








Lieber Opernfreund-Freund,
ich habe in der vergangenen Saison insgesamt 43 Opernabende besucht und über die meisten davon im OPERNFREUND berichtet. Meine Highlights, Enttäuschungen und Ärgernisse teile ich nun gerne mit Ihnen:
Beste Produktion (Gesamtleistung):
Die toten Augen (d‘Albert) am Theater Gera
Das kleine Haus hat d’Alberts vielschichtiges Meisterwerk dem Vergessen entrissen und als überzeugende Ensembleleistung in der düster-verheißenden Regie von Hauschef Kay Kuntze zurück auf die Bühne gebracht. Ein Volltreffer auf ganzer Linie!
Größte Enttäuschung:
Der fliegende Holländer am Staatstheater Wiesbaden
Der neue Holländer, den die beiden Intendantinnen Dorothea Hartmann und Beate Heine als Ersatz für die erfolgreiche und beliebte Regiearbeit von Michiel Dijkema auffahren, überzeugt nicht. Das Damenduo ignoriert den Publikumswillen, Regisseur Martin G. Berger verhebt sich mit seiner verkopften und konstruierten Lesart. Da können auch Tommi Hakala und Dorothea Herbert als exzellente Besetzung nichts mehr retten.
Entdeckung des Jahres:
Der ferne Klang in Osnabrück
Das Trüffelschwein namens Theater Osnabrück hat mit Franz Schrekers monumentaler Oper Der ferne Klang ein spätromantisches Juwel gefunden und in der so nüchternen wie überzeugenden Regie von Jakob Peters-Messer auf Hochglanz poliert. Ein ausverkauftes Haus belohnt diesen Mut!
Beste Gesangsleistung (Hauptpartie):
Josy Santos als Adalgisa in Norma in Antwerpen
Die brasilianische Mezzosopranistin Josy Santos gestaltet die Adalgisa bei ihrem Rollendebüt in Antwerpen konzertant schon dermaßen farbenreich und überzeugend, dass ich es nicht erwarten kann, sie diese Rolle einmal spielen zu sehen.
Beste Gesangsleistung (Nebenrolle):
Dominic Barberi in Der ferne Klang in Osnabrück
Ensemblemitglied Dominic Barberi war mir schon in Osnabrücks Luisa Miller aufgefallen. In Schrekers Der ferne Klang stellt er mit der Gestaltung von zwei so unterschiedlichen Rollen wie dem Wirt und Rudolf seine stimmliche Wandlungsfähigkeit unter Beweis und überzeugt in beiden Partien mit ausdrucksvollem Bass.
Nachwuchssänger des Jahres:
Hongyu Chen in Rigoletto auf Schloss Braunfels (Rigoletto)
Sich als Gewinner eines Gesangswettbewerbs ausgerechnet den Rigoletto als Wunschpartie auszusuchen, klingt nach einem Himmelfahrtskommando eines jungen Sängers. Was der aus der Inneren Mongolei stammende Bariton Hongyu Chen dann aber auf Schloss Braunfels abliefert, zeugt von einer künstlerischen Reife, die man einem jungen Sänger nicht zutraut, und macht neugierig auf mehr!
Rollendebüt des Jahres:
Rachele Stanisci in La Wally in Cagliari (Wally)
Rachele Stanisci lässt mich mit ihrem Wally-Debut im Sardinischen Cagliari die berührendsten Opernmomente der Saison erleben. Gerade im direkten Vergleich mit der Zweitbesetzung wird deutlich, wie viel Seele die Italienerin in ihr Rollenportrait legt und über wie viele Facetten ihr ausdrucksstarker Sopran verfügt.
Überzeugendste Ensembleleistung:
Les Pêcheurs de perles in Hof
Dass es von Bizet mehr Hörens- und Sehenswertes als seine Carmen gibt, stellt das Hofer Ensemble mit den Perlenfischern unter Beweis, allen voran die drei Hofer Ensemblemitglieder Annina Olivia Battaglia, Minseok Kim und Andrii Chakov mit ihren überzeugenden Rollendebüts.
Beste Wiederaufnahme:
Salome in Bremen
Ulrike Schwabs wirre Version von Richard Strauss‘ Salome wird auch in der Wiederaufnahme nicht klarer, doch Yannick-Muriel Noah in der Titelrolle, Elias Gyungseok Han als Jochanaan und Nadine Lehner als vielschichtige Herodias machen das Werk zusammen mit Stefan Klingele am Pult zum Erlebnis.
Beste Regie:
AGORA in Aachen (Ernani)
Das Musiktheaterkollektiv AGORA gibt mit seiner unkonventionellen Version von Verdis Ernani nicht nur einen Überblick über die Geschichte der Inszenierung von Musiktheater und bringt die Oper in die Stadt zu den Menschen und damit die Menschen ins Theater – es zeigt, wie die Zukunft von Musiktheaterregie aussehen kann, die die Zuschauer begeistert.
Bestes Bühnenbild/beste Kostüme:
Ersan Mondtag (Salome in Gent)
Regisseur Ersan Mondtag krönt seine sinnfällige Salome-Version in Gent mit einem brutal-wuchtigen Bühnenbild und an Skurrilität grenzende Kostüme und zieht damit das Publikum in den Sog, den Strauss‘ Meisterwerk auch nach fast 120 Jahren noch entfalten kann.
Größtes Ärgernis:
Inflationäre Standing Ovations, sobald sich der Vorhang zum Schlussapplaus hebt. Völlig undifferenziertes Bejubeln mindert den Jubel für den Einzelnen – und nimmt dem Hintermann die Sicht.
Es reiste für Sie Jochen Rüth.