Essen: Tops und Flops – „Bilanz der Saison 2024/25“

Auch in diesem Jahr haben wir unsere Kritiker wieder gebeten, eine persönliche Bilanz zur zurückliegenden Saison zu ziehen. Wieder gilt: Ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen.

Nach dem Staatstheater Meiningen blicken wir heute auf das Aalto-Theater Essen.


Beste Produktion:
The Listeners von Missy Mazzoli in der Regie von Anna-Sophie Mahler. Eine gut hörbare zeitgenössische Oper, die das Abdriften der Hauptfigur in eine Sekte ebenso satirisch wie dramatisch darstellt.

Größte Enttäuschung:
Die Saisoneröffnung mit Mozarts Die Zauberflöte in der Regie von Magdalena Fuchsberger macht aus der Königin der Nacht und Sarastro die Anführer einer Sekte. Eigentlich sollte dieses Stück ein volles Haus und eine volle Kasse garantieren. Die Inszenierung spricht sich aber schnell herum, was dazu führt, dass die 13 Vorstellungen miserabel verkauft sind. Das Publikum hat kein Vertrauen mehr in das Aalto-Theater, sodass auch Repertoire-Klassiker und sehenswerte Produktionen nur mittelmäßig verkauft werden.

Wiederaufnahmen:
Insgesamt bietet das Haus in dieser Saison ein Wiedersehen mit vielen sehenswerten Klassikern aus dem Repertoire: Da gibt es Dietrich Hilsdorfs legendäre Aida (1989), die Tosca (1997) von Christine Mielitz, Anselm Webers Rosenkavalier-Inszenierung (2004), Stefan Herheims Don Giovanni (2007) und den Nabucco (2009) von Andreas Baesler. Die Produktionen sind gut besetzt, aber weil das Vertrauen des Publikums untergraben ist, wird regelmäßig vor halbleerem Saal gespielt.

Beste Sänger:
Bettina Ranch, die mit durchschlagendem Mezzo die Preziosilla in La forza del destino und die Kundry im Parsifal singt. Den Lohn für diese Leistungen gibt es nächste Saison in Köln, wo sie als Fricka besetzt ist.
Astrik Khanamiryan begeistert regelmäßig mit feurigem Sopran im italienischen Fach (Abigaile, Aida, Leonora in Forza).
Heiko Trinsinger ist seit den Zeiten von Stefan Soltesz ein Qualitätsgarant im Essener Ensemble (Howard Bard in The Listeners, Amfortas, Faninal).

Nachwuchssänger:
Bei den jungen Sängern fallen stets positiv auf:
Lisa Wittig mit ihrem frischen und schwungvollen Sopran (Pamina, Blumenmädchen, Marie in Karneval in Rom).
Aljoscha Lennert mit seinem lyrischen Tenor, der heldische Anflüge erkennen lässt (Parsifal-Knappe, Tamino, Arthur Bryk in Karneval in Rom).

Ausgrabung des Jahres:
Der Karneval in Rom von Johann Strauss ist auch nicht schlechter als Eine Nacht in Venedig und Wiener Blut. Leider gibt es das Stück nur semikonzertant mit Nikolaus Habajan als kauzigem Musikwissenschaftler. Nächste Spielzeit inszeniert er in Essen Wiener Blut!

Bestes Bühnenbild:
Das Wolgograder Kriegsdenkmal von Volker Hintermeier zu Verdis La forza del destino. Leider passt das Bühnenbild nicht zum Stück und die Personenführung von Regisseurin Slava Daubnerova ist hilflos bis peinlich. Nach der Zauberflöte wurden mit dieser Produktion gleich zwei Opernhits versenkt.

Gesamteindruck:
Angesichts der katastrophalen Saisoneröffnung hat sich Intendantin Merle Fahrholz schon in dieser Saison entschieden, ihren Vertrag 2027 auslaufen zu lassen, was genügend Zeit für die Suche nach einem Nachfolger bietet.
Dazu muss man sagen: Für ihre schwache erste Saison 22/23 mit katastrophalen Regiearbeiten zu Tannhäuser und Simon Boccanegra kann Merle Fahrholz nichts, denn diese Saison hat ihr Vorgänger Hein Mulders konzipiert. Deshalb wäre es fairer gewesen ihr einen Sechsjahresvertrag zu geben und erst in der nächsten Spielzeit eine Vertragsverlängerung zu überlegen. Allerdings kam schon ihre erste selbst geplante Saison (23/24), die sehr auf Themen wie „Frauen“ und „Unterdrückung“ ausgerichtet war, nicht gut beim Publikum an.


Die Bilanz zog Rudolf Hermes.