13. Oktober 2019 im Theater Lüneburg
Die Lüneburger Philharmoniker spielen französische Romantik
Es ist eigentlich recht einfach, sich an einem großen Haus einen Musikgenuss zu verschaffen. Unsere Erfahrungen sind aber, dass die jungen und noch hungrigen Musikschaffenden vor allem an den kleineren Häusern zu finden sind, wo ihnen Autoritäten nicht im Wege stehen.
Die Ankündigung des ganz eigenen Klangs der französischen Musik der Romantik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hatte uns am 13. Oktober 2019 zum 2. Saison-Konzert der Lüneburger Symphoniker „Le savoir-vivre“ in das Theaterhaus mit seinen 542 Plätzen nach Norddeutschland gelockt.
Kompositionen von Camille Saint-Saëns, Erik Satie, Claude Debussy und Charles Gounod standen auf dem Programm. Dirigiert wurde das Konzert von dem jungen 1988 in Lübeck geborene Ulrich Stöcker, der seit der Spielzeit 2017/18 am Theater Lüneburg als „Erster Kapellmeister“ engagiert ist. Als Solistin hatten die Lüneburger Symphoniker die junge, hochbegabte Harfenistin Lea Maria Löffler gewonnen.
Das „Morceau de conzert für Harfe und Orchester op. 154“ von Camille Saint-Saëns (1835-1921) ist 1918 als eines von drei Konzertstücken als unkonventioneller Beitrag zum Konzertleben komponiert worden. Nach einer hinreißenden Einführung folgen Variationen eines russischen Themas. Die Episoden zwischen Solistin und Orchester wurden von Ulrich Stöcker perfekt ausbalanciert. Die Zurückhaltung des Orchesters lassen die zarten Harfenklänge im Vordergrund.
Den komplizierten Orchesterexzessen seiner Zeit wollte der Außenseiter Erik Satie (1866-1925) schlichte Formen entgegensetzen. Er war es auch, der als erster in Frankreich gegen Richard Wagner rebellierte und seine Kollegen aufforderte, zur Abwechslung mal eigene Wege zu gehen. Ob seiner Verstocktheit und seines Sarkasmus wurden seine genialen Einfälle für Zufälle gehalten. So auch seine „Gnossiennes“, sechs etwa um 1893 geschriebene Klavier-Solokompositionen. Der Begriff „Gnossiennes“ ist eine Schöpfung Saties und möglicherweise von einer Sektenverstrickung und seiner Beschäftigung mit der kretischen Mythologie abgeleitet.
Satie gilt als Vorreiter des Klingeltones. Seine Musik wurde in über einhundert Filmen verwendet. Nachdem im Nachlass Saties bereits Skizzen einer Orchestrierung der dritten Gnossienne aufgefunden worden waren, hat 1939 Francis Jean Marcel Poulene (1899-1963) die Komposition dem Konzertsaal geöffnet. Mit seiner nur wenige Minuten dauerte Satie-Interpretation gelang es Stöcker, sein Publikum doch zu verblüffen und mitzureißen.
Im Pariser Instrumentenbauer-Konstrukt hatten sich im 19. Jahrhundert zwei der Firmen mit der Weiterentwicklung der herkömmlichen diatonischen Harfe beschäftigt und ihre neuen Modelle auf dem Markt etabliert. Der Konkurrenzkampf wurde in den Medien und im Konzertsaal geführt. So wurde 1904 Claude Debussy (1862-1918) vom Instrumentenbauer Pleyel beauftragt, die „Deux Danses für chromatische Harfe und Streichorchester“ zu komponieren. Debussy schrieb zwei Tänze: den „Danse sacrée“ und den „Danse profane“. Dabei geht der geistliche Tanz ohne Pause in den weltlichen Tanz über.
