Meiningen: „Gianni Schicchi – Bajazzo“

Humor und Tragik liegen eng beieinander

Wiederaufnahme am 05. Oktober 2014 (Premiere 20. Juni 2014)

Eine etwas ungewöhnliche Mischung und ein Stimmenfest bewegen Meiningen

Ja, in Meiningen ist immer nicht alles so wie in anderen Opernhäusern. Wo normalerweise der „Bajazzo“ zusammen mit „Cavalleria Rusticana“ gegeben wird, oder in Zusammenhang mit „Der Mantel“ wie dieses Jahr in Gut Immling, macht Meiningen wieder einmal etwas, was man eigentlich nicht erwartet. Nicht zwei dramatische und tragische Opern mit tödlichem Ausgang werden hier zusammen gegeben, nein in Meiningen beginnt man mit der humorvollen schlanken Aufführung von Puccinis „Gianni Schicchi“ um nach dem heiteren ersten Teil nach der Pause in die schauerliche Mär des „Bajazzo“ einzutauchen. War ich anfangs auch sehr skeptisch, wurde ich auch hier wieder einmal eines Besseren belehrt. Das Haus zeigt die beiden Stücke und verweist dabei darauf, dass beide mit einer direkten Ansprache beginnen, sich beide auf die commedia dell´arte beziehen und dass beide das Spiel im Spiel beinhalten. Und dieser Balanceakt von fröhlichem Auftakt und tragischem Weitergang nach der Pause ist problemlos und wird vom Publikum begeistert aufgenommen.

Begonnen wird mit „Gianni Schicchi“, dessen Inhalt eigentlich schnell wiedergegeben ist. Der reiche Buoso Donati ist im Kreis seiner Verwandtschaft verstorben, man findet nach langem Suchen sein Testament, wie befürchtet hat er alles der Kirche vermacht. Der Neffe Rinuccio, der die Tochter Gianni Schicchi´s heiraten will, überzeugt die Familie eben diesen Gianni Schicchi um Rat zu fragen, denn dieser ist für seinen Einfallsreichtum, aber auch für seine Eskapaden bekannt. Er schlägt der Familie vor, sich selbst als Buoso Donati auszugeben, da außer der Familie noch niemand etwas von dessen Ableben weiß und dann mit einem Notar die letzten Worte aufzusetzen – und der Familie das Erbe zu sichern. Der Plan gelingt, der mit verstellter Stimme sprechende Gianni Schicchi diktiert Buosos letzten Willen. Dabei bedenkt er die Kirche nur ganz minimal und die Familie zu gleichen Teilen sehr großzügig. Die sogenannten Sahnestückchen aber vermacht er dem treu ergebenen Gianni Schicchi, also sich selbst. Die Familie muss dieser Schlitzohrigkeit tatenlos zusehen, selbst als der vermeintliche Buosos den Notar und die Zeugen von der Familie bezahlen lässt. Nachdem der Notar gegangen ist, lässt Gianni Schicchi die empörte Verwandtschaft aus seinem Haus jagen und einer Vermählung von Rinuccio mit seiner Tochter Lauretta steht nichts mehr im Weg.

Ernö Weil, der die Regie führt, hat diese kleine köstliche Gaunerei mit leichter und sicherer Hand inszeniert. Alles passt zusammen, alles stimmt und alles ergibt ein geschlossenes Bild. Die Kostüme von Annette Mey passen sich vorbildlich dieser gradlinigen und überzeugenden Regie an, alles ein bisschen düster, dem eigentlich traurigen Anlass, dem Ableben des Buoso angemessen. Das Publikum jedenfalls amüsiert sich köstlich – und das ist in unserer heutigen Zeit schon sehr viel. Arturo Alvarado ist an diesem Nachmittag bestens aufgelegt, genauso wie die Meininger Hofkapelle. Kraftvoll zupackend und sich gleichzeitig sängerdienlich zurückzunehmen, so leitet er seine Musiker in den beiden Einaktern, die er gekonnt mit dem Orchester aufblühen lässt. Er hat sowohl für die heitere Note bei „Gianni Schicchi“ als auch für die mehr sentimentale in „Bajazzo“ musikalisch immer die richtige Antwort.

Ja und über die Sänger des südthüringischen Staatstheaters in Meiningen noch viel Worte zu verlieren, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Auch bei dieser Vorstellung wieder ein Einsatz bis zum Letzten und eine bis in die letzte Nebenrolle stimmige Besetzung. Das fängt an mit Stephanos Tsirakoglou als Gianni Schicchi. Es macht einfach Spaß ihm zuzuhören. Mit durchschlagskräftigem robustem Bass-Bariton, der in der verstellten nachgemachten Stimme des Buosos Donatis für größte Heiterkeit sorgt, weiß der griechisch-amerikanische Sänger vollstens zu überzeugen. Seine Tochter wird dargeboten von der jungen türkischen Sopranistin Elif Aytekin. Mit der bekanntesten Arie der Oper „Väterchen teures höre“ bringt sie die Zuhörer, wie bei ihren bisherigen Auftritten, auf ihre Seite. Zart, mit flirrendem Ton, auch als Person eine liebliche und zarte Erscheinung, wickelt sie das Meininger Publikum wieder einmal um den Finger. Ich freue mich heute schon auf ihren Auftritt in „Don Pasquale“ und hoffe, dass sie noch lange in Meiningen bleibt. Rodrigo Porras Garulo als Neffe Rinuccio weiß mit sicherem, klangschönem und weichem Tenor für sich einzunehmen. Der junge Sänger aus Mexico City wächst mit seinen Rollen und hat sich in Meiningen aus meiner Sicht bereits erheblich gesteigert. Heute bietet er wieder eine mehr als rollendeckende Besetzung. Ute Dähne als Zita, Sonja Freitag als Nella und Ernst Garstenauer als Simone vervollständigen das ausgezeichnete Ensemble, in welchem niemand abfällt und in dem selbst die kleinste Nebenpartie rollendeckend besetzt ist.

