Im Rahmen der „Dresdner Strauss-Tage 2023“ dirigierte Cornelius Meister. „Der Rosenkavalier“ ist eine jener neun Opern, die Richard Strauss (1864-1949) von seinem älteren Freund Ernst von Schuch (1846-1914) am 26. Januar 1911 in Dresden hat uraufführen lassen. Das Uraufführungs-Konzept der über längere Zeit noch gespielten Inszenierung stammte von Max Reinhardt (1873-1943). Seine Inszenierung der Strauss-Oper für die Dresdner Semperoper des Jahres 2000 wollte Uwe Eric Laufenberg als eine Verbeugung vor der Uraufführungs-Ausstattung des Werkes von Alfred Roller (1864-1935) gestaltet wissen. Dementsprechend waren die Bühnenbilder von Christoph Schubinger und die Kostüme von Jessica Karge klassizistisch strukturiert.
Die Grundidee Laufenbergs war eine Gegenüberstellung der überlebten Umstände der Habsburger Monarchie der Entstehungszeit der Oper mit den hereinbrechenden Entwicklungen des neuen Jahrtausends. Mit einem ironisch gebrochenen Spiel von Rosenkavaliers-Konventionen mit einer Annäherung an unsere Gegenwart gelang Laufenberg eine erfrischende Lesart des Stoffes von Hugo von Hofmannsthal (1874-1929). Seine Inszenierung bleibt nach fast einen Vierteljahrhundert weiterer gesellschaftlicher Entwicklung, unabhängig ob sie einem gefällt, in der 69. Aufführung noch immer erlebenswert. Die unterschiedlichen Stilelemente der Musik wurden von Laufenberg in der weitgehend konventionellen Inszenierung mit einer gekonnt-intimen Personenführung, die zwischen Melancholie und Komik, zwischen Abstraktion und Emotionalität irisiert, verbunden.
Wie eine großangelegte symphonische Dichtung mit Gesang entwickelte Cornelius Meister ein prächtig aufgefächertes Klanguniversum und entwickelte mit seiner außergewöhnlichen Klarheit der Musikalischen Leitung die Grundlage für den Erfolg des Abends. Er spürte mit Akribie den musikalischen Feinheiten der Komposition nach und ließ die Sächsische Staatskapelle sanft und durchsichtig mit ihrem charakteristischen dunklen Klang musizieren. Zu seinen Stärken gehörten die präzisen Einsätze der Musiker-Solisten der Staatskapelle, was zur eindrucksvollen Entfaltung der Symphonischen Segmente der Tondichtung beitrug. Gleichsam verfügte sein Dirigat über das Gespür für das Wort-Ton-Verhältnis der Oper, so dass die zweideutigen Anspielungen des Librettos, die mit Ironie ein Wechselspiel zwischen Singenden und den Instrumentalgruppen aufbauten, zur Wirkung kamen. Cornelius Meister ermöglichte in jeder Phase, dass die Sänger sich voll entfalten konnten, die Musik großartig aufblühte und die Oper zu einem Rausch voll großer Harmonie und Vitalität wurde.
Zum hervorragend aufgelegten Orchester wurde mit einen Traumbesetzung von Sängerinnen und Sängern aufgewartet. Die Marschallin von Camilla Nylund war die vornehme, erfahrene und souveräne Persönlichkeit mit einer Spur von Humor. Mit ihrer wunderbaren Stimme, klaren Diktion und guter Textverständlichkeit ist sie derzeit die wahrscheinlich bestmögliche Kombination aus schöner Stimme und überzeugender Darstellung dieser Rolle.
Die französische Mezzosopranistin Sophie Koch, seit über zwei Jahrzehnten mit der Laufenberg-Inszenierung verbunden, geht inzwischen in der Darstellung keinesfalls noch als Quinquin durch. Auch hat die gesellschaftliche Entwicklung inzwischen die Skandalisierung der Beziehung eines Siebzehnjährigen mit einer verheirateten Frau überholt. Deshalb stand der Octavian von Sophie Koch der Feldmarschallin als ein gereifter, erwachsener selbstbewusster Charakter gegenüber. Vollmundig, sinnlich-auftrumpfend, dabei gleichzeitig verletzlich oder wo nötig auch zupackend-burschikos, sang und spielte sie. Die dunkle, charakterstarke Klangfarbe ihrer Stimme mischte sich hervorragend mit dem Sopran Camilla Nylunds.
Als eine heranwachsende, selbstbewusste junge Frau im Kampf in einer männerdominierten Welt verlieh Nikola Hillebrand der Sophie eine besondere charakterliche Stärke. Mit ihrer silberhell-strahlenden Stimme und ihrer deutlichen Aussprache gestaltete sie die Sophie bei aller Selbstsicherheit zu einer liebreizenden Persönlichkeit. Die Verbindung der Stimme von Nikola Hillebrand mit dem farbenreichen Gesang von Sophie Koch war ein besonderer Glücksfall.
Deshalb war es nicht verwunderlich, dass sich die Duette von Sophie mit Octavian neben dem halsbrecherischen Terzett der drei Sängerinnen im dritten Akt der Vorstellung als die vokalen Höhepunkte des Abends entwickelt hatten. Hier gingen die Sängerinnen in Hochform und boten im faszinierenden Zusammenspiel musikalische Prunkstücke.
Den Italienischen Sänger interpretierte Pavol Breslik tenorschmelzend, warm und mit gefühlvoller Naivität.
Den Ochs von Lerchenau hatte sich Peter Rose als einen heruntergekommenen selbstironischen Falstaff mit hemmungsloser Vitalität und einer prachtvollen Bass-Stimme zu Recht gelegt. Selbst in den blamabelsten Momenten blieb er eine Standesperson. Zudem umgab er sich er sich mit einem debil-brutalem Gefolge, deren ganzes Tun auf fressen, saufen, vergewaltigen begrenzte.
Die Karikatur eines Vertreters der bürgerlichen Leistungsgesellschaft gestaltete Markus Eiche als Brautvater Faniel. Das Balancieren des schwerreichen Heereslieferanten zwischen dem Wohl seiner Tochter und der Suche des eigenen Vorteils, dazu seine merkwürdige Bewunderung für den Baron, ließen ihn zwischen Begeisterung und Entsetzen schwanken.
Als souveräne Leitmeritzerin sang, spielte Daniela Köhler und als dominanter Polizeikommissar war Tilmann Rönnebeck zu erleben. Von den übrigen Besetzungen sollte das Intriganten-Paar der Annina von Christa Mayer mit dem Valzacchi von Aaron Pegram, die Modistin der Katerina von Bennigsen sowie die adligen Waisen von Ofeliya Pogosyan, Mariya Taniguchi und Justyna Ołów erwähnt werden. Neben den von André Kellinghaus solide vorbereiteten Sängern des Staatskapellenchores gefiel auch der beflissene Notar Matthias Henneberg.
Zu den Widersprüchlichkeiten der Aufführung gehörte, dass bei allen mitreißenden Turbulenzen auf der Bühne dem Stück seine schillernde Vieldeutigkeit nicht zu entlocken war. Es blieb aber vor allem die Freude über das von hervorragenden Sängern und einem grandiosen Orchester gestaltete musikalische Ereignis.
Thomas Thielemann, 4. April 2023
Der Rosenkavalier
Richard Strauss
Semperoper Dresden
3. April 2023
69. Vorstellung seit der Premiere vom 29. Oktober 2000
Inszenierung: Uwe Eric Laufenberg
Bühne: Christoph Schubinger
Kostüme: Jessica Karge
Musikalische Leitung: Cornelius Meister
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor Dresden