Zu einem gelungenen Opernabend geriet die Neuproduktion von Sergej Prokofjews Oper Der Spieler an der Stuttgarter Staatsoper. Das Werk beruht auf Dostojewski gleichnamigem, 1866 erschienenem Roman, der zahlreiche autobiographische Züge des russischen Schriftstellers aufweist. Dieser war eine ausgeprägte Spielernatur. Auf einer Erholungsreise durch Deutschland kam Dostojewski auch nach Wiesbaden, wo er das Roulette-Spiel kennenlernte. Im Folgenden verlor er in Wiesbaden und auch an anderen Orten wie Baden-Baden horrende Summen beim Spiel.

Aus diesen negativen Erfahrungen schuf er indes einen seiner besten Romane Der Spieler, in den er seine beim Spiel gemachten Erfahrungen einfließen ließ. Dieser von persönlichen Erlebnissen Dostojewskis geprägte Roman geht ganz schön unter die Haut. Kein Wunder, dass auch Sergej Prokofjew von dem Buch sehr angetan war und beschloss, es zu einem Opernstoff zu machen, für den er selbst das Libretto verfasste. Der Abschluss der Komposition erfolgte im Jahre 1917. Prokofjew war damals 26 Jahre alt. Die damaligen politischen Verhältnisse in Russland, so die Oktoberrevolution, standen einer Aufführung des Spielers allerdings im Wege. Die Uraufführung des Werkes war nach einer Umarbeitung durch den Komponisten erst im Jahre 1929 am Theátre de la Monnaie in Brüssel in französischer Sprache. Im Folgenden gab es nicht allzu viele Produktionen des Spielers. Nach und nach prägte sich das Stück indes immer mehr dem musikalischen Bewusstsein ein. Vor kurzem noch machte eine Produktion der Salzburger Festspiele nachhaltig auf sich aufmerksam. Nun also präsentierte die Stuttgarter Staatsoper dieselbe Oper, und das mit großem Erfolg. Was einem an diesem Abend geboten wurde, war hochrangiges Musiktheater. Aber für derartige Raritäten hat die Stuttgarter Staatsoper ja schon immer ein gutes Händchen gehabt. Den Spieler in den Spielplan aufzunehmen, war jedenfalls eine gute Entscheidung.

Vollauf gelungen war die Inszenierung von Axel Ranisch in Saskia Wunschs Bühnenbild und den Kostümen von Claudia Irro und Bettina Werner. Ausgangspunkt für seine szenische Deutung war für Ranisch die Überlegung, dass es auf der Erde für die Menschen angesichts vieler Katastrophen nicht mehr angenehm ist und sie deshalb fremde Planeten kolonialisieren. Es war ein sehr futuristisches Konzept, mit dem der Regisseur hier aufwartete. Dieses ging dennoch voll auf. Das fiktive Roulettenburg, in dem sich die Handlung abspielt verortete das Regieteam auf dem Mars. Das Bühnenbild wurde von einem riesigen Roulette dominiert, das von Anfang an präsent war. Während der ersten drei Akte steckte es zur Hälfte im Boden. Im vierten Akt war es dann ganz zu sehen. Gespielt wurde aber auf nicht gerade traditionelle Weise. Genüsslich ergingen sich Chor und Solisten auf der Oberfläche des Roulettes und kamen ihrer Spielsucht damit auf sehr unkonventionelle Weise nach. Das Rollen der Roulette-Kugeln war nur im Orchester hörbar. Die kleinen Rollen der Spieler waren dabei teilweise mit den Sängern der bisher aufgetretenen Charaktere und Chorsolisten besetzt. Dieses fiktive Roulettenburg gemahnte stark an das in der Wüste liegende Las Vegas. Der Hintergrundprospekt stellte ein Gebirge dar, vor dem sich auch einmal eine Rakete in die Lüfte erheben durfte.
Hier versammelten sich Personen, denen es aufgrund der finanziellen Unterstützung von Milliardären auf der Erde gelungen war, diese zu verlassen und auf dem Mars ein neues Zuhause zu finden. Sehr sympathisch wirkten sie aber nicht. Der Egoismus prägte sie nach wie vor. Sämtliche Personen handelten nur zu ihrem eigenen Vorteil. Sie machten den Eindruck von ausgemachten Exzentrikern, die es nur auf Geld und Reichtum abgesehen haben. Roulettenburg war von den Exilanten, die den Katastrophen auf der Erde entkommen waren, als neue Form einer besseren Menschheit konzipiert. Dieser Schuss ging indes nach hinten los. Dieses ursprünglich ach so hehre Vorhaben scheiterte auf der ganzen Linie. Gekleidet waren diese Menschen überaus komisch. Einige der Solisten wirkten recht tuntenhaft.

