Seit der Wiederentdeckung der verloren geglaubten Originalpartitur von Paul Abraham erobert Roxy und ihr Wunderteam die Bühnen im Sturm. Die Erstaufführung der bühnenpraktischen Rekonstruktion von Henning Hagedorn und Mathias Grimminger fand 2014 an der Oper Dortmund statt. Es folgten Produktionen am Staatstheater Augsburg (2017), an der Komischen Oper Berlin (2019), an der Wiener Volksoper (2021), an der Bühne Burgäschi (2022) und schließlich im November 2024 im österreichischen Murau. 2025 ist eine konzertante Aufführungsserie in Graz geplant und sicher werden weitere folgen.
Roxy und ihr Wunderteam ist die deutsche Fassung der im Jahr zuvor in Budapest uraufgeführten Operette 3:1 a szerelem javárada. Da man in Österreich 1937 besser Fuss- als Wasserball spielte, wurde kurzerhand die Sportart gewechselt. So entstand die erste Fußball-Operette der Geschichte. Bei der Uraufführung dieser Vaudeville-Operette im Theater an der Wien war die österreichischen Fußball-Nationalmannschaft anwesend. Kurz darauf musste Paul Abraham Wien und auch Budapest verlassen und emigrierte über Paris und Kuba nach New York. Die Operette wurde mit Hans Holt und Rosy Barsony und Fußballspielern, wie beispielsweise Matthias Sindelar, dem Kapitän des legendären österreichischen Wunderteams der 1930er-Jahre, verfilmt.
Da der Inhalt in diesem Fall sicher auch vielen Operettenkennern nicht geläufig ist, folgt eine kurze Zusammenfassung: Die ungarische Fußball-Nationalmannschaft hat in London gerade über das englische Nationalteam gesiegt. Auf der Flucht vor ihrem Bräutigam Bobby steht plötzlich die Engländerin Roxy im Hotelzimmer der Fußballer. Trotz Einspruch des Mannschaftskapitäns nehmen die Fußballer das Mädchen kurzerhand mit ins Trainingslager. In Ungarn angekommen, erfährt das Fußballteam, dass auch noch Schülerinnen eines Mädchenpensionats mit ihrer strengen Lehrerin im Landhaus untergebracht sind. Der Mannschaftskapitän ist über die weibliche Präsenz wenig begeistert, obwohl ihm die selbstbewusste Roxy durchaus gefällt. Bei einer gemeinsamen Feier der Fußballer mit den Schülerinnen erscheinen plötzlich Roxys Bräutigam Bobby und ihr Onkel Sam. Um sich aus der peinlichen Situation zu retten, verkündet Roxy ihre Verlobung mit dem soeben eintreffenden Verbandspräsidenten Baron Szatmary, der sich amüsiert auf das Spiel einlässt.
Nach den Ereignissen am Plattensee haben die nach Budapest zurückgekehrten Pensionats Schülerinnen Hausarrest. Roxy bleibt bei ihnen und teilt ihr Schicksal. Die Fußballer kommen einer nach dem anderen als Mädchen verkleidet ins Pensionat. Zwischen dem Mannschaftskapitän Gjurka und Roxy gibt es wieder Streit. So müssen die Mädchen das Rückspiel der ungarischen Mannschaft gegen die Engländer im Radio verfolgen. Aber als es zur Halbzeit 1:0 für England steht, reißen Roxy und die Mädchen aus, um ihre Jungs direkt im Stadion anzufeuern. Dank dieser tatkräftigen Unterstützung wendet sich das Spiel für die ungarische Mannschaft, aber auch für Roxy und Gjurka. Im allgemeinen Siegestaumel finden sie endlich zueinander.
Musikalisch bietet Paul Abraham mit diesem Werk allerfeinste Unterhaltung. Swing, opulente Filmmusiken, sowie ungarische und Wiener Operette vermischen sich hier zu einem umfangreichen akustischen Ohrenschmaus.
Das Ensemble des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters ist an diesem Premierennachmittag (Sonntag um 16:00 Uhr ist eine ungewöhnliche, aber auch sehr angenehme Uhrzeit) bestens aufgelegt und lässt keine Wünsche offen. Meines Erachtens sollte der NDR eine der Vorstellungen in seinem Programm übertragen, oder ein CD-Label eine Aufnahme dieser Produktion des Landestheaters veröffentlichen, denn die halbszenische Aufführung ist mit ihren gut eineinhalb Stunden Spieldauer (zzgl. Pause) von idealer Länge und dazu noch perfekt besetzt. Für die szenische Einrichtung, die in Kostümen von Jakov Sladojević aber ohne Bühnenbild gezeigt wird, zeichnet sich Maximilan Eisenacher aus. Zahlreiche Nebenrollen wurden gestrichen und das Geschehen wird erzählerisch durch einen Conférencier gestrafft. Dieser wird von einem Urgestein des norddeutschen Privatradios, Carsten Kock, gegeben. Eine ungewohnte Rolle für den ansonsten aus dem Bereich Politk bekannten Moderator des Senders R.SH. Mit Charme und sonorer Stimme führt er durchs Geschehen und im Laufe der kommenden Aufführungen wird seine leichte Anspannung noch weichen. Urkomisch ist die Szene, in der er für Roxy und Ilka selbst zum Radio mutiert. Das gesamte Ensemble ist spielfreudig, meistert die szenischen Aufgaben mit einer großen Portion Humor, aber nimmt das Sujet ernst und agiert mit dem nötigen Respekt vor dem Werk. Das Ergebnis ist auch szenisch beste Unterhaltung ohne Abdriften zum Klamauk.
Talya Lieberman als quirlige Roxy sticht neben den ebenfalls brillanten Herren Kai-Moritz von Blanckenburg als ihr Onkel Sam Cheswick und Christian Alexander Müller als Mannschaftskapitän Gjurka Karoly besonders hervor. Köstlich sind auch Philipp Franke als Tormann Jani Hatschek, Dritan Angoni als Géza Alpassy und Mikolaj Bońkowski als Arpad Balindt. Respekteinflößend gestaltet Itziar Lesaka die Direktorin des Mädchenpensionats und keck und von jugendlicher Frische geprägt, gibt Małgorzata Rocławska die Schülerin Ilka Pirnitzer. Da alle Solisten durch Mikroports unterstützt werden, können sie sich einerseits stets gut gegen das im Bühnenhintergrund platzierte und gar nicht leise Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester behaupten, aber auch viele Passagen subtiler und differenzierter gestalten, als wenn Sie ihre Opernstimmen stets voll aussingen müssten. Doppelte Freude beschert auch Generalmusikdirektor Harish Shankar am Pult. Zum einen sorgt er für stets spritzige Tempi, zum anderen ist es auch ein großer optischer Spaß, wie er teilweise beinahe tänzelnd seine Musiker durch den Abend führt. Der Chor des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters, einstudiert von Avishay Shalom, trägt ebenfalls maßgeblich zum gelungenen Nachmittag bei.
Eine echte Mannschaftsleistung eben!
Marc Rohde, 16. November 2024
Roxy und ihr Wunderteam
Vaudeville-Operette in drei Akten von Paul Abraham
Schleswig-Holsteinisches Landestheater
Premiere am 15. Dezember 2022 in Flensburg
Szenische Einrichtung: Maximilian Eisenacher
Musikalische Leitung: Harish Shankar
Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester