Hamburg: „Harry Potter und das verwunschene Kind“

Premiere: 05.12.2021, Medienpremiere: 04.12.2021

Bühnenzauber in Perfektion


Es gibt das gute alte Sprichwort „Was lange währt, wird endlich gut.“. Unter diesem Motto könnte man auch die deutschsprachige Erstaufführung von „Harry Potter und das verwunschene Kind“ stellen. Wenige Tage vor der über einen langen Zeitraum geplanten Premiere kam es im März 2020 zu einer Vollbremsung für die Produktion, bei der pro Aufführung stolze 32 Darsteller auf der Bühne stehen. Rund 1 ¾ Jahr später konnte am vergangenen Wochenende in Hamburg nun endlich eine neue Reise ab dem berühmten Gleis 9 ¾ beginnen. Neunzehn Jahre nachdem Harry, Ron und Hermine die Welt von Lord Voldemort befreiten ist Hermine zur Zaubereiministerin aufgestiegen. Ihr Ehemann Ron arbeitet im familieneigenen Zauberladen und Harry ist glücklich mit Ginny verheiratet und geht seiner Arbeit im Ministerium für Zauberei nach. Gemeinsam bringen sie ihre Kinder zum Hogwarts Express, denn ein neues Schuljahr steht vor der Türe. Auf der Zugfahrt freundet sich Harrys Sohn Albus Severus mit Scorpius Malfoy an, zwei Söhne, die unter der schweren Bürde ihres Namens sichtlich zu leiden haben. Dass der magische Hut Albus dann auch noch als ersten Potter ins Haus Slytherin schickt, macht die Sache für ihn nicht leichter. Jedes Jahr aufs Neue erzählt Harry seinem Sohn von der Schönheit Hogwarts, doch für Albus wird die Fahrt in jedem Jahr zur Qual. Nachdem er ein Gespräch zwischen Amos Diggory und seinem Vater belauscht hat, bei dem sich Amos über die Ungerechtigkeit des Todes seines Sohnes Cedric beklagt, möchte Albus selbst in die Geschichte eingreifen. Hierzu überredet er seinen Freund Scorpius zur Flucht aus dem Hogwarts Express. Gleichzeitig plagen Harry wiederholt böse Träume und seine Narbe macht sich erneut bemerkbar. Offenbar ist die Schlacht noch nicht endgültig gewonnen und das Dunkle taucht an unerwarteter Stelle erneut auf. Mehr soll an dieser Stelle auch nicht verraten werden, denn J. K. Rowling, Jack Thorne und John Tiffany schufen mit „Harry Potter and the Cursed Child“ eine wirklich zauberhafte Geschichte mit vielen unerwarteten Wendungen. Man kann nur jedem Besucher empfehlen, sich vor dem Theaterbesuch nicht zu sehr mit der kompletten Gesichte des Theaterstückes auseinanderzusetzen, um sich nicht unnötig zu spoilern. Im Verlauf des Abends wird immer wieder geschickt Bezug auf die bisherigen Abenteuer genommen, allerdings ist es nicht notwendig, dass man als Zuschauer besonders großes Vorwissen besitzen müsste um das Stück zu verstehen und sich an den Wendungen erfreuen zu können.

