Nein, ein „Opernhaus des Jahres“ können wir nicht küren. Unsere Kritiker kommen zwar viel herum. Aber den Anspruch, einen repräsentativen Überblick über die Musiktheater im deutschsprachigen Raum zu haben, wird keine Einzelperson erheben können. Die meisten unserer Kritiker haben regionale Schwerpunkte, innerhalb derer sie sich oft sämtliche Produktionen eines Opernhauses ansehen. Daher sind sie in der Lage, eine seriöse, aber natürlich höchst subjektive Saisonbilanz für eine Region oder ein bestimmtes Haus zu ziehen. Nach der Semperoper Dresden blicken wir auf die Deutsche Oper Berlin. Weitere Bilanzen sollen folgen.
Beste Produktionen:
Leider keine szenischen, sondern „Lakmé“ und „Hérodiade“ in konzertanter bzw. halbszenischer Form.
Bestes Dirigat:
Enrique Mazzola für „Hérodiade“ ,
Sir Donald Runnicles für „Arabella“ .
Größter Reinfall:
Die Regie von Vasily Barkhatov zu „Simon Boccanegra“ ,
die Regie von Tobias Kratzer zu „Arabella“ .
Beste Chorleistung:
Jeremy Bines in Bachs „Matthäus-Passion“ .
Beste Sänger (Hauptpartie):
Clémentine Margaine als Hérodiade,
Alexander Vinogradov als Zaccaria in „Nabucco“ .
Beste Sängerin (Nebenrolle):
Sua Jo als Marzelline in „Fidelio“ und junge Babylonierin in „Hérodiade“ .
Bestes Bühnenbild:
Nina Wetzel zu Battistellis „Il Teorema di Pasolini“ .
Größtes Ärgernis:
Unabhängig davon, in welcher Zeit und an welchem Ort eine Oper spielt, die hässlichen Kostüme und die austauschbare Bühne stammen immer aus einem Zeitabschnitt des 20. Jahrhunderts, in dem erstere besonders hässlich bis verunstaltend waren. Die Eliminierung der historischen und geographischen Dimension lässt das Opernpersonal, das sich im Outfit und der Architektur des 20. Jahrhunderts mit den Problemen von Göttern, Rittern, Priestern und Sklaven herumschlagen muss, uninteressant werden und lächerlich erscheinen, und das von einer Produktion zur nächsten und unaufhörlich immer wieder. Die Musik wird zum Fremdkörper.
Die Bilanz zog Ingrid Wanja.