Erard konnte dann 1905 Maurice Ravel gewinnen, dessen „Introduktion et Allegro für Harfe, Streichquartett, Flöte und Klarinette“ zur Aufführung mit seiner Doppelpedal-Harfe vorzustellen. Letztlich entschieden aber die Musiker und setzten diese als übliche Konzertharfe durch. Mithin hörten wir Debussys „zwei Tänze“ von Lea Maria Löffler auf einer Doppelpedal-Harfe gespielt, begleitet von den 21 Streichern der Lüneburger Symphoniker. Obwohl die Kompositionen Debussys mittlerer Schaffensperiode zuzurechnen sind und parallel zu so wichtigen Werken wie „La Mer“ entstanden, haben sie eine einfache Tonsprache. Dem Anliegen der Arbeit als Werbebote eines Harfen-Modells zu entsprechen, hatte Debussy die klanglichen Möglichkeiten des Instruments voll ausgereizt, dem Solo einen besonders breiten Raum eingeräumt und eine eingängige melodisch-harmonische Gestaltung gewählt. Der „Danse sacrée“ wurde von Lea Maria Löffler weich und ausdrucksvoll dargeboten, während der „profane Tanz“ im ¾-Takt recht beschwingt und etwas kullernd daher kam. Ulrich Stöcker mischte sich in das Geschehen kaum ein und konzentrierte sich, die Streicher im Hintergrund zu halten.
Mit einer Zugabe präsentierte die Harfenistin ihre prachtvolle Virtuosität.
Dass Charles Gounod (1818-1893) zu den fruchtbarsten Komponisten seiner Zeit gehörte, ist uns dank seiner zwölf Opern, der Vielzahl von Oratorien und Streichquartetten bekannt. Aber als Sinfoniker war er uns kein Begriff. Gounod, mit den Geschwistern Mendelssohn befreundet, hatte auf einer Reise von Rom nach Berlin 1843 in Leipzig Station gemacht, wo zu dieser Zeit Felix in den Kantoreien von St. Thomas und St. Johanni den Nachlass des nahezu vergessenen Johann Sebastian Bach sichtete und für die Nachwelt erschloss. Heute lagern diese Schätze exakt dokumentiert in den klimatisierten Räumen des Bacharchivs. Stundenlang haben die beiden Freunde auf der Orgel der Thomas-Kirche Bach gespielt. Für Gounod öffnete sich ein völlig neuer musikalischer Horizont, von dem vor allem das etwas grenzwertige „Ave Maria“ bekannt ist. Der Gewandhauskapellmeister Mendelssohn machte Gounod aber auch mit seiner „Schottischen Symphonie“ bekannt. Die Begeisterung Gounods für die deutsche Instrumentalmusik führte ihn in den Jahren 1855 und 1856 zur Komposition seiner beiden Symphonien. Eine spätere dritte blieb unvollendet. Diese Arbeiten waren aber für das französische Musikleben letztlich ungeeignet, weil sich dieses im Wesentlichen auf die Oper konzentrierte. Hinzu kommt, dass er in Aufbau und thematischer Verarbeitung auf die deutschen Klassiker und Frühromantiker zurückgriff. Seine Symphonie in D ist handwerklich gut gearbeitet und im besten Sinne unterhaltsam. Bemerkenswert ist vor allem der zweite Satz, in dem Gounod mit barocken und altertümlichen Wendungen spielt, zugleich aber auf den langsamen Satz in Mendelssohns „Italienischer Symphonie“ anspielt. Die Variation in der Mitte des Satzes mutet wie eine Huldigung an Bach an.
Beim Dirigat der D-Dur Symphonie Gounods stützte sich Ulrich Stöcker auf die sichere Basis der Violinen, die federnd den Ton angaben. Die Herausforderung der gehäuft auftretenden Bläser-Soli wurde von den Lüneburger Musikern respektabel gemeistert, auch wenn das Zusammenspiel mit den Streichern zum Teil etwas kantig wirkte. Besonders lebhaft gelangen die schnellen Sätze. Das Allegro molto strömte regelrecht, während das Scherzo eher tänzerisch daher kam. Die konzentrierten Ansagen des noch jungen Dirigenten wurden von den Musikern freudig aufgenommen und zur Geltung gebracht. Das gewichtige neunminutige Finale ließ Stöcker zunächst streng und fast zögerlich einleiten, bis dann der Hauptteil fröhlich und munter geboten wurde, ohne über das Ziel hinaus zu schießen. Da schimmert bereits eine heranreifende Meisterschaft durch.
Die Lüneburger Stammhörernahmen das außergewöhnliche Konzertdifferenziert auf. Kurios war, dass nach dem ersten Satz der Symphonie Beifall aufkam, weil offenbar nach den kurzen Stücken des ersten Konzert-Teiles ein mehrsätziges Werk kaum erwartet worden war.
Thomas Thielemann, 15.10.2019
Autoren der Bilder: Orchester und Ulrich Stöcker
Jochen Quast
Lara Maria Löffler