Berlin: Neue Szenen V: „Scheiterhaufen“

Uraufführung am 6.11.2021

Besuchte Vorstellung am 7.11.2021

Zum fünften Mal präsentiert die Deutsche Oper Berlin auf ihrer Studiobühne in der früheren Tischlerei des Hauses die Ergebnisse eines Wettbewerbs junger Librettisten und Komponisten, diesmal unter dem Titel „Scheiterhaufen“, und schon jetzt ist der 6. Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem auch der Abgabeschluss für die Partituren bereits feststeht: der 1.11.2022. Aus den eingeschickten Exemplaren werden jeweils die drei Preisträger ausgewählt und ihre Stücke gemeinsam von Deutscher Oper und den Studierenden der Hochschule Hanns Eisler in Berlin in Szene gesetzt.

Im Grußwort, veröffentlicht im Programmheft zu den drei Vorstellungen nach der Uraufführung am 6.11., beschreibt Intendant Dietmar Schwarz die Zielsetzung des Unternehmens, nämlich „Fragen unserer Zeit thematisieren und nach Klangfarben unserer Zeit suchen“. Diese sieht er im „hinterfragen…, inwieweit Opfer-und Täternarrative der frühen Neuzeit heute, im Kontext aktueller Diskussionen zu Rollenzuschreibung, Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, einer Revision bedürfen“.

Im sich anschließenden Beitrag von Claus Unzen von der Hochschule Hanns Eisler wird festgestellt, wenn nicht beklagt, dass es nur wenige Uraufführungen im letzten Jahrhundert gab, dass die wenigen neuen Werke kaum nachgespielt werden und das Repertoire der Opernhäuser sich im wesentlichen auf Mozart, Wagner, Verdi und Puccini beschränkt. Für seine Studenten empfindet er es als großen Vorteil, dass sie durch die Chancen, die der Wettbewerb darstellt, darüber hinaus gehen können. Liest man die Ausführungen von Dramaturgen und Regisseuren im Programmheft, dann vermeint man zu erkennen, warum moderne Opern keinen nachhaltigen Erfolg erzielen. Verdi verlangte von seinen Librettisten nicht mehr und nicht weniger, als dass sie ihm „Stoffe voller Leidenschaft“ bereitstellten, was die heutigen Librettisten abliefern sind Fallbeispiele zu soziologischen und psychoanalytischen Abhandlungen, dazu noch Kapitalismuskritik, die Musik muss sich damit zwangsläufig jedem Kulinarischen entziehen, jede Möglichkeit zur Identifizierung ist dem Zuschauer genommen, denn wer will sich schon in Vatermörderinnen, Sex mit Minderjährigen Ausübenden, egal ob homo- oder heterosexuell, oder in sich Häutende hineinversetzen. Womit nichts gegen Vatermörderinnen in der Oper gesagt sein soll, nur sollte es um l’amore, la patria oder sonst etwas Heiliges, ja, auch mal um l’onore, il tradimento oder la vendetta, gehen und nicht um das Betrachten von Pornos. Aber es geht ja auch nicht mehr um prima la musica o prima la parola, sondern um prima l’ideologia.

Glücklich wer sich vor der Vorstellung über den Inhalt der einzelnen Szenen informiert hatte, denn die Inszenierungen dienten eher der Verschlüsselung als der Erhellung des Geschehens. Immerhin konnte man anhand der quer über die Bühne geklebten Buchstaben, die ein GEILE LESBE bildeten, erkennen, dass es mit Mythos begann, der Text von Dorian Brunz, die Musik von Sara Glojnaric stammend, wofür Nora Krahl den schönen Einfall hatte, daraus das Wort Liebe entstehen zu lassen. Ansonsten ging es mit üblen Pornobildern , die sich mit Griechischem (Priamos und Thisbe) und einem strengen Frauenantlitz abwechselten, wüst her. Als Mythos, der Titel der Szene, hätte sich eher Sappho angeboten, denn es ging um die Liebe einer Heranwachsenden zu einer noch Minderjährigen im Sommer 87 in der DDR, wozu zu das Orchester unter Christian Schüller mit dem an sich fast traditionell bestückten Orchester mal Lautes mit viel Schlagzeug, mal nur als Hintergrundmusik Vernehmbares beisteuerte. „Wir wollen kein Mythos werden“, beteuern die beiden Sängerinnen ( Clara Maria Kastenholz und Constanze Jader), die sich auf der Bühne Karin und Hannah nennen, und diese Gefahr dürfte kaum bestehen.

Das zweite Stück, Haut betitelt, soll, glaubt man der Inhaltsangabe, von einer schönen Frau handeln, die sich häutet und damit ihre Umwelt erschreckt und sich damit außerhalb der Gemeinschaft stellt. Das Libretto stammt von Lea Mantel, Musik von Lorenzo Troiani, aber es ist die Regie von Andrea Tortosa Baquer o, die das Interesse der Zuschauer zu erwecken versteht mit einer schönen Choreographie für Sänger und Tänzer in phantasievollen Kostümen. Man kann das Ganze genießen, wenn man daraus verzichtet, einen Sinn darin zu erkennen, warum man tafelt, sich schubst, fällt, wieder aufsteht, begleitet von untermalendem Raunen durch das Orchester, dank Trockeneis wie auch die dritte Szene von Geheimnis umweht, durchgehend aber enttäuschend, wenn man gehofft hatte, junge Stimmen zu hören, die zu allem kompositorischen Übel noch durch Miniports vergrößert wurden. Aus diesem Grund ist es auch unmöglich, ihre Leistung zu beurteilen. Genannt werden soll immerhin die Sängerin der Sie: Sonja Isabel Reuter.

Schön blasphemisch ist schon der Titel der dritten Szene mit unser Vater/Vater unser, in der ein den Töchtern alle Lustbarkeiten der modernen Welt verweigernder Vater umgebracht wird, selbst die Verwandlung in den alles bereitstellenden Gottseibeiuns rettet ihn nicht vor dem Schuss aus dem Pistol. In der Regie von Ana Cuéllar Velasco gibt es eine ganze Schar von als Bienen verkleideten Töchtern, die emsig Pakete von Amazon umpacken, infernalisch ist die Musik von Sergey Kim, „Ich will frei sein“, lässt das Libretto von Peter Neugschwentner die Damen bekennen, aus deren Schar Felicia Brembeck (Lucinde) und Liudmila Maytak (Samuela !) herausragen.

Ist das die Oper der Zukunft? Nein, bitte nicht! Wann gibt es wieder Tosca von 1969 in der Regie von Boleslav Barlog?

Fotos Eike Walkenhorst

7.11.2021 Ingrid Wanja