Das galt insbesondere für den General und den Marquis, deren Aufmachungen herrlich die Lachmuskeln strapazierten. Schmunzeln war in dieser Produktion ausdrücklich erlaubt. Ebenfalls köstlich anzusehen waren die Bärtierchen, die hier als Diener der Herrenschicht fungierten. Hierbei handelt es sich eigentlich um mikroskopisch kleine und sehr possierliche Gesellen, wie Ranisch auf S. 22 des Programmheftes ausführt. In der Stuttgarter Inszenierung waren es normalgroße Frauen mit stark bandagierten Köpfen. Ständig huschten die Bärtierchen rege über die Bühne und kamen gewissenhaft ihrer Aufgabe nach. Damit bekam Ranischs Regiearbeit einen etwas grotesken Anstrich.
Im Zentrum des Geschehens standen Alexej und Polina, die von Ranisch gut gezeichnet waren. Ständig lieferten sie sich ausgemachte Schlagabtausche, die nicht weit von körperlicher Gewalt zu sein schienen. Der Regisseur intendierte damit pubertäre Rollenspiele, die durchaus extrem sein können (vgl. Programmheft S. 16). Das ist ihm insgesamt trefflich gelungen. Insbesondere seine Deutung von Alexej als geradezu Besessenem war ausgesprochen überzeugend. Er erzählt das Ganze aus der Perspektive von Polina. Um dies zu verdeutlichen, hat er dem Ganzen einen Prolog vorausgestellt, der ganz Polina gehörte. Man merkte bereits hier, dass sie sich auf der Suche nach etwas befand, man wusste aber noch nicht, nach was sie suchte. Wohl nach der echten, aufrichtigen Liebe. Diese schien sie in Alexej gefunden zu haben – oder auch nicht, wie sich am Ende, an dem sie ihn rigoros abwies, herausstellte. Auch der Marquis, der hier noch eine sexuelle Jungfrau darstellte und Polina erotisch zugetan war, war wohl nicht der Richtige. Aber vielleicht Mr. Astley? Das konnte durchaus sein. Jedenfalls lieferte der Regisseur einige Anhaltspunkte für eine Beziehung zwischen Polina und Mr. Astley. Die Antwort darauf blieb Ranisch schuldig. Den Schluss ließ er diesbezüglich offen.
Am Pult des vorzüglich disponierten Staatsorchesters Stuttgart waltete der designierte GMD der Stuttgarter Staatsoper Nicholas Carter mit Bravour seines Amtes. Die seltenen Melodiebögen wurden von ihm schön herausgestellt. Ansonsten setzte er ganz in Einklang mit den Intentionen Prokofjews auf eine Betonung des Parlando Mäßigen, wobei er zudem mit einer hervorragenden Rhythmik aufwartete. Die von ihm angeschlagenen Tempi waren recht zügig. Aus alledem resultierte ein intensives, prägnantes Klangbild.

Darstellerisch voll überzeugend gab Daniel Brenna den Alexej. Sein Spiel war von enormer Kraft und Leidenschaft geprägt. Leider vermochte er gesanglich nicht in gleicher Weise zu gefallen. Sein eigentlich kräftiger Tenor saß stark in der Maske und wies nicht die erforderliche Körperstütze auf. An der Leistung von Ausrine Stundyte in der Partie der Polina gab es von der schauspielerischen Seite her angesichts ihres fulminanten Spiels ebenfalls nichts auszusetzen. Gesanglich vermochte sie in erster Linie durch eine kraftvolle, volltönende Mittellage für sich einzunehmen. In der von einigen Schärfen geprägten Höhe ging sie indes manchmal vom Körper weg, was eine unstete Tongebung zur Folge hatte. Einen bestens fokussierten, sonoren Bass brachte Goran Juric für den General mit. Äußerlich einfach köstlich anzusehen war der Marquis von Elmar Gilbertsson, der auch solide, wenn auch nicht außergewöhnlich, sang. Véronique Gens machte aus der Babulenka keine keifende Alte, sondern eine gutaussehende, noch junge Frau mit einem vorbildlich sitzenden, tiefgründig klingenden Sopran. Klangschön und profund präsentierte sich Shigeo Ishinos Mr. Astley. Voll und rund sang Stine Marie Fischer die Blanche. Von dem basskräftigen und mit schöner italienischer Technik singenden Peter Lobert als Baron Wurmerhelm hätte man gerne noch mehr gehört. Größtenteils solide waren die kleinen Nebenrollen. Der von Manuel Pujol einstudierte Staatsopernchor Stuttgart machte seine Sache tadellos.
Ludwig Steinbach, 24. Februar 2025
Der Spieler
Sergej Prokofjew
Staatsoper Stuttgart
Premiere: 2. Februar 2025
Besuchte Aufführung: 23. Februar 2025
Inszenierung: Axel Ranisch
Musikalische Leitung: Nicholas Carter
Staatsorchester Stuttgart