Buchkritik: „Verbote in der Kunst“, Wagner, von Berg, Maintz

Zum ersten Mal seit der des Parsifal gab es in Bayreuth wieder eine Uraufführung, und zwar die von Klaus Langs „der verschwundene hochzeiter“, sich nicht nur durch die Kleinschreibung des Titels, sondern auch durch die minimalistische Musik auszeichnend. Parallel fand mit dem zweiten „Bayreuther Diskurs“ auch ein Symposion zum Thema „Verbote in der Kunst-Positionen zur Freiheit der Künste von Wagner bis heute“ statt. Allerdings ist der Untertitel nicht ganz zutreffend, da es in einem der Beiträge auch um die Musik um 1600 ging.

Im Vorwort verweisen die Herausgeber Katharina Wagner, Holger von Berg und Marie Luise Maintz darauf, dass jederzeit die Grundrechte in Gefahr sein können, dass das Thema politische Korrektheit zunehmend an Bedeutung gewinnt und Frageverbote wie im Lohengrin durchaus nicht der Vergangenheit angehören.

An einige der Referate schlossen sich Diskussionen an, so auch an Thea Dorns und Feridun Zaimoglus, die über die me-too-Bewegung, Reaktionen auf den Echo-Preis und andere Herausforderungen für die Gesellschaft berichten, die Meinung vertreten, alle echte Kunst beginne mit Provokation als Form der Verweigerung, die Provokation der Liberalen jedoch für „eine Eselei“ halten. Von Wagner erfährt der Leser in diesem Zusammenhang kaum etwas.

Auch in der Diskussion geht es zunächst nicht um Wagner, sondern um Verdi mit der Erinnerung an die Proteststürme gegen Neuenfels‘ Inszenierung von Aida in Frankfurt, von der behauptet wird, sie habe nur das gezeigt, was im Stück steht.

Eugen Gomringer und Lucian Hölscher nahmen zum Thema, wie politisch korrekt Kunst sein müsse, Stellung, gehen weit zurück mit den Beispielen für heikle Situationen, die Folgen davon mit den Fällen Jenniger, Heitmann und Walser und fragen sich, ob Künstler sich mehr erlauben dürfen als das gemeine Volk. Einzelne Begriffe werden untersucht wie „Zigeuner“, zunehmend verfemt, und „Schwule“, zunehmend akzeptiert. Gomringer ist selbst das Opfer politischer Korrektheit, indem sein unschuldiges, in spanischer Sprache verfasstes Gedicht, das Alleen, Blumen und Frauen in eine Reihe stellt, von vorwiegend Schülerinnen mit Migrationshintergrund beanstandet und von der Mauer ihrer Schule entfernt wurde. Der Beitrag ist erfrischend sowohl durch die Meinung Dorns, wir würden uns durch Überempfindlichkeit selbst „infantilisieren“, als durch die Einsicht, dass in vielen Diskussionen ein hysterischer und selbstgefälliger Ton herrsche. Auch das „Heideröslein“ und Wagners Frauenbild erst recht müssten verboten bzw. angegriffen werden, wenn man so strenge wie ahistorische Maßstäbe anlege.

Kunst und Globalisierung hatten sich Gerhard Baum und Charlotte Seitner zum Thema gewählt, und es handelt von der Spannung zwischen künstlerischer Freiheit und Persönlichkeitsrechten, vom Bildungsauftrag von Rundfunk und Fernsehen und vom Quotenzwang, von der Digitalisierung und ihrem Einfluss auf die Kunst. Weitgespannt ist die Diskussion, in der es um Gendergerechtigkeit, passiven und proaktiven Freiheitsbegriff, um die Förderung der Freien Szene und die „Algorithmisierung unseres Menschenbilds“ geht.

Konkreter und wagnerbezogener verhält man sich im Beitrag von Detlef Brandenburg über das Frageverbot von Lohengrin. Der Verfasser sieht in ihm „eine ästhetische Revolution“, um den Versuch einer „Erneuerung des politischen Gemeinwesens durch Kunst und Liebe“, so wie er den Komponisten im Spannungsfeld zwischen Hegel und Feuerbach, zwischen Bakunin und den Romantikern“ wähnt.

