Frau mit viel Schatten
Ohne Aktualisierung, Ideologisierung und Politisierung geht es längst nicht mehr auf deutschen und inzwischen auch europäischen Bühnen, und so hat sich auch Regisseur Tobias Katzer Gedanken darüber gemacht, wie man Richard Strauss‘ Oper Die Frau ohne Schatten in unsere Zeit und unsere Breiten übertragen könne. Leihmutterschaft schien ihm da nahe zu liegen, zwar gab es diese zur Entstehungszeit der Oper noch nicht, wohl aber das uralte Problem der ungewollten Kinderlosigkeit, von Gerhard Hauptmann bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit Die Ratten auf die Bühne gebracht, wo die kinderlose Frau John um ihre Ehe fürchtet und der wegen einer ungewollten Schwangerschaft zum Selbstmord bereiten Piperkarcka ihr Kind abnimmt, was schließlich zum Tod beider Frauen und der überraschenden Schlussfolgerung führt, erst mit dem Selbstmord der Ziehmutter habe das Kind seine wahre Mutter verloren. Die Frau ohne Schatten entstand während des Ersten Weltkriegs, wurde 1917 vollendet und 1919 uraufgeführt, zu den Schrecken des Krieges war für Strauss auch der Verlust seines Vermögens gekommen, Hofmannsthal erlebte den Zusammenbruch seines Heimatstaates, und so stellt die Wahl eines Märchenstoffs vielleicht auch eine Flucht aus der beklagenswerten Realität dar.

Die Frau ohne Schatten ist auf Berliner Bühnen kein seltener Gast. Die Staatsoper zeigte zu DDR-Zeiten das Stück in der Regie Harry Kupfers, im Schillertheater und auch unlängst wieder im Stammhaus Unter den Linden in der wohl wegen des Ausleihens auch an Scala und Covent Garden von Provokationen freien Regie von Claus Guth. Da ging es mit Kirsten Harms‘ FroSch 1996 in Kiel in den Schützengräben des Weltkriegs I und mit John Dews Wirken im Kreißsaal weit deftiger zu. Die Deutsche Oper zeigte das Stück 1998 in einer kunterbunten Ausstattung mit Philippe Arlauds Regie und verbunden mit einer Auseinandersetzung zwischen Intendant Götz Friedrich und Dirigent Christian Thielemann um die Besetzung der Färberin. Gegen Schluss ihrer Intendantinnenzeit inszenierte Kirsten Harms das Stück, das dann leider sehr schnell vom Spielplan verschwand. Nun ist es wieder da als Teil einer Art Trilogie, beginnend mit Arabella, gefolgt von Intermezzo, und die letzte Arbeit von Tobias Kratzer als freier Regisseur, ehe er seine Intendanz in Hamburg beginnt.

Mit Strauss‘ bescheidenem „einfach Bild und Märchen“, die er in seiner Oper sah, wollte sich die Regie nicht zufrieden geben, sondern verbannt die „märchenhaften Züge“ eher zugunsten „soziologisch-konkreter“ Sichtweisen, macht aus den Zauberwesen „psychologische Metaphern“, aus den „geisterhaften Katakomben“ „konkrete Situationen und Räume des Beziehungslebens“. Davon verspricht Katzer sich eine Intensivierung der Erfahrungen der Zuschauer, vom Szenenwechsel bei offener Bühne eine „andere Art von magischer Theatralität“. Für die schwule Szene hat er in der Zeitschrift Siegessäule sogar die frohe Botschaft, dass ein „schwuler Blick auf eine ‚Hetero-Hölle’“ dem Werk nur gut tun könne, und übersieht, dass es der Kaiserin in erster Linie nicht um das Kind, sondern um die Rettung des Kaisers vor der Versteinerung geht.
Oft kommt es ganz anders, als es uns das kluge Programmheft oder anderweitige ebenso kluge Bekundungen zum Werk weismachen wollen. Ob mit dem „schwulen Blick auf die Hetero-Hölle“ allerdings das optische Ende der Oper, Väter, die ihre Kinder aus dem Kindergarten abholen, gemeint ist, darf bezweifelt werden, so schlimm ist das nun auch wieder nicht, eher schon der Hang der Deutschen Oper zu gynäkologischen Belehrungen, diesmal in Video-Großaufnahme einen uncharmanten Blick auf das Gesicht der Sängerin der Färberin offerierend während einer ärztlichen Maßnahme, während die Sängerin der Kaiserin billiger davon kommt. Immerhin drei für die Videoprojektionen Verantwortliche (Manuel Braun, Jonas Dahl, Janic Bebi) werden im Personenverzeichnis genannt. Nur einen braucht es für die Ausstattung, eine Drehbühne, die in mal gehobene Ansprüche erfüllende, mal ärmlichere (aber immerhin mit moderner Küche) Behausungen führt und von Rainer Sellmaier verantwortet wird.