Um an dieser Stelle auch noch mit dem ein oder anderen Missverständnis aufzuräumen, bei diesem Stück handelt es sich nicht um ein Musical, sondern um Sprechtheater in Bestform, in allen Rollen dargeboten von hervorragenden Schauspielern. Imogen Heap schuf für das „verwunschene Kind“ zudem eine sehr gelungene Musikbegleitung, die das Werk mit ganz hervorragenden Choreografien von Movement Director Steven Hoggett begleitet. Allein hierfür lohnt sich der Besuch. Als Zuschauer vermisst man auch in keiner Sekunde die altbekannte Filmmusik, im Gegenteil. Eine Stärke des Stückes ist es, dass man Harry Potter in einer eigenen Theatersprache auf die Bühne bringt und sich hierbei optisch nicht zu sehr an den erfolgreichen Filmen orientiert. Zwar orientieren sich die Kostüme Katrina Lindsay durchaus an die bisherigen Sehgewohnheiten, auch um die Rollen besser zur Geltung zu bringen, das Bühnenbild von Christine Jones setzt dagegen eigene starke Akzente. Für seine ganz zauberhafte Regie erhielt John Tiffany zu Recht einen Tony Award und einen Laurence Olivier Award für die beste Regie, insgesamt wurde „Harry Potter and the Cursed Child“ mit unzähligen Preisen in New York und London ausgezeichnet. Ganz besonders erwähnenswert sind noch die vielen Zaubertricks, die auch dem erfahrensten Theatergänger immer wieder vor Staunen den Mund offenstehen lassen (Illusion & Magie: Jamie Harrison). Sämtliche Seile, Bodenöffnungen und die weiteren üblichen „Theatertricks“ bleiben für das Auge (zumindest in den ersten Reihen des Hochparketts) absolut unsichtbar. Dazu gesellen sich spektakuläre Zaubereien und Feuereffekte, die aus den Zauberstäben schießen. Teil Eins endet mit einem spektakulärer Cliffhanger, der in dieser Form vielleicht sogar einzigartig in der Theaterlandschaft ist. Da das komplette Werk aus zwei Vorstellungen besteht, passen sich auch die Besetzungsanzeigen und die Merchandise-Stände dem Geschehen auf der Bühne an, hier lohnt sich ein entsprechender Blick. Ein Blick lohnt sich im Übrigen allgemein in das Foyer und den Theatersaal, die mit viel Liebe zum Detail gestaltet wurden. Im Foyer zieren große Patronus-Tiere die Wände, über 1.200 LED-Leuchten erinnern an die schwebenden Kerzen aus der großen Halle in Hogwarts. Im Theatersaal können sich die Zuschauer an bronzefarbenen Skulpturen an den Wänden erfreuen oder die Sitzreihe 9 ¾ entdecken.

Doch was wäre das beste Theaterstück ohne die Schauspieler, deren Namensnennung an dieser Stelle leider den Rahmen sprengen würde. Daher seinen an dieser Stelle nur Vincent Lang als Albus Potter, Mathias Reiser als Scorpius Malfoy und Markus Schöttl als Harry Potter stellvertretend für alle 32 Darsteller der Premierenbesetzung genannt. Erwähnenswert vielleicht auch noch Alen Hodzovic, der die vielschichtige Figur des Draco Malfoy ganz wunderbar auf die Bühne bringt, auch wenn man dies im Grunde für jede einzelnen Rolle sagen kann. Ein ganz großes „Bravo“ an alle beteiligten Darsteller und Darstellerinnen. Insgesamt gelingt es Mehr BB Entertainment mit „Harry Potter und das verwunschene Kind“ ein magisches Theatererlebnis zu schaffen, bei dem man während der gesamten Nettospielzeit von rund 5 Stunden gespannt die Geschichte verfolgt und in keinem Moment Langeweile verspürt. Möchte man nun unbedingt ein kleines Manko finden, sei an dieser Stelle kurz angemerkt, dass die Geschichte am Ende einen wirklich schönen Bogen zieht zu dem Moment, in dem vor vielen Jahren alles begann, als Lord Voldemort in der Halloween-Nacht des Jahres 1981 Harry Eltern ermordete. Anschließend wird allerdings der Vater-Sohn-Beziehung zwischen Harry und Albus noch recht viel Zeit gewidmet, so dass am Ende natürlich das erwartete Happy End steht, dies dann aber im Vergleich zur Produktion bis dorthin relativ unspektakulär daher kommt. Nichtsdestotrotz kann man echten Theaterfreunden (zu junge Kinder würde ich hier aber auf Grund einiger Szenen doch zwingend ausnehmen) einen Besuch dieser Produktion nur wärmstens empfehlen. Auch wenn die Preise für die beiden Vorstellungen nicht günstig sind, bekommt man hier ein Gesamterlebnis geboten, dass es in dieser Form sonst nirgendwo in Deutschland zu sehen gibt. Am Ende steht ein wahrlich magischer Theaterabend, den man ganz sicher sehr lange in bester Erinnerung behalten wird.

Markus Lamers, 06.12.2021
Fotos: © Manuel Harlan (Show) / Jochen Quast (Theatersaal)