Mannheim: „Die lustige Witwe“

Besuchte Aufführung: 27.2.2015 (Premiere: 12.12.2014)

Unterhaltsam, aber vordergründig

Es wurde Zeit, dass am Nationaltheater Mannheim wieder einmal eine Operette auf dem Spielplan steht. Die leichte Muse ist hier in den letzten Jahren eindeutig zu kurz gekommen. Umso erfreulicher ist es, dass jetzt wieder ein Klassiker des Genres auf dem Programm steht: Franz Lehars im Jahre 1905 im Wiener Theater an der Wien uraufgeführtes Meisterwerk „Die lustige Witwe“. Mit diesem Stück kann eigentlich nichts schief gehen. Es wird immer seine Zuschauer haben. Auch an diesem Abend war das Publikum mit dem Gebotenen hoch zufrieden und spendete begeisterten Beifall.

Joachim Goltz (Danilo), Cornelia Ptassek (Hanna)

Das Ganze gestaltete sich zu einem durchaus gefälligen, unterhaltsamen Abend, dessen Personenregie von der Ballett-Vergangenheit des Regisseurs Renato Zanella profitierte, der auch für die gelungene Choreographie verantwortlich zeigte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Inszenatoren von Lehars berühmtester Operette wählt er einen anderen Weg. Wenn sich der Vorhang öffnet, fällt der Blick auf die vom Staatsbankrott bedrohte und in Schließung begriffene Pontevedrinische Botschaft, in der alle Möbel bereits in riesigen Kisten verpackt sind, bereit zum Abtransport. Lediglich das in Stein gehauene Bild des Landesvaters und eine Löwenstatue befinden sich noch an ihren Plätzen. Ansonsten weist die von Dirk Becker eingerichtete, in dunklen Tönen ausgeleuchtete Bühne keine nennenswerte Ausstattung auf; auch im weiteren Verlauf des Abends regiert die Spärlichkeit der Einrichtung. Letztlich belanglosem äußerem Prunk wird eine klare Absage erteilt, was indes nicht für die prachtvollen Kostüme von Esther Walz gilt. Die wollen sich indes nicht so recht in den eher kargen Charakter des Bühnenbildes einfügen.

Thérèse Wincent (Valencienne), Tanzensemble

Von der Regie wird die überzeugende sozialkritische Ausrichtung des Ambientes aber leider nicht aufgegriffen und weiterentwickelt, wie man zu Beginn aufgrund angerissener aktueller politischer Probleme wie die von Njegus auf die Schippe genommene Schuldenkrise Griechenlands und Danilos Erwähnung des noch immer nicht fertig gestellten neuen Berliner Flughafens erwartet hatte. Anstatt seiner Deutung eine gekonnte moderne Ausrichtung zu geben, bewegte sich Zanella sehr stark auf traditionellen Pfaden und setzte auch bei der Führung der Personen auf Altbewährtes, anstatt ihr Handeln auf psychologisch interessante neue Motive zu hinterfragen. Trotz des zeitgenössischen Rahmens, der lediglich eine gut gemeinte Behauptung blieb, handelte es sich hier mithin um eine nur auf puren Unterhaltungswert bedachte, vordergründige und das innovative Moment immer mehr ausblendende 08/15-Inszenierung. Das Versprechen des Anfangs wurde nicht gehalten. Schade.

Joachim Goltz (Danilo), Cornelia Ptassek (Hanna)

Was aber nichts daran änderte, dass sich das Auditorium köstlich amüsierte. Und man muss zugeben, dass Zanella seine Inszenierung insgesamt recht kurzweilig anlegte, heiter und mit großem Spaßpotential, wobei letzteres auch durch viel Wortwitz vermittelt wurde. So war es beispielsweise recht vergnüglich, wenn sich Rosillon in der Pavillonszene vergeblich bemühte, Valencienne ihren Keuschheitsgürtel abzunehmen. Das mehrmalige In-Ohnmacht-Fallen des Barons Zeta wirkte indes etwas übertrieben. Einmal hätte vollauf genügt. Etwas Klamauk durfte schon mal sein, aber auch Tschechow’sche Elemente. So z. B. ganz zu Beginn, wenn Hanna im schwarzen Witwen-Look vom rechten Seitenportal aus das Treiben beobachtet und dann unauffällig am Rand der Bühne entlang zum Hintergrund geht. Im dritten Akt darf sie sich auch mal kurz unter die Grisetten mischen, die von Valencienne angeführt werden. Diese und Rosillon hätten aber einer etwas schärferen Zeichnung seitens der Regie bedurft. Auch andere kleine Rollen hat der Regisseur leider etwas stiefmütterlich behandelt, sodass diese blass blieben. In dieser Beziehung waren die Gewichte nicht gut verteilt.

Insgesamt zufrieden sein konnte man mit den gesanglichen Leistungen. Cornelia Ptassek gab eine darstellerisch resolute, hübsch anzusehende Hanna, der sie eine recht aufgeweckte Note zu verleihen wusste. Und stimmlich war sie mit ihrem kraftvollen und differenzierungsfähigen Sopran wieder einmal eine Wucht. Köstlich muteten ihre Auseinandersetzungen mit Graf Danilo an, den Joachim Goltz mit sauber fokussiertem, flexiblem Bariton sang. Die für diese Rolle erforderliche Höhe steht ihm indes noch nicht ganz zur Verfügung. Im „Reitersmann“-Duett transponierte er die bis zum hohen gis hinaufgehenden Stellen um eine Oktave nach unten. In puncto Stimmkraft war ihm Sebastian Pilgrims sehr markant singender Baron Zeta überlegen. Eine gute Leistung erbrachte Thérèse Wincent in der Rolle der Valencienne, die sie mit einem trefflich sitzenden, warmen und farbenreichen Sopran ausstattete. Dagegen fiel der den Rosillon mit dünnem, nicht gerade tief fundiertem Tenor singende Ziad Nehme, der sich bei einem hohen Pianissimo-b zudem in die Fistelstimme flüchtete, deutlich ab. Bartosz Urbanowicz war ein prägnant intonierender Cascada, hinter dem der flacher singende St. Brioche von Uwe Eikötter ins Hintertreffen geriet. Einfach köstlich spielte der Schauspieler Thomas Peters den Njegus, dem er ein hohes Maß an Komik abgewann. In kleineren Partien waren Bertram Kleiner (Bogdanowitsch), Rica Westenberger (Sylviane), John Dalke (Kromow), Susanne Nederkorn (Olga), Stephan Somburg ( Pritschitsch) und Elisabeth Bauer (Praskowia) zu erleben.

Cornelia Ptassek (Hanna), St. Brioche

Joseph Trafton führte das gut disponierte Orchester des Nationaltheaters Mannheim sicher durch den Abend und vermochte insbesondere in den etwas langsameren, emotional angehauchten Passagen für sich einzunehmen. Das Spezifische von Lehars Klangsprache hat er trefflich herausgearbeitet und einfühlsam zu Gehör gebracht. Sehr schön, innig und getragen gelang ihm u. a. die Walzermusik von „Lippen schweigen“. An einigen anderen Stellen hätte man sich indes eine etwas schmissigere, prägnantere Akzentuierung gewünscht, so beispielsweise bei der Einleitung zum Finale des ersten Aktes „Damenwahl hört man rufen rings im Saal“.

Fazit: Eine durchaus lebensfähige Produktion mit solidem Unterhaltungswert, die den Besuch sicher lohnt.

Ludwig Steinbach, 2.3.2015