Mit der Nachkriegsgeschichte wird hart ins Gericht gegangen, sie wird als Flucht der Deutschen in die unpolitische Kunst gesehen. Erst Chereau, Friedrich und Neuenfels hätten diese Haltung überwunden. Interessant ist, dass der Autor auch auf Ringinszenierungen wie die von Flimm, Harms und rosalie eingeht.

Bernd Feuchtner begibt sich in seinem Beitrag über „Verbotene Oper“ zunächst sehr kämpferisch auf einen Waffengang mit Pfitzner und dessen Naziverstrickung, wendet sich dann einer Fülle von Fällen verbotener Oper zu, die so kurz sind, dass der Opernfreund nichts Neues erfährt, der Unkundige über zu vieles im Unklaren gelassen wird. Es werden der Fall Furtwängler (um Mathis der Maler), Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk, die Römische Kirche und die Kastraten, Dessaus Lukullus und Eislers Johann Faustus, The Death of Klinghoffer und anderes gestreift, auch übertrieben, wenn behauptet wird, Floyds Susannah an der DOB hätte nur Verrisse provoziert. Es wird nicht ganz klar, ob es dem Verfasser mehr um die Avantgarde oder die Schönheit geht.

Ute Frevert kehrt zu Lohengrin zurück, dem sie das Brechen mit drei Prinzipien zur Last legt: Gleichheit, Transparenz und Gegenseitigkeit in seiner Beziehung zu Elsa.

Hans Rudolf Vagelt befasst sich mit dem Wagnerkult im Nationalsozialismus, den damals herrschenden Frage- und Denkverboten, wobei die Forschungsstätte unter Otto Strobel eine wichtige Rolle spielt. Die „Inkubationszeit des Nationalsozialismus“ sei diejenige gewesen, in der in Deutschland Wagner landauf und landab gespielt wurde, wobei etwas vergessen wird, dass die Massen, die Hitler zujubelten, kaum die typischen Besucher Bayreuths darstellten. In der darauf folgenden Diskussion widmete man sich der Frage nach dem Antiamerikanismus in der Bundesrepublik, stehen sich die Aussagen von Ute Frevert, Antisemitismus finde sich auch in Wagners Musik, nicht nur in seinen Schriften, statt, und Hans Rudolf Vagets Hinweis, auch die Juden seien fasziniert von Wagners Musik, gegenüber. Als Ausweg aus dem Dilemma wird die Hinwendung zur Pariser Wagnertradition gesehen, womit sicherlich nicht der Skandal um den Tannhäuser gemeint ist. Am nachvollziehbarsten ist wohl der Ratschlag, man solle Wagner im Kontext seiner Zeit sehen. Einen Streitpunkt bildet die Frage danach, ob Deutschland seine imperialistischen Überlegenheitsphantasien aus der Bedeutung seiner Musik abgeleitet habe.

Relativ knapp ist der Beitrag über „Verbote“ in der Musik um 1600“, in dem Klaus Lang, Komponist der oben erwähnten Oper, sich über Musik als „hörbar gemachte Zeit“ äußert, anhand eines Trillers von Quantz und eines solchen von Frescobaldi zu seinem Thema Stellung nimmt, über Dissonanz und Konsonanz im Wandel des Geschmacks, aber nicht nur diesen, über die Tatsache, dass mit der Zeit Regeln zum „Natürlichen“ werden,referiert.

Krass wird es mit „Das Verbotene suchen“, wo über die Versuche moderner Komponisten, die Schmerzgrenze zu erkunden, berichtet wird. Das kann über trashige Aufführungen, Genre-Verwirrung, „Dunkelkonzerte“, übermäßige Länge der Werke, das Überschreiten der Schmerzgrenze geschehen. Zu all dem gehört die Uraufführung 2018 nicht, denn „der verschwundene hochzeiter“ wie das Gespräch über ihn respektieren die Grenzen, die den Sinnesorganen der Menschen gesetzt sind. 

Ingrid Wanja, 4. Mai 2023


190 Seiten, Bärenreiter 2019

 ISBN 978 3 7618 7207 9