Sollte es etwa einen Zusammenhang zwischen den Totalabsagen von Sopranen und den Regiekonzepten an der Deutschen Oper geben? Auch der Kaiser, der häufig den Reißverschluss seines Beinkleids überprüfen muss, war in der Premiere von einer Absage betroffen. Immer wieder aber muss der Zuschauer ein höhnisches Auflachen unterdrücken, wenn die Diskrepanz zwischen dem elitären Hofmannsthal-Text, der üppigen, strahlenden Musik von Richard Strauss und der sich in dieser Paarung einfach lächerlich machenden Optik allzu krass wird, sei es bei der Baby-Party, dem Besuch bei der Eheberaterin oder dem singenden Steif-Stofftier (Falke). Dass der Text, aber mehr noch die Musik absolut nichts mit dem Bühnengeschehen gemein haben, ist schlimm. Bei geschlossenen Augen ergährt man ihren Klang als strahlender, intensiver, zwingender.
Die Frau ohne Schatten braucht wie Don Carlo oder IL Trovatore fünf ausgezeichnete Sänger, und die hat man in der Deutschen Oper, und man bedauert sie dafür, dass sie ihre Kunst an die ihre Wirkung mindernde Optik verschwenden müssen.

Eingesprungen für Jane Archibald als Kaiserin ist Daniela Köhler, die optisch wie akustisch hoch gespannte Erwartungen voll erfüllte mit einem silbrig glänzenden, höhensicheren Sopran, der auch die extremen Intervallsprünge zu meistern wusste. Catherine Foster war in Darstellung und Gesang eine unangefochtene, souveräne Färberin, während Marina Prudenskaya als Amme ihren kostbaren Mezzosopran lodern ließ und trotz der dies nicht erleichternden Regie ihrer Partie eine geheimnisvolle Aura zu geben imstande war. Mit dem Text ging sie recht freizügig um. Keine Extremhöhe scheuen musste der Kaiser vom für David Butt Philip eingesprungenen Clay Hilley, kraft- und klangvoll meisterte er die fordernde Partie. So balsamisch schön wie energiegeladen und zu Herzen gehend sang Jordan Shanahan den Färber. Was möglich war, machten aus ihren Partien Philipp Jekal, Padraic Rowan und Thomas Cilluffo als Brüder Baracks, Patrick Guetti als Geisterbote, Hye-young Moon als Hüter der Schwelle sowie alle anderen, welche aus ihren Rollen mehr künstlerischen Gewinn hätten ziehen können, wären diese nicht banalisiert worden. Wie weit auch die Wahrnehmung des Orchesterklangs darunter litt, ist schwer auszumachen, ließ man Auge und Ohren ihres Amtes walten, statt sich ihm allein hinzugeben, dann erschien dieser unter der Leitung von Sir Donald Runnicles weniger leuchtend, weniger eindringlich, weniger spannungsgeladen, wie verschattet.
Ingrid Wanja, 26. Januar 2025
Die Frau ohne Schatten
Richard Strauss
Deutsche Oper Berlin
Premiere am 26. Januar 2025
Inszenierung: Tobias Kratzer
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin