaufende Brücke sieht man auch im zweiten Akt. Die Handlungsträger einschließlich des Chors agieren in epocheübergreifenden Kostümenvon Claudia Doderer. Der Adel erscheint mit Perücken der Mozart-Zeit, womit auf Wilgenbus’ These angespielt wird, „dass im Grunde jeder Komponist nach Mozart irgendwann einen ‚Figaro’ schreiben wollte“ (vgl. Programmheft). Die Tiroler und die Dörfler erscheinen in etwas moderneren, stilistisch leicht variierenden Trachten. Deutlich wird, dass die hier aufgezeigten Konflikte in jeder – nicht nur in der vom Adel beherrschten – Ära vorkommen können. Besonders Bestechung von Amtsträgern, Vetternwirtschaft und Protektion kamen schon immer vor und sind auch heute noch Probleme. Insoweit ist der kostümhafte Wandel durch die Zeiten durchaus berechtigt.

Cameron Becker (Adam), Christel, Chor

Im zweiten Akt nimmt das Ganze dann enorme Fahrt auf. Der Bühnenraum mutet auf einmal leicht schräg an; das romanische Jagdschloss, zu dem die Handlung hier wechselt, erschließt sich den Augen unvermittelt etwas schief. Die verzerrte Wahrnehmung lässt die Handlung etwas ins Surreale abdriften, wozu auch der Regisseur beiträgt, wenn er die an der Wand hängenden Wildschweintrophäen immer wieder lebendig werden und durch Kopfnicken einen Kommentar zu dem Geschehen abgeben lässt. Das war ein durchaus spaßiger Einfall. Auch die Personenregie hatte sich im zweiten Akt enorm gesteigert. Das Komödienhafte des Stücks wurde jetzt voll und ganz ausgekostet und mit einer Unmenge witziger Ideen garniert. Neben der heiteren kam aber auch die melancholische Komponente nicht zu kurz, als deren Höhepunkt das von einem herrlichen Ambiente eingerahmte Lied der Kurfürstin vom Kirschenbaum gelten kann. Den Lehren Bertolt Brechts erweist Wilgenbus im dritten Akt seine Reverenz, wenn er nach dem Terzett „Kämpfe nie mit Frau’n“ Adam und Christel noch einmal vor den jetzt halb geschlossenen Vorhang treten und den Vogelhändler das bereits erwähnte Zither-Lied singen lässt.

Adam Kruzel (Weps), Chor

Gesanglich hielten sich Positiva und Negativa die Waage. Die Krone der Aufführung gebührte wieder einmal Anna Pisareva, die als Briefchristel eine absolute Glanzleistung erbrachte. Sie sang mit exzellent durchgebildetem, bestens italienisch geschultem, sonorem und strahlkräftigem Sopran so phantastisch, dass es eine Freude war, ihr zuzuhören – und zuzusehen, denn auch schauspielerisch wurde sie mit frischem, aufgewecktem Spiel ihrem Part vollauf gerecht. Zurecht das Publikum auf ihrer Seite hatte auch Theodora Varga, die die Kurfürstin Marie rein vokal mit einem trefflich fokussierten, in jeder Lage sauber ansprechenden und recht emotional geführten Sopran gut sang. Darstellerisch betonte sie eher die bedächtige Seite der Rolle. Ihr gefühlvoll vorgetragenes Lied vom Kirschenbaum war ein Höhepunkt der Aufführung. Gegenüber diesen beiden Damen fiel Cameron Beckers Adam ab. Von seinem frischen, aufgeweckten Spiel her ist ihm nicht das Geringste anzulasten, indes war der tirolerische Akzent nicht so sehr die Sache des amerikanischen Sängers. Stimmlich vermochte er mit seinem dünnen Tenor ebenso wenig zu überzeugen wie der ebenfalls reichlich flach geführte Tenor von Brent L. Damkiers Graf Stanislaus.

Eine gute Leistung ist Adam Kruzel zu bescheinigen, der den Baron Weps mit einer ausgemachten komödiantischen Ader einfach köstlich spielte und mit hervorragend gestütztem, markantem und ausdrucksintensivem Heldenbariton noch besser sang. Von den beiden Professoren vermochte der mit vollem, rundem Tenor intonierende Süffle Matthias Zieglers viel besser zu gefallen als Michael Heuberger, der den Würmchen mit reichlich flachem Tenor sang. Letzterer hatte im ersten Akt als Wirtin Nebel bereits eine erheiternde Transvestitenstudie abgeliefert. Einen angenehmen Bariton brachte Tobias Hänschke – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Fußballspieler – für den Dorfschulzen Schneck mit. Eine schauspielerisch ansprechende, die komischen Seiten ihrer Partie bestens bedienende Baronin Adelaide war die aus dem Sprechtheater stammende Doris Dubiel. Gesungen hat sie, wie Schauspielerinnen es eben tun. Solide präsentierte sich der von Alistair Lilley einstudierte Chor.

Tom Woods fand am Pult zusammen mit dem Philharmonischem Orchester Regensburg ganz im Einklang mit der Regie einen guten Spagat zwischen spritziger Ausgelassenheit und einfühlsamer Melancholie.

Ludwig Steinbach, 17.12.2014
Die Bilder stammen von Jochen Quast