Nach der Pause, immer noch vom vorhergegangenen fröhlich eingestimmt, beginnt der „Bajazzo“. Die Geschichte, die übrigens von Leoncavallo einer tatsächlichen Begebenheit nacherzählt sein soll, ist ebenfalls rasch erzählt. In einer kleinen Schauspielertruppe, die von Dorf zu Dorf zieht, ist der Leiter der Truppe Canio fürchterlich eifersüchtig auf seine Frau Nedda. Diese hat auch eine Liebschaft mit dem Bauern Silvio. Ein Mitglied der Truppe Tonio, versucht sich Nedda zu nähern und wird von ihr barsch zurückgewiesen. In rasender Wut schürt dieser die Eifersucht in Canio und bei einem Theaterspiel am Abend im Dorf vermischen Realität und Fiktion. Rasend vor Eifersucht tötet Canio schließlich Nedda und ihren herbeigeeilten Geliebten Silvio. Der Satz „La commedia é finita“ – „Das Schauspiel ist zu Ende“ beendet das eindrucksvolle Treiben auf der Bühne.

Regie hat hier Ansgar Haag. Er versetzt das Spiel in unserer Zeit und versucht dadurch das Spiel im Spiel um ein weiteres Spiel zu erweitern. Das Publikum hat einige Mühe dem so zu folgen, das Ganze wirkt etwas ungeschickt und nicht ganz ausgegoren. Das Bühnenbild von Helge Ullmann ist sehr spartanisch, teilweise stehen ein paar Stühle verloren auf der Bühne herum, die Kostüme von Annette Mey passen sich dem an, alles ist mehr oder weniger in dunklen Stoff gekleidet. Auf die näheren Einzelheiten zur Inszenierung möchte ich nicht weiter eingehen, denn hauptsächlich stehen die Musik und deren Interpreten im Vordergrund und da gibt es kaum einen Grund zur Klage.

Zur Leistung von Arturo Alvarado und der Meininger Hofkapelle habe ich bereits etliches ausgeführt, auch im „Bajazzo“ wissen sie voll zu überzeugen und mit feinem ausgewogenem Klang die Sänger bestens zu unterstützen. Auch der von

Sierd Quarré einstudierte Chor weiß in allen Belangen zu überzeugen, fein abgestimmt, gut balanciert weiß er zu gefallen.

Mit dem „Prolog“ tritt zu Beginn des „Bajazzo“ Dae-Hee Shin auf die Bühne und er eröffnet die Oper grandios. Der aus Südkorea stammende Bariton weiß mit fulminantem, ausdrucksicherem und durchschlagskräftigem Bariton vollkommen zu überzeugen. Weich und warm timbriert eröffnet er das Stück glanzvoll. Ebenso verkörpert er den verschlagenen und gerissenen Tonio, der Canio im Prinzip in den Mord an seiner Frau und dessen Geliebten treibt. Ein überzeugender Auftritt. Den vor rasender Eifersucht fast den Verstand verlierenden Schaustellerchef Canio, den Bajazzo gibt der in China geborene Xu Chang. Ich habe schon viel über ihn geschrieben und auch heute kann ich nur voll des Lobes sein. Er besticht mit seinem höhensicheren, klangvollen, hohen, hellen, manchmal fast schneidenden Tenor und kostet jeden höchsten Ton weidlich aus. Der Beifall des begeisterten Publikums ist ihm auch heute wieder gewiss. Als seine Frau Nedda kann Sonja Freitag überzeugen. Die aus Garmisch-Partenkirchen stammende Sopranistin setzt ihren hohen, beweglichen Sopran effektvoll ein und kann alle Facetten ihres Wesens präsentieren. Ihr Liebhaber Silvio wird auf der Bühne von Marián Krejcik dargestellt, gesanglich aber in der Loge von Uwe Schenker-Primus verkörpert. Er musste ganz kurzfristig aus Weimar einspringen, Marián Krejcik war gesanglich indisponiert, Schenker-Primus hatte kaum Zeit zum Einsingen und bot eine exzellente Leistung. Sein voller, tiefer, kräftiger, den Raum mühelos füllender Bariton verleiht der Figur eine entsprechende Tiefe, auch wenn natürlich bei den Duetten die körperliche Trennung etwas problematisch ist. Jedenfalls ganz großer verdienter Applaus für dieses hervorragend gelungene Einspringen. Ebenfalls kurzfristig eingesprungen ist David Ameln aus Dessau als Beppe und er verkörpert ihn ebenfalls rollendeckend. Beiden ein ganz großes Dankeschön, denn ohne sie hätte es große Probleme mit der Durchführung der Aufführung gegeben. Sang-Seon Won und Gerhard Goebel, vervollständigen als Bauern ebenfalls rollendeckend das gut aufgelegte Ensemble. Großer, langanhaltender Applaus für alle Beteiligten.

Manfred Drescher, 21.10.2014 Fotos alle = Foto ed